Solang Du Selbstgeworfnes fängst... (R.M.R.) - Der Anfang

 

 

Dass das Seiende dahinfährt, jenes, was seit jeher vorlog, Wirklichkeit zu sein, welches Sein keines "ist". Denn "seiend" ist alles, im Himmel und auf Erden: cogitatione, verbo et opere. Dass es dahinfährt, ist die Aufgegebenheit. In der Mitteilung ist noch ein Hinausgehen, aber auch in der Stille ist ein Hinausgehen. Dem Hinausgehen, scheint es, entkommt man nicht. Und doch, liegt hier das Grundlose verborgen. Wirft das Hinausgehen schon einen Schatten? Kann man je nicht hinausgehen? Genau dies in der Abgeschiedenheit. Welche Art der Mitteilung? Die Mitteilung ist ein Empfangen-können. Dem Empfangen-können geht voraus die Losgelöstheit (absolutum). In der Losgelöstheit klingt die Stille, ergeht der "Ruf". Was ruft der "Ruf"? Der Ruf ruft ins Nichts, d.h. in den Grund und Boden des Letzten. Das Letzte hat hier, wie H. sagt, die kürzeste Bahn. Dieses Nichts ist daher niemals ein nihil negativum, sondern das nihil originarium, ein nihil, das "gründet". Am Grunde dieses Nichts erst gründet sich das Letzte, welches zugleich das Erste. Am Grunde dieses Nichts wird sichtbar, dass die Welt gerichtet ist (nicht wird); in ihren "Richtungen" verfangen, verstrickt ist und zugleich "ge-richtet" ist: der Bruch des endlichen Absolutismus. "Was sich nun hebt und senkt...." (P. Celan) - "...gilt dem zuinnerst Vergrabenen" - also: die "Nichts-, die Niemandsrose (P. Celan). Am Grunde dieses Nichts ist auch entschieden, was das Philosophieren heißt, was es in seinem Wesen ist: Was ist das - die Philosophie? - und wohin es bringt, das Philosophieren, wozu dieses im Stande ist. Das Philosophieren ist - ich kann es weit vorausgreifend andeuten - ein Vor-Letztes. Es geht dem Letzten voran, geht ihm aber nicht "vor-her", denn das Letzte ist das allseits Vorher- oder Vorausgehende. Das Letzte ist das allseits Unverfügbare (der Gott). Er klingt an im Letzten der Stille, des Absoluten, der Abgeschiedenheit. Die Sprache des Letzten als auch die Mitteilung ist das "Gebet". Am Begriff der "Demut" (devotio) wird sich das Zurückbleiben des Philosophierens erweisen. Demut ist das un-bedingte Folge-leisten des im Ruf Gehörten: potentia oboedientialis. Das entspricht genau dem Sinn der absoluten Gehörsamkeit worunter der absolute Gehor-sam zu verstehen ist. Mit der "Demut" erst kommt der wahre Begriff der "Freiheit" ins Spiel. Hier also ist die Grenze des Philosophierens erreicht, denn hier geht es im Ersten und Letzten um die wesentliche Grund-Entscheidung einer (meiner) letzten Hin-Gabe (Auf-Gabe) oder dagegen darum, das Insistieren weiterzutragen und zu festigen: ein Sowohl-als-auch kann es hier nicht geben. Hegel bringt das auf seine Art in der PdG im Kapitel über das "Unglückliche Bewusstsein" in einer unerhörten Schärfe (Kontrast) zum Ausdruck.

 

Zurück bleibt von nun an das Philosophieren. Damit ist gesagt, dass dieses seine Grenze hat. Was nun? Nach allem bisher Gesagten lässt sich ein Insgesamt-Ergebnis so andeuten: Das Philosophieren bringt zur absoluten Auf-Gabe und also zu einer Bereitschaft und also zu einem Gehören (was mit einem wesentlichen Hören können zusammen hängt). Mit der absoluten Auf-Gabe ist ein Verlust ausgesprochen: Welt-Verlust. Zugleich mit der Auf-Gabe zeigt sich die Über-Gabe. Die Über-Gabe ist ein Sich-einfinden in seinem schon Übergeben-sein. Damit ist es ausgesprochen, dass das Wesentliche nicht zu leisten ist. Die Wahrheit oder das Wesentliche ist daher vielmehr ein "Fund". Dieser Fund entspricht der strengsten Logik (lógos): denn die Strenge des lógos ist seine unbeirrbare Bahn. Das Anbeweisen und Beweise führen (die formale Logik, Syllogistik, Mathematik, usw.) ist dagegen eine eher primitive Logik und in ihren Konsequenzen konsequenzlos. Die Logik der Über-Gabe ist nicht anzubeweisen, sie verwehrt diese Gangart; um es anders und mit einem Wort von Meister Eckhart (Armuts-Predigt) zu sagen: "Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen".

 

Dem Philosophieren aber sei gesagt: Mit dem Vor-Letzten kann man sich letztlich nicht herausreden. Der höchste Ernst des Philosophierens (Hegel, Heidegger, Wittgenstein) kann sich mit einer endlichen Logik nicht zur Ruhe setzen. Es ist eine falsche Bescheidenheit so zu tun als gäbe es bloß eine "schlanke Ontologie". Es ist wahr: Man muss zu seinem "Ende" gekommen sein, um das zu verstehen. Verstehen muss man das freilich nicht, wer aber versteht, der muss ver-antworten und also antworten. Was einer - jenseits des Philosophierens - antwortet, ist Antwort im Ruf; also kein Eigenmächtiges mehr. Damit ist der erste Schritt - der wichtigste - in das grenzenlose Wüstenland getan. Es heiße das Land der absoluten Freiheit (von sich).

 

Der Übergang oder das Enden ist wesentlich gedacht ein absoluter Anfang, ein losgelöster Anfang. Es ist klar, dass die alte Welt ihre alte Dignität verloren hat.

 

Erich Przywara SJ drückt diesen Übergang so aus:

 

"Wir sind müde geworden und alt, und wir schleichen müde und alt zwischen den Trümmern dieses christlichen Abendlandes, und wir spüren den Schatten der Vergänglichkeit..."

 

 

 

[...]

 

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst... (R.M.R.) - Fortsetzung 6: DER LETZTE GOTT (Heidegger; GA 65)

 

 

Freiheit ist: Auf-Gabe (speculativer Sinn). Der "letzte Gott", so heißt es in der sicher wesentlichsten Schrift - GA 65 - von Heidegger, habe seine "einzigste Einzigkeit" (S. 411). Darin liegt die Eröffnung der Betroffenheit, oder anders gesagt: die Freigabe des Augenblicks oder wieder anders gesagt: die Begegnung. Darin liegt aber auch die Abkehr in der Zukehr, was ich den Verlust genannt habe. Darin ist, in dieser Logik, von Verklärung und Bereitschaft die Rede. Überhaupt muss die Logik hier als lógos immerzu gefasst sein -  übersetzt als: Vernünftigkeit. Heidegger spricht hier auch von den einsamsten Einsamkeiten; wie auch nicht? Ist das der Dialog mit dem "letzten Gott" - das Zwiegespräch als einzigste Einzigkeit? 

 

 

256. Abschnitt: Der letzte Gott

 

 

Mit dem "Letzten" ist die Entschiedenheit gemeint, dass es darauf ankommt, dass alles davon abhängen wird, wofür zu leben und zu sterben ist, dass das Leben, das eigene zumal, in einer Grund-Bereitschaft Stellung bezieht. Diese Entschiedenheit ist ein Auslieferung auf Gedeih und Verderb und daher ein: Vertrauen. Es ist schief gesagt, dass es auf das eigene Leben ankomme, denn gerade auf dieses kommt es jetzt nicht mehr an. Diese "Entschiedenheit" ist aber keine Aktion, keine Realisierung - sie ist wesentlich: Zurücknahme (des Eigenen) und daher Walten-lassen, die Gehör-samkeit, die Gehorsam-keit: potentia oboedientialis (Rahner; Hörer des Wortes). Damit ist Abschied genommen; der hatte es gewusst, sagen wir: geahnt. Diese Ahnung hat sich nun erfüllt. Das ist auch, man muss es noch sehen (in tieferem Sinne), der "Dank" (Gedanc).  Gehörsamkeit ist nicht ein "Warten auf...", sondern "Einsprung" - eine Haltung, eine Entschiedenheit, ein Wille, der nicht mehr "will". Es ist, dass der Begriff [Hegel] (man kann auch noch sagen: das Wort) flügge wird. "Vorbeigang des Gottes" heißt es bei Heidegger. Was muss geschehen, dass dieses geschieht? Ein Leben lang sagte man unbedacht: die Dinge; dann vielleicht Seiendes, die Dinge werden angezogen; dann vielleicht verlieren sie ihren Überzug; dann hört man auf sie, wird von ihnen angesprochen. Die Ansprache verliert sich.

 

[die Folgen; vom Ende her zu seinem Anfang]

 

 

[...]

 

 


 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst...   (R.M.R)  -   Fortsetzung 4 (eis apeiron ienai)

 

 

Zu Zeiten kommt man an früher Gedachtes; eigentümlich! Dass es ein Gedachtes, ein Denken war, weiß man erst jetzt. Das Denken: der Gedanke  - der Begriff - die Idee. Das Mit-Denken mit Hegel - und alles andere wäre kein Philosophieren - ist ein eigentümliches Herum-Kreisen, es hat eigentlich keinen Anfang und kein Ende, es kreist herum und kreist um eine Mitte. Und das Kreisen ist träge, es wälzt sich fort, ist mehr ein Inne-halten und bestimmter die Er-Innerung, also ein Innerlich-werden. Es kommt darauf an, sich wirklich auf-zu-halten, der Aufenthalt in der Stille ist der Raum des Denkens. Es würde kaum verstanden sein zu sagen: man wohne im Raum der Stille. Heutigentags wohnt "Man" (wir alle) im Flüchtlingslager, "Man" ist Flüchtling; die wahren Flüchtlinge sind wir selbst, wir fliehen die Stille, fliehen den Aufenthalt, fliehen die Sprache des Denkens und, wir fliehen das Gebet. Dennoch ist der Raum der Stille, der Aufenthalt in diesem, das Wohnen im Denken. In diesem Wohn-Raum der Stille erst kann eine wahrhafte Begegnung ereignen. Begleiter dieses Bewohnens ist ein Insichgehen, man übergibt sich der Er-INNERUNG, übergibt sich dem Innerlich-sein.

 

Vielleicht, dass das einer Nacht gleichkommt - im Gegenhalt gegen den vollstreckten Tag, dem gezielten, kaum bedachten, bestimmten und beschleunigten. Die Stille ist nicht auszuhalten - nicht wahr? Der Anfänger im Stillen ist einer, der aus der Er-Innerung kommt. Er fängt zwar von Neuem an, aber hat alles in sich aufbewahrt, geborgen und wie Hegel sagt, aufgehoben. Wer also spricht da mit wem in der Er-INNERUNG? Das ist die Frage, die man heutigentags nicht mehr stellt, weil man sie nicht mehr kennt, weil man sie nicht mehr wahrhaben will, weil man vergaß, was man doch wusste, weil es sonst zu ernst wäre. Die Frage nach dem Ernst-sein im Philosophieren wird ebenfalls grundsätzlich vermieden; der letzte wahrhafte Denker, der sich dem Ernst auslieferte, war Heidegger. Das Wahrhafte eines Denkens ist der Ernst der gedachten Sache.

 

Die Stille verträgt daher keinen Leichtsinn, sie ist immer ernst - und damit ist sie "wahr". Und so kommt es am Ende darauf an, dass man sich auf-gegeben hat, so, wie man ein Paket bei der Post aufgibt und der Absender ist sich klar darüber, dass er Absender ist und ist sich auch klar darüber, dass der Empfänger leer bleibt, ein Nichts, ein Niemand - die "Nichts - die Niemands-Rose" (Celan). Denn: "Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander..." (Hölderlin, Friedensfeier) - auch dies, weiß man nicht mehr zu sagen. Und so jagt ein Diskurs, wie "Man" sich ausdrückt, den andern und jagt sich in eine tote Leere. Allein, wäre das nicht Rechtfertigung genug - und: übergenug?

 

 

Dass sich die "Tiefe" des Geistes offenbart, ist das Ziel. Auch Ziele nennt man nicht mehr und, auch den Gott nennt man nicht mehr. Dass es "rau" ist in der Welt, ist etwas Wunderbares! Daher kommt die Wahrheit in der Stille zu ihrem Ende - zu "ihrem" und nicht zu einem eingebildeten.

Wenn sich dies offenbart, so ist das auch eine Negation, eine Aufhebung, wie sich Hegel oft ausdrückt. Das nennt er oft Affirmation, ein Positives im Wesen, etwas, wovon wir überzeugt sind - dass es so (gut) sei - und sein soll.

 

 

Der Tag ist damit zugleich Tag der Offenbarung, die Tiefe zeigt sich und dehnt sich aus. "Weiß" man das - so ist das die "Wissenschaft des erscheinenden Wissens" - so dachte es Hegel. Es braucht nicht viel um zu erkennen, was Hegel unter "Wissenschaft" verstanden hat. Wissen war ihm in dieser Art ein Wissen von der Organisation des Geistes - ein "Zusehen können"  aus dem Raum der Stille, aus dem Raum der Er-INNERUNG, da sich diese Organisation voll-bringt. Der Wissenschafter ist nach Hegel vielmehr ein Zuseher und Zuhörer, einer, der es gelernt hat, sich selbst ganz zurückzunehmen und sich (auf die Reise) auf-zugeben.

 

 

 

Seltsam - was ist das, das "leblose Einsame"?

 

 

 

[...]

 

 

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst...   (R.M.R.)  -   Fortsetzung 3

 

 

Der Prozess (Kafka) und die Bewegung; der Ernst der Eitelkeit (sich erhaltende Subjektivität) - mit ihr aber wird gewiss Ernst gemacht: das sind die Folgen, von denen schon gesprochen; und es gibt sie, die anderen Dimensionen nicht in einem Jenseits, sondern actualiter (wie Recht der Jesuit hat); und so ist alles Wesentliche nur für den, der wesentlich "geworden"; an sich ist es - für sich (soll) es sein; es schlägt also jederzeit in einem (jedem) Herzen mit der Impuls der Unruhe und das heißt: der Versöhnung; es fällt darein die Endlichkeit als "Moment" und die Diremtion und die Notwendigkeit und die Rückkehr und die Versöhnung. Das aneinandergereihte "Und" ist eins. Und so ist es, dass alle Kalamitäten wohl notwendig erscheinen, denn durch sie hindurch, auf dieser verbrannten Erde, zeigt sich der Geist als Geist. Hat der göttliche Geist es notwendig, sich endlich zu vermitteln? Hegel sagt dies - es wird darauf ankommen, Stellung zu beziehen; denn es ist bei Hegel immer am Ende der "lebendige Geist" und nicht der tote, abstrakte.

 

Und so ist die Religion niemals eine Angelegenheit eines Menschen oder der vielen Menschen, der Gemeinschaften, der Völker. Religion ist die höchste Bestimmung der absoluten Idee selbst. Das ist der spekulative Begriff der Religion bei Hegel. Das Spekulative, kann man sagen, ist das Angemessendste, das Entsprechendste - etwa zur Gangart der Vorstellung oder der Reflexion, gewiss der Abstraktion. Spekulativ denken heißt eigentlich: mit dem endlichen Absolutismus gebrochen haben; das ist das Höchste und Schwierigste.

 

Sich als "Moment" zu begreifen, das ist das große Finale in Hegels Denken. Es ist freilich schief ausgedrückt: Hegels Denken - denn es ist nicht seines, nicht bloß subjektives, sondern absolutes (nicht objektives). Am Ende kommt auch der Andacht, dem Gebet, bei Hegel größte Bedeutung zu. Das Gebet ist schon in sprachlicher Hinsicht von größter Bedeutung und so frägt sich: was ist ein Gebet? Nach meinem Dafürhalten ist das Gebet die höchste Logik der Sprache. Erst im Gebet gelangt die Sprache in ihre spekulativ-logische Voll-Endung. Das zu zeigen und aufzuzeigen ist ein allerletzter Weg, den zu unternehmen ich mir vorgenommen habe.

 

Wovon noch im Wesentlichen zu sprechen sein wird ist:

 

von Ziel und Zweck - über das Aufgeben meiner überhaupt - über das Sich-nicht-mehr-behalten; vom Guten und vom Bösen (aller gegenwärtigen Tendenzen zum Trotz); dass das Gute und die Versöhnung schon vollbracht sind (und nicht erst zu vollbringen sind); und dass das Böse tatsächlich ständig herausfordernd und nur als Geist wirkt; und dass es einen End-Zweck gibt, die empirisch, besondere Subjektivität auch wahrhaft zu entlassen; das ist nach Hegel der wahre Begriff der Freiheit; und so ist das Opfer "kein" Opfer (wie vermeint), sondern es gilt, das Opfer zu begreifen; daraus folgen das reine Hervorbringen, das Aufgeben als Tätigkeit, die Arbeit als Opferung, Tat und Tun; und es geht um die Erzeugung der absoluten Einzelheit, das ist eine solche, die die unmittelbare (Einzelheit) in sich (und niemals äußerlich) vertilgt hat; so erst ist wahrhaft "Freiheit". Der spekulative Begriff der Freiheit ist nach meinem Dafürhalten der höchste und letzte. Er setzt den Bruch des endlichen Absolutismus voraus oder dies, dass alle Endlichkeit Moment sei. An dieser Stelle ist es, dass wiederum ein Jesuit maßgeblich geworden ist. Es ist das Bewusstsein darüber, dass der Geist an-und-für sich un-endlich west. Hier liegt der allererste Grund für die Freiheit und was darunter zu verstehen sei. Freiheit heißt Auf-Gabe (in mehrfacher Hinsicht). Dieses Niveau des Begriffes der Freiheit ist seit Hegel bislang unerreicht. Hier ist es auch, dass alle Kalamitäten ihren Sinn empfangen - oder mit einem andern Wort: alles ist sinnvoll! Das heißt jetzt vorgreifend: Es ist bestimmt nicht alles gut (in der Welt) - und dennoch: es ist schon alles gut in der Welt! Das zu begreifen hieße, das spekulative Denken nachvollzogen haben. Es liegt im Wesen des Menschen ein Böses, eine Trennung, ein Zwiespalt, ein Ausstand, ein Fehl - so soll es aber nicht bleiben! Es bliebe so aber in der abstrakten Reflexion, die die Endlichkeit verabsolutiert. Dass das Böse bereits besiegt doer versöhnt ist, ist ein An-sich; dieses aber muss "für-sich" erst werden. Das ist die Bildung des Geistes, das ist der Bildungs-Begriff überhaupt und absolut vorgestellt.

 

Hier ist es an uns zu begreifen, dass das Höchste und Letzte eine Entgegnung im Höchsten und Letzten verlangt, oder: Freiheit kann sich nur in Freiheit ansprechen. Das "Verlangen" ist hier wortwörtlich zu nehmen. Und das ist die unglaubliche Geschichte von "Hiob". Hegel zu begreifen heißt Hiob zu begreifen, wer Hiob begriffen hat, hat Hegel begriffen.

 

Am Ende kommt es zum Bruch des endlichen Absolutismus und wie es Hegel nennt, zur "Entsagung". Tatsächlich ist in seinen Schriften des Öfteren eine asketische Buchstabierung zu vernehmen. An diesem Ende beginnt aber ein absoluter Anfang, dieser ist nicht, wäre nicht das Enden. Das Ende ist daher an und für sich ein absoluter Anfang, denn:

 

"Wir sind müde geworden und alt, und wir schleichen müde und alt zwischen den Trümmern dieses christlichen Abendlandes, und wir spüren den Schatten der Vergänglichkeit und den Schatten des Todes und den Schatten der Finsternis über uns."

 

(Erich Przywara SJ - Auferstehung im Tod)

 

 

Die Grenze aber, einerlei ob wir sie sehen oder empfinden oder denken, ist diese nur im Hinaus-sein über sie (Hegel).

 

 

 

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst...   (R.M.R.)   -   Fortsetzung 2

 

 

Der Anfang nicht mehr beobachtend, sondern sich vergessend. Sich-vergessen heißt eigentlicher: sich versenken, sich auf-geben (die Auf-Gabe) in mehrfachem Sinne. Das empirische Beobachten ist damit überschritten, außer Kraft gesetzt.

 

Szenenwechsel: Es wird auch darauf ankommen, das Hermeneutische frei zu legen, das ist der "Sinn"; jener steht nicht da, jener ist ein Kon-Text, der den Schriftzug übernehmen wird, übernehmen und weitertragen wird. Schriftzug hat hier die Bedeutung des "Angeschmiegten". Es ist ein plastisches Vermögen.

 

Was heißt nun, dass es "endet" - das alles allüberall endet, ein Ende hat? Man nennt das die Endlichkeit und nimmt es hin, als sei es ein ephemerer Wolkenzug. Freilich nimmt man es heutigentags nicht mehr hin, nicht einmal mehr zur Kenntnis. Was ist das - die Endlichkeit? Das klingt wie: Was ist das - die Philosophie?

 

Szenenwechsel: Manchmal muss man sich anlehnen, der, den es betrifft, weiß das und der Betroffene wird es nachsehen; denn wozu wäre sonst Sprache, das Mit-Geteilte? Vielleicht, dass das Sich-anschmiegen in der Sprache eine unerhörte Zärtlichkeit verlangt?

 

 

[...]

 

 

 

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst (R.M.R)  -  Fortsetzung 1

 

 

Der Gedanke ist jetzt nicht mehr ein subjektvier, oder wie man sich ausdrückt, ein Einfall, eine Überlegung, ein Ergebnis des Nachdenkens. Im großen Stil lässt sich sagen, dass das Nachdenken mehr einer Gabe entspricht und nicht ein Selbstgemachtes sei. Das Denken "gibt" und wenn es "wahrhaftes" ist, gibt es "frei". Die Freiheit des Denkens ist die Auf-Gabe der Selbstständigkeit. Die Dinge verlieren dadurch ihre abgesonderte Selbstständigkeit, sie "scheinen" gegeneinander. Es ist daher richtig zu sagen: die Dinge "scheinen" bloß. Dieser Schein ist aber nicht ein Nichtiges, Abgewertetes, Nicht-sein-Sollendes; der Schein ist durchdringend, offenbart, lässt sehen, lässt hervorkommen. Schein ist hier ontologisch zu nehmen als Unverborgenheit (Heidegger). Einen absoluten Widerstand gegeneinander gibt es nicht mehr oder dieses Verhältnis wäre tatsächlich ein nichtiger Schein. Im Folgenden zeigt sich bei Hegel die Geschichte der Freiheit des Geistes, nämlich seine Befreiung zu sich selbst. Diese Geschichte bei Hegel - so wie alle seine Schriften - haben immer ontologischen Charakter, sie bewegen sich allesamt im kategorialen Raum. Dadurch wird die Welt der Vorstellungen selbst durchsichtig, zeigt sich bloß Moment zu sein. Am Ende wird es darauf ankommen, diesen Gang zu fassen, sich mitnehmen zu lassen und ihm einen Wert beizumessen. Es wird sich zeigen, dass das Bewerten oder Wert beimessen in sich ein Urteil ist. Dieses Ur-Teil ist erst dann ein absolut wahres, wenn es sich in sich als "an und für sich" "gründend" erweist. Damit ist ausgesprochen, dass das Urteil fassen nicht bloß eine abgesonderte Anstrengung des Menschen ist, etwa seines Urteils-Vermögens. Um hier richtig zu sehen ist verlangt, zunächst einmal das Niveau der ungeheuren geistigen Spannkraft von Hegel zu erreichen und das Niveau immer wieder zu halten.  Das Schwierigste im Philosophieren bleibt die Ver-rückung, d.h. die Bereitschaft, sich selbst mitnehmen zu lassen, was ja, wie schon bemerkt, einer mehrdeutigen Auf-Gabe gleichkommt. Zu fragen bleibt, ob es eine Rückkehr aus der Ver-rückung gibt und wenn nicht, was das für Folgen hat. Eine Rückkehr freilich gibt es aus der Ver-rückung, aber die Welt im Ganzen hat ihren vormaligen Status - ob bedacht oder nicht - zur Gänze verloren. Jetzt erst ist das Philosophieren ein freies Denken und erst jetzt bemerkt man die Gefährlichkeit des  Denkens. Hier, am Rande der Welt also, zeigt sich die Größe und Tiefe des Geistes und auch die Verlorenheit. Diese ist nichts zu Bedauerndes, zu Vermeidendes - und was die Folgen betrifft, so sind sie alle im Stillen versammelt. Aus dieser Versammlung heraus erst zeigt sich die "alte Welt", zeigt sich ein Verlust, der nie mehr zu korrigieren sein wird und etwas Endgültiges an sich hat. Wenn zu Zeiten das Wort fällt: Am Ende... so meint dies immer: Jetzt und an diesem Pfad entlang. Das "am Rande der Welt" ge-hörig (es ist ja mehr ein Hin-hören) zu begreifen, ergibt sich immer wieder von Neuem und aufs Neue und ist nie ein Abgeschlossenes. Die Dinge auch richtig zu bewerten, jetzt auch mehr subjektiv gemeint, heißt auch, eine Auswahl zu treffen. Heutigentags hat man sich abgewöhnt, über die wichtigen und wenigen Dinge zu sprechen, über die "letzten Dinge". So bleiben Spuren und Not wäre, die Fährten und Spuren auch wieder zu finden und ihnen zu vertrauen, auch wenn sie mitten im Leben enden, also den Blick auf die alte Welt erst frei geben. Erst dann aber hat auch der Sinn der "Verantwortung" sein wahres und objektives Recht. Erst der freie Mensch, das ist der Mensch am Abgrund, am Rande der Welt, der Grenzgänger, "trägt auch" die Verantwortung in dem Sinne, dass er in den wichtigen und wenigen und daher wahren Dingen "antwortet". Wahre Verantwortung trägt erst der, dem die Welt abhanden gekommen ist. Von dieser (wahren) Geschichte ist nun im Folgenden einiges zu berichten, freilich immer im Gespräch mit Hegel. Dass der Welt-Verlust im Wesen aber ein Zugang im Guten ist - davon hatte Augustinus Wesentliches geahnt. Das ist dann aber eine andere Geschichte und im Wesen doch dieselbe. Denn das Gute und das Böse gehören unbedingt zu dieser Geschichte.

 

[...]

 

 

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst ...  (R.M.R.)

 

 

Das Reine sei getrübt - durch ein Anderes. Was ist das Reine? Zugang? Wann und wie das glückt, liegt nicht in einem Vermögen, heißt: die eigne Fahrt nimmt sich zurück; und ist so: Fahrt ins Blaue! (Nietzsche: Nach neuen Meeren). "An sich" - ein in sich Reines, Klares, wird getrübt - durch ein Anderes. Das Andere aber kann der Reinheit nichts anhaben, die Trübung ist eine scheinbare, es scheint Trübung, ist sie aber nicht oder es ist dies: dass das Reine, Klare, gerade bei sich bleibt, an sich hält und so frei gibt, sehen lässt, offen-bart, sich zeigen lässt, ein Stehen im Gegenüber - Gegen-Stand. Zeugnis des Geistes: er hält die Welt, das Andere aus, lässt Welt-Einmarsch geschehen, ist Beobachter und Berührter, Angerührter, ist Freigebender und Betroffener zugleich. "Ich" - ist so ein Reines im Weltaufgang. Dass es "weltet" (Heidegger) - war 1927 nichts Neues, es war das Uralte, das nie einer Zeit verpflichtet ist. Es war Kind, Strebender, war ruhiger um sich, wurde, was war - und blieb, blieb durch das Vergehen hindurch. Es war: ein Sterben in das Sein. Dass Ich im Angerührt-sein Ich bleibt, dass Ich im Belagert-sein ich bleibt, dass Ich im Einmarsch Ich bleibt - meint: Welt-Lichtung; ist lautloser Laut der Ewigkeit.

 

 

...  ...

 


 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst... (R.M.R.) - Fortsetzung: i.i.p. / m.e.a.i. / paradidonai

 

 

 

Das Ende, so kann man das Vorhergehende (nicht im Rück-, sondern im Vor-Blick) zusammenfassen, ist adventisch: Ankunft. Man wird es freilich "versuchen" müssen, darin liegt das "Suchen". Das Suchen ist immer schon ein Gefunden-sein. Wer sucht, hat eigentlich schon gefunden, sonst könnte er nicht suchen. Es ist schief ausgedrückt: Ich finde! Eben, dass "Ich" nicht finde, sondern gefunden "bin", ist das wahre Finden. Dann aber ist es die große Zumutung: das Finden im Gefunden-sein des paradidonai. Tatsächlich ist die Folge das "Entweder-oder". Bei Hegel spielt (stets) am Ende das "Sowohl-als-auch" herein, also im Ende, d.h. im Anfang. Im großen Los-lassen dagegen ereignet das perisseuein. Die "Eine Agape" sei das Kriterium, heißt es. [... und Finsternis in Ihm ist keinerlei];

 

der letzte Gott? (Heidegger)

 

Johanneen?

 

Johanneen! Deshalb, weil hyperballein; vor Grundwerfung der Welt: Logos Agape. Der Kuss (Dostojewskij) brennt immer noch (ewiglich), wird man sagen müssen.

 

Nun aber: Hörer des Wortes? Das Tun ist die Zeige: paradidonai: das Sich-Ausliefern zur Begegnung.

 


 

"Und ihn gar zu überzeugen, diese persönliche Einwirkung auf ihn ist unmöglich, da er in seinen beschränkten Kategorien stehenbleibt" (Hegel, VPR I, 63).

 

 

Der Monolog als Dialog der Stille

 

 

Die Intention sei daher ein geistiger Monolog; und war es immer, scheint es. Nur sich und dem begreifenden Denken Rechenschaft geben - meint: ein Monolog, der den Dialog schon immer eingeholt hat. Mehr noch: es ist ein ereigneter Monolog, einer, der in aufgebrochenen Kategorien, auf Trümmern steht und dargereicht ist. Dieser Monolog bewegt sich daher immer hart an der Grenze zur Sage und ist in seinem Wesen: Dialog der Stille. Der Monolog als Dialog der Stille. Die Formel: "Am Ende....." meint daher immer: Im Anfang. Es ist ein uraltes Wort, das griechisch lautet: Ἐν ἀρχᾖ (Joh. 1,1). Dieser Anfang ist auch im Wesen "abschiedlich" und in den Wörtern - wenn kein offener Sinn - ein Zeigen, eine Gabe, eine Geste - im Innersten aber ein Blick. "Abschiedlich" - heißt: die Ankunft in der Welt ist mehr ein Geschenk, daher ein Geglücktes und immer ein Gefügtes, nie Gewolltes. Wer die Brücken zur Welt abgebrochen hat, ist auf "seinem Weg", dieser Weg ist aber einer, der im Zeigen, im Blicken, in der Berührung, auch in der Rührung und - wenn es gegeben - in der Sage die Welt verwandelt. Ἐν ἀρχᾖ: ist schon die Sage im Übergang. Wohin die Sage auch immer gesprochen sei, sie ist schon angekommen. Die Sage ist das Angekommene, ist der Laut der Ankunft.

 

Was [von nun an und nur mehr] folgt ist ein Dialog mit der Ankunft; die Wörter klingen, d.h. sprechen erst im Raum der Stille. Gefragt wurde einst, wer der Adressat sei; mir schien, es war immer eine Frage und manchmal, oft auch zwischen den Zeilen sehr spürbar, wenn auch nicht ausdrücklich. Paul Celan stand, wie Heidegger sehr wahr bemerkte, am äußersten Rand. Seine Gedichte sind Evangelium der Zerbrechlichkeit, des Angegriffen-seins: sie sprechen als Dialog der Stille. Jener Sinn liegt nicht bereit, er ist ein Kommen, eine Ankunft. Jede Ankunft zeigt sich nur für einen Weg, d.h. für meine Bereitschaft.

 

[...]

 

Solang Du Selbstgeworfnes fängst... (R.M.R.) - Fortsetzung 7: XVIII. GÖTTER  (Heidegger; GA 66)

 

 

[...]

 

Spät – wirst Du blind.

Und siehst ohne Augen.

Lang – ist die Zeit.

„Es“ trägt.

 

Im Wintergarten, auf  Feldern aus Eis;

Grünt jetzt erst Dein Name.

Es traut sich, es fügt sich und,

Legt sich zu Dir.

 

[kai mê ginou apistos alla pistos; Joh. 20,27]

 

 

Die Auseinandersetzung: Vorläufig: Hegel und Heidegger (das Vor-laufende); Wegloses; Anklang und Gehörsamkeit.

 

70. Götter / Das wesentliche Wissen

 

Das Wort bleibt wesentlich; ob geschrieben oder gesprochen, darin ist der Geist aufbe-wahrt. Heidegger sagt manchmal: die "kürzeste Bahn". Darin liegt: die Entschiedenheit, die Zugespitztheit, die Besinnung, die Kreuzigung. Das Wort ist jetzt: wesentliches Wort. Als solches kann es nur anfänglich gehört werden, also niemals geradehin. Daher:

 

Der Abschied.

 

 

[...]

Was sich nun senkt und hebt,

gilt dem zuinnerst Vergrabnen:

 

(P. Celan; Mohn und Gedächtnis)
 

Nun ist es an wesentlicher Bestimmung, dass das Voraussetzen - oder "die" Voraussetzung - höchste Beachtung verdient. M.a.W.: was nicht schon "ist", kann auch nicht gesetzt werden; späterhin auch: erreicht werden. Das Erreichen wollen hat unter dieser Perspektive immer etwas Schiefes an sich, bleibt es doch ein bloß Subjektives. Dass also die Differenz schon aufgehoben sei, ist die höhere Wahrheit. Das Setzen als solches hat daher keine Wahrheit: höher als die Differenz steht die Einheit; das Aufgehoben sein - ein geglückter Begriff, da speculativ. Nun entkommt man geradehin den Differenzen nicht, der Grund dafür ist, weil man dem Geistig-sein nicht entkommt. Nun ist mit dem Geist aller Sinn in der Welt erwacht, alle Unangemessenheit auch, jedes Urteil, alle Bestimmung und Differenz, so auch erst die Mühe, das Gebrechen, das Gute und das Böse. Dass aber alles schon in der Differenz umfangen sei, es sich zeigte als insgesamt aufgehoben, so wie man das kennt in der Redewendung: Da oder hier bist "Du gut aufgehoben" - zeigt erst die Endlichkeit in ihrer Weise und zeitigt auch zugleich den Bruch des endlichen Absolutismus.

 

Wie also? Wie er-eignet sich dieser Bruch, d.h. kommt in seinem Eigenen zum Stehen, zum Sich-zeigen - so, wie er an ihm ist? Mir scheint das sehr wesentlich zu sein. Wie wird man Hörer des Wortes? Kann man solches von sich aus, oder ist man zum Hörer bestimmt bevor man einer wird?

 

Ein Weiteres: Was ist das, das "Wort" hören? Was geschieht hier? Mir scheint, es ist unumkehrbar, endgültig und ohne Kompromiss. Und es fordert eine Stellung-nahme, die auch endgültige Folgen hat. Dabei spielt die Auf-Gabe in mehrfachem Sinne herein und dann auch das "Zeugnis". Das "Zeugnis" ist die Sprache der Ankunft, ist die Sprache des Angekommen-seins. Sich nicht mehr um die eigene Sache zu kümmern, weil sie an-vertraut ist, ist Zeichen des Zeugnisses. Von dieser Spur - und nur von dieser - (und ob es eine letzte ist - und dahin zielt es [ohne Ziel nahme]) - ist alles Weitere geprägt. Das "Letzte" (Heidegger: der letzte Gott) hat eine größte Zumutung, ja eine größte Allmacht, eine Zuspitzung, eine Bedrängnis und freilich Entschiedenheit. Dahin zu kommen, dass eine wahre Entscheidung gestiftet wird, weil sie es "ist" - ist die Spur des Letzten. Im (und nicht "am")  Anfang ist freilich noch ein Umdrehen, ein Rückblicken, ein Ungläubig sein.

 

Warum dann noch die Mit-teilung? Diese Frage ist schon beantwortet. Es ist nichts ohne Sinn - d.h., alles ist sinn-voll. Im Letzten ist das Vertrauen in das Nichts (der Abschied vom Seienden) das Hören des Wortes: der letzte Gott. Noch sind Vorläufer: Augustinus, Hegel, Heidegger - dass sie so bezeichnet werden bedeutet ein Hinaus-sein über dieselben. Die wahre Mitteilung ist daher immer die "gehörte".

 

Im "Letzten" wird sich auch die Sprache wenden. Der Stil, wie man sagt, ändert sich; und wie sollte es auch anders sein?

 

Um metaphysisch zu sprechen: Jede Möglichkeit ist schon von ihrer Wirklichkeit eingeholt. Sich "dieser" (nicht irgendeiner oder einer) Wirklichkeit anzuvertrauen, ist daher Abschiedliches: Ankunft.

 

 

[...]

Solang Du Selsbtgeworfnes fängst... (R.M.R.) - Fortsetzung: i.i.p. / m.e.a.i.

 

 

Der Aufgegebene folgt seiner Weisung; es ist nicht die seinige, sondern "seine", also s(ein) Empfangen-können. "Lang ist die Zeit..." (Hölderlin, Mnemosyne). Ein Ansturm, Gedränge, Andrang, ein flaches Vergessen, ein jederzeit Abge-Stilltes. Doch wie? Im Verlust zur Gänze liegt das Wahre, es ist ein  und mein Anspruch, es ist tatsächlich: Dialog und scheint und scheint: Monolog. Noch immer zeigt sich der Anspruch; noch immer? Der Ursprung ist nicht der Monolog, sondern der Dialog. Daher ist das Angesprochen-sein der Anfang im Enden. Im Enden kommt man da an, wo man im Eigentlichen schon "ist". "Ist" - darin liegt die Frage nach dem "Sinn von Sein" (Heidegger). Die Frage von Heidegger hat man bis heute nicht verstanden und so ist das mit allen wesentlichen Dingen. Am Ende findet man sich als Angsprochener, das Enden ist dieser Anspruch. Was ist Mit-Teilung? Man kann sich ihr niemals entziehen, man kann sagen: alles ist Mit-Teilung, alles ist schon mit-geteilt. Die Teilung steht im Anfang, so wie es heißt: Im Anfang war das Wort... (Joh. 1.1). "Die ewige Mitspielerin..." (Hölderlin). Johannes spielt herein, Heidegger, Hegel, Augustinus. Und Paulus? Möglich - möglich und vielleicht ganz im Ende. Kein Wort, keine Schrift hat Wert, wenn man darin nicht zu seinem Ende kommt. Es ist m(ein) Ende, das nicht kommt, sondern "ist".

 

 

 

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Endlichkeit

 

 

Endlichkeit! Darunter versteht man: alles hat ein Ende, nichts ist von Dauer, alles ist vergänglich, ist eine Weile und verschwindet, nichts dauert ewig, das Leben - vergänglich, sterblich, die Dinge - vergehen, alles ist zeitlich, kommt, bleibt eine Weile, geht unwiederbringlich; wir sind geboren, leben, sterben; wir erfahren das an uns, an den anderen, überall "fällt es" (Rilke).

 

Die Erfahrung der Endlichkeit ist, kann man sagen, die Erfahrung des Seins; mit der Endlichkeit zu leben heißt, mit der Wirklichkeit zu leben. Nichts, scheint es, kann dieser Macht des Endlichen widerstehen, alles ist in die Endlichkeit "geworfen" (Heidegger).

 

Dieser Seins-Erfahrung widersteht nur die Un-Endlichkeit, meint man, darunter man meistens die "schlechte" versteht, das ist solch eine, die der eben beschriebenen schroff gegenübersteht, der Endlichkeit "Reflex" ist. Entweder - oder, entweder das Endliche oder das Un-Endliche. Das Bewusstsein der schlechten Un-Endlichkeit versteigt sich dann in das abstrakte Nichts, das ist der Gott der Unendlichkeit, der jenseitige Gott, der leere Gott, ein caput mortuum - eben (nur) ein endlicher Reflex.

 

Mit dem Endlichen ist es ein (mein) Leben, heißt: man lernt damit leben, es ist eben so und das heißt, man verdrängt meistens sehr erfolgreich zeitlebens die Endlichkeit, will es für sich nicht ganz wahr haben, dass man ihr angehört, ihr Eigentum ist. Prekär wird es immer, wenn es zum Sterben geht - irgendwann, meint man für sich, später, hoffentlich. Genau will man es nicht wissen. Das Endliche ist unverrückbar - man kann auch sagen, was auf dasselbe hinausläuft: der Tod ist unverrückbar, alle sind zum Tode verurteilt. Dieses Urteil ist absolut rechtskräftig. Absolut: darunter versteht man reflexartig: unumkehrbar, man kann nicht heran, kann nichts tun, nichts mehr ändern. Der stumpfe Sinn weiß die so zu sagen: Sicher ist nur eins - der Tod! Der Tod bietet also eine unhintergehbare  Sicherheit, wenn etwas sicher ist, dann er. Allenthalben darf sich der stumpfe Geist daran erfreuen, dass so eine Sicherheit überhaupt garantiert ist. So eine Garantie wird man nirgends finden und jeder weiß es: diese Garantie hält was sie verspricht. Man fragt sich freilich, warum diese Sicherheit und Garantie keiner mag - warum nur? Jeder verlangt nach Sicherheit und Garantie und gerade die höchste Sicherheit und Garantie - der Tod -  wird verdrängt?? Weil es um alles geht, sagt man, eben um Leben und Tod. Da gibt es dann noch die Heroen, die alten Helden, die den eigenen Tod in Kauf nehmen, das Eigene als unbedeutend ansehen - und sie hatten Recht, diese alten Helden und wussten gar nicht wie unglaublich Recht sie hatten so zu tun. Der Endlichkeit die Stirn bieten - sich sagen: so komm´ oh Tod - du Schlafes Bruder - komm´ und führe mich nur fort! (Bach).

 

Wenn es um´s Ganze geht, geht es immer um den Tod, es geht immer um die Endlichkeit und kein Nachdenken ist davon un-betroffen; Die ganz großen Denker (Sokrates, Platon, Augustinus, Hegel, Heidegger) sprechen das an, d.h. sie stellen sich der Endlichkeit und fliehen nicht. Die Flüchtlinge vor der Endlichkeit sind freilich zahlenmäßig im Übermaß (die Sophisten, die Eudaimonisten, jene, die der Erdgeist gebiert, die Heilkünstler, usw. und insgesamt die potenzieten Positivisten).

 

Szenenwechsel

 

Solange die Endlichkeit nicht tatkräftig zuschlägt, ist sie nicht (wird verdrängt), wenn sie zuschlägt "ist" sie (unausweichlich) - ein Fixiertes, ein absolutum, seiend, reinste Wirklichkeit - meint man, fühlt man, fühlt sich auch dabei heroisch, es so zu sehen.

 

Szenenwechsel II - Introitus

 

Die Endlichkeit gilt als fixiert. Fixiert sein heißt: ein Seiendes sein - heißt: es ist (wirklich). Endlichkeit ist damit ein Letztes, eine unhintergehbare Gewissheit und (scheinbare) Wirklichkeit, die gerade nicht nur theoretisch, sondern praktisch erfahren wird - meint man. Ein Endliches heißt auch jederzeit ein Beschränktes oder ein Begrenztes, es hat seine Begrenzung am anderen, es hört dort auf, wo das andere anfängt und ist. Ich - ich bin nur, weil da ein Du, ein Wir ist. Dieses ist dieses, weil dort ein jenes und jenes ist, weil ein anderes - ad infintium. Das Endliche hat somit seinen Grund nicht absolut in sich selbst, es ist sich nicht selbst seine Geburt, nicht selbst sein Beginn, Anfang und Ursprung. Ich selbst - stamme her..., bin von..., komme aus..., bin bestimmt von... usw.

 

Das Endliche - der Tod - ist fixiert und so bleibt man in dem stehen, was seinen Grund nicht in sich selbst hat. Man nimmt das Endliche als ein Absolutes, als ein Festes, als ein Unhintergehbares, man nimmt das Vergängliche als ein Fixum.

 

Aber: das Endliche (der Tod) "ist" nicht! Das Endliche überhaupt ist ein Übergehen und Übersichhinausgehen und damit ist das Endliche kein Wahres, der Tod überhaupt kein Wahres.  Der Tod ist damit Moment - kein Seiendes! Damit ist gesagt: der Tod, der Vernichtiger alles Seienden, ist selbst vernichtigt. Diesen Gedanken zu fassen, in den Begriff zu bringen, ist das höchste Philosophieren.

 

Nicht Fest-zu-halten gilt hier als General-Moral in eminentem Sinne. Am Endlichen hängen zu bleiben, an ihm zu hängen wie an einem Letzten - ist schon die Ur-Sünde, eine Eitelkeit sondergleichen. Wenn sich diese Eitelkeit potenziert - und wer wollte das heutigentags redlich bestreiten? - ist das Böse verwirklicht. Am Äußersten der letzten Entfernung - ist auch der letzte, also der höchste Wendepunkt - Peripetie! Ist das eine Notwendigkeit? - es scheint so zu sein.

 

 

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Der begriffene Begriff

 

 

Dass der Begriff mit seiner Wirklichkeit kongruiere, sei die Wahrheit (Hegel). Wahrheit ist daher kein Abgestelltes, Abstraktes, sondern eine Bewegung. Es frägt sich, wer dieses "Wir" eigentlich sein soll? Sind es die Mitwisser, sind alle an sich Mitwisser und meistens nicht für sich Mitwisser? Was hat man von dieser Mitwisserschaft? Folgt daraus "...nichts anderes als,..."? Was weiß man, wenn man die Wahrheit weiß?

Er ist schon, unmittelbar - aber daher noch nicht wahr. Was da so ist oder einfach vorhanden sich findet, zeigt sich un-entwickelt, noch nicht heraus-gesetzt oder: gesetzt. Die Wirklichkeit ist noch nicht so umgebildet, sodass sie sei: kongruent mit dem Begriff. Das Umbilden zeigt sich nicht als ein subjektives Tun; das sollte längst klar sein. Was heißt eigentlich: etwas ist klar? Prozesse der Selbstverwirklichung sind bei Hegel nicht gerade die, die das "Man" vermeint. Klarer sehen hieße, als Vorschlag, Zusammenhänge sehen können. Es ist nicht klar, was oder wie ein Selbst ist - was weiß man, wenn man das klar wüsste? Was folgte daraus? Das Voreilige ist immer prekär, es lässt sich niemals vertilgen, aber zurückpfeifen. Am Ende geht es also um eine Beweglichkeit im Kategorialen, das ist das, was ständig negativ anwesend ist, aber selten gesetzt wird. Klarheit ist nicht und kann es nicht sein, ein bloß Formelles. So ist es gerade, was mehr als paradox anmutet, Hegel, der die Anderen sucht. Der abstrakte Formalismus bekennt sich nur leer zu den Anderen, er ortet sie in einem toten Jenseits. Hegel aber sieht den "lebendigen Geist" am Werk, einer, der sich nicht scheut, der sich nicht sicher stellt und abstellt, einer, der nicht schon der tote ist. Trennt man verständig den Geist von seiner Verwirklichung, also seiner Lebendigkeit - die nur ist, wenn sich auch, und das vergisst man so häufig, die eigene Seele bewegen lässt (sie kann auch fast schier unbeweglich bleiben), - und man muss hinzufügen: die toten Formen liegen als selbstverständliche herum wie totes Geröll - und man muss weiters hinzufügen: wäre jenes Trennen aktuiert, wäre schon Bewegung, wenigstens im Ansatz - ist der lebendige Geist im Begriff, abzusterben. Das Ganze also zu atomisieren und in bereit gestellten Totenkammern zu mumifizieren, ist, wenn absolut gesetzt (hier im Sinne des Insistierens), die unwahre, endliche oder Auffassung des Verstandes. Den Verstand zu begreifen heißt dann bei Hegel eben die Vernunft. Der Geist sei als Idealität zu bestimmen. Weder ist hier die abstrakte Identität, d.h. das einfache Insichsein noch und schon gar nicht das bloße Außersichsein hinreichend. Idealität kennt das Anderssein als ein aufgehobenes, als ein Moment des Ganzen, darin liegt, es ist kein Seiendes und es ist aufbewahrt, kein restlos Fixiertes. Sich selbst zugleich sein Anderes sein - ist die Überwindung der reinen Äußerlichkeit. Das Allgemeine bleibt somit im Einzelnen ge-wahrt, ist seine Wahrheit - es ist ein, wie Hegel sich ausdrückt: in-sich-Reflektiertes und damit Für- und Beisich-sein. Der Geist lebendigt sich als ein im Außersich-sein zugleich Insich-Zurückgekehrtes und ist damit Subjektivität. Etwas "empfinden" heißt dann eine Gesamtheit empfinden.

Idealität ist der Geist in seiner Bestimmtheit - das ist, dass die Äußerlichkeit negiert und aufgehoben ist, dass das Äußerliche keine losgelöste Wirklichkeit hat, dass es kein Selbstständiges an und für sich ist. Die Welt in ihrer Äußerlichkeit hat keinen Selbststand, sie ist nichts Absolutes. Die Äußerlichkeit wird auf die Innerlichkeit zurückgeführt. Einen Hinweis zum Verständnis des Geistes gibt Hegel selbst an mehreren Stellen, so sagt er, dass der Geist "Ich" sei. Dabei ist noch völlig unklar, was ein Ich ist. Es handelt sich in der Philosophie grundsätzlich immer im Wesen um Grenzbegriffe, um "formale Anzeigen" (Heidegger). Der philosophische Begriff ist daher immer ein lebendiger, einer, der sich erst erfüllt im Gehalts-, Bezugs- und Vollzugs-Sinn (Heidegger). Ich sei ein Allgemeines, meint Hegel, denn jeder ist ein Ich. An genau dieser Stelle wird es ganz wesentlich sein, sich länger aufzuhalten. Daher folgt in Kürze ein Sich-einlassen auf das, was mit dem Erkennen, dem Ich und dem Selbst eigentlich schon am Werk ist. 

 

 

Gedanken zur  Identität in der Differenz - von der Unendlichkeit

 

 

Erkennen ist immer: etwas erkennen. Man weiß das und nennt es Intentionalität, die Gerichtetheit auf etwas, auf ein Objekt, egal, worum es sich handelt. Überall gibt es dann Objekte des Erkennens, die Welt, glaubt man, sei damit vollgestopft. Ich kann mich auch selbst zu meinem Objekt machen: mein Empfindungen ausdrücken, meine Befindlichkeit artikulieren, Gedanken formulieren, meine körperlichen Vorgänge mir klar machen usw. Ich kann mich selbst auch zum Objekt meines Erkennens machen wie ich andere Objekte in der Welt erkennen kann. Ist der Erkennende auch bloß ein Objekt, obzwar unter gewissen Umständen er solches sein kann? Die Objekte meines Erkennens gibt es für mich, ich habe Bezug darauf, sie sind, diese Objekte, daher "für mein" Erkennen, da ist eine Beziehung, ich bin offen für diese Objekte, durchlässig für die Welt, porös. Ich weiß, dass der Stein das nicht kann, dass es für ihn nicht diese Offenheit gibt, dass er ganz verschlossen bleibt. Ich bin als Ich in der Lage, das Andere als ein Anderes in mich aufzunehmen, es kann in mich eintreten und ich kann es gewähren lassen, das Andere kann sich in mir einräumen in dem Sinne, dass es Raum ergreift und sich selbst vorstellig macht und so sich zeigt wie es an ihm selbst ist. Das ist großartig! Da kann eine ganze Welt in mich hereintrampeln und sich vorstellen und ich habe die Fähigkeit, das gewähren zu lassen, bei diesen Vorstellungen ganz bei mir selbst zu sein, das Andere gewähren zu lassen, sodass es sich zeigen kann. Bei diesen ganzen Vorstellungen bin ich jederzeit und immerzu ganz bei mir selbst, da ist in mir ein verlässliches Invariantes, etwas, das ganz in sich ruht und unbeeindruckt bleibt von diesem lebenslangen Ansturm der Welt-Vorstellung. Die Welt fällt jederzeit in mich herein und kann mir eigentlich nichts anhaben. Das auch  ist der Grund dafür, dass sie sich so zeigen kann in ihrem Aussehen (eidos). Es ist etwas in mir, das bleibt und dauert und überdauert, was ständig ruht und also einen unverrückbaren Stand in mir hat: Selbststand. Man sagt auch: es subsistiert.

 

So zu sein ist mein "Ich". Es ist der verlässlichste Partner in meinem Leben. Mein Ich ist nicht wegzubringen, ich kann es nicht umbringen oder wegschaffen, es ist von Anbeginn an da, diese intime Intimität mit mir selbst. Ich kann mich selbst mannigfaltig wahrnehmen und das Wahrnehmbare an mir ist auch mein Ich - aber nicht das ganze Ich und nicht das Ich, dass da noch dahinter lauert. Einfach gesagt: Ich kann mich selbst objektivieren, mich zum Objekt meiner Wahrnehmung machen, aber damit ist klar, dass das, was ich an mir wahrnehme, mein empirisches Ich, nicht das Ich sein kann, das das alles erkennt - das erkennende Grund-Ich im Hintergrund. Wer ist dieses erkennende - und eben nicht erkannte - Ich?

 

 

Das ist die Grund-Frage, denn dieses Grund-Ich begleitet mich auf allen meinen Wegen durch das Leben und sogar darüber hinaus, es ist immer da, wenn ich nachdenke, verloren im Alltag bin, wenn ich handle, wenn ich tätig bin, besonders in der Kunst, etwa in der Musik. Ich weiß auch ganz genau - und es ist das intimste Wissen - dass mein Hintergrund-Ich ständig da ist und gewähren lässt und ich weiß auch, dass es nicht mein empirisches (objektiviertes) Ich ist, denn jenes ist die Bedingung für dieses.

Man nennt in der wesentlichen Philosophie dieses ständige Hintergrund-Ich das reine oder transzendentale Ich. Es ist immer "bei sich" und lässt gewähren. Hegel drückt das in seiner Sprache so aus:

 

"Der Geist ist aber nicht bloß dies dem Lichte gleiche abstrakt Einfache, als welches er betrachtet wurde, wenn von der Einfachheit der Seele im Gegensatz gegen die Zusammengesetztheit des Körpers die Rede war; vielmehr ist der Geist ein trotz seiner Einfachheit in sich Unterschiedenes, denn Ich setzt sich selbst sich gegenüber, macht sich zu seinem Gegenstande und kehrt aus diesem, allerdings erst abstrakten, noch nicht konkreten Unterschiede zur Einheit mit sich zurück. Dies Beisichselbstsein des Ich in seiner Unterscheidung ist die Unendlichkeit oder Idealität desselben. Diese Idealität bewährt sich aber erst in  der Beziehung des Ich auf den ihm gegenüberstehenden unendlich mannigfaltigen Stoff" (Hegel, Enz. III, 21).

 

Hegel exemplifiziert den Geist am Ich. Das "Beisichselbst-sein-bleiben" des Geistes (Ich) in seiner Unterscheidung (Differenz) ist Zeugnis des eigentlichen Subsistierens, ist Zeugnis des absoluten (losgelösten) Selbst-Stand-habens des hintergründigen "Ich". Das Ich ist damit das eigentliche Subjekt, ihm kommt in vollem Sinne "Subjektivität" zu (Selbststand-haben). Und nur weil es sich so verhält, kann eine ganze Welt in diesem Subjekt vorstellig werden, so aber, dass weder das hintergründige Ich, das dabei bei sich selbst bleibt, noch die vorstellige Objekt-Welt verändert oder verformt oder angetastet würde. Die Garantie dafür, dass es eine objektive Welt wirklich gibt, ist das Selbststand-haben oder Beisich-bleiben der Subjektivität (das hintergründige Ich). Derart ist dieses hintergründige Ich vom Ansturm der Objekt-Welt jederzeit auch unbeeindruckt und muss es sein. In obigem Zitat von Hegel ist auch davon die Rede, dass das "reine Ich" (= hintergründiges Ich) niemals objektiviert werden kann, zum Objekt des Erkennens werden kann, nämlich in der Art, wie man sonst objektiv erkennt. Das "reine Ich" ist kein herkömmliches Ding der Erfahrung. Das reine Ich ist aber ständig in Bezug auf die Welt in meinem Erkennen und Handeln und Welten anwesend - eben hintergründig. Hegel nennt das das "Bewähren".

 

Anders gesagt: Es ist in mir etwas ganz Wesentliches da, was zugleich auch nicht da ist. Das ist das reine Ich. Jeder erfährt das "an sich"; es kommt vielleicht darauf an, es auch "für sich" zu erfahren.

An dieser Stelle zeigt sich auch, wie sehr das "Nichts" maßgeblich am Sein beteiligt ist.

 

Was sind die Folgen? Ich erkenne in meinem Erkennen und Handeln und Tun in der Welt nicht nur die Welt da draußen, sondern mir ist ganz klar mitbewusst, dass "Ich es bin", der da handelt, tut und erkennt, empfindet und transzendiert. Ich weiß dabei um ein Moment in mir, das immerwährend "bei sich" bleibt und in aller Veränderung unverändert ist - in echtem Sinne Selbst-Stand habend ist. Insofern ich die Welt erfahre und erkenne, erfasse ich auch in diesem Erfahren und Erkennen, dass "Ich" ein Erkennender und Erfahrender dabei bin - das ist eine intime Mitwisserschaft in meinem Welt-Zugang und diese Mitwisserschaft um meinen Ich-Status hat immense Folgen. Denn ich kann diese unhintergehbare Gewissheit nicht durchstreichen, sie ist elementarstes Datum meiner Welt-Transzendenz. Was ist damit gemeint? Es ist damit  das un-bedingte Moment im menschlichen Dasein angesprochen. Was ein Bedingtes in der Welt ist, wissen wir jederzeit, denn wir selbst, ich selbst, bin jederzeit bedingt, stoße also an Grenzen, bin mir bewusst, vielfach abhängig zu sein, ich bin, mit Heidegger gesprochen: geworfen. Diese vielfache Bedingtheit, dieses vielfache Begrenzt-sein ist aber nur möglich (und gerade im Erkennen möglich), wenn ich über die Grenze schon hinaus bin. Grenzen kann es nur für das Un-Begrenzte geben (auch ein Hegelscher Gedanke). Das Nicht-Bedingte und also losgelöste (absolutum) Moment ist im Ich das "reine Ich", das erkennende Subjekt. Un-bedingt sein heißt wesentlich: aus sich selbst heraus sein und zugleich wesentlich bei-sich-sein, bei-sich-bleiben im Anderssein. Das Anders-sein setzt gerade ein Bei-sich-sein-können als Subjektivität voraus. Wenn das jederzeit Bedingte in der Welt das Begrenzte und an Grenzen Stoßende genannt sei und somit dort endet, wo das Andere "ist", so zeichnet sich das "reine Ich" gerade dadurch aus, grenzen-los zu sein, gerade nicht da zu enden, wo das Andere ist, sondern das Andere kann sich nur als Anderes zeigen und konstituieren, wenn es sich in einem Unendlichen zeigen kann - und nur da kann es sich so zeigen, wie es an ihm selbst ist (das ist eine etwas andere Definition der "Liebe"). Das absolute Moment, oder was dasselbe bezeichnet, das un-endliche Moment im Menschen kann daher das "reine Empfangen" genannt werden. Weil ich mir jederzeit meiner Mitwisserschaft mit mir selbst bewusst bin, deshalb kann das Welt-Spiel, dass es überhaupt "etwas" gibt, dass es Objekte für Subjekte gibt, anheben. Durch das Bei-sich-sein im Anders-sein, durch die "Identität in der Differenz", geschieht es, dass der nötige Abstand zum Objekt ge-wahrt wird und Wahrheit ist. Erst durch den Abstand kann sich etwas als etwas zeigen. Die Distanz ist also die Bedingung der Möglichkeit, dass es da etwas als etwas gibt.

Entscheidend ist jetzt, dass ich für mich selbst auch Objekt meiner Erkenntnis sein kann und hier wird sofort klar, dass da eine "Subjekt-Objekt-Identität" waltet, eine Identität in der Differenz. Ich bin mir Subjekt und Objekt zugleich - identisch. Im Ich waltet diese Identität, die man sonst als Hirngespinst des Idealismus ablehnt. Das Subjekt ist mit dem Objekt: eins, hier ist tatsächlich schon vollbracht, dass das Sein ganz bei sich selbst ist, wo das Erkennen (die Subjektivität) mit dem Sein (der Objektivität, der Wirklichkeit) zusammen-schlägt (pulsiert). Was daher das "Sein" (die Wirklichkeit) sein soll, weiß ich in Grunde oder besser gesagt: am Grunde meiner Selbstbewusstheit, dieser Identität in der Differenz. Nun aber ist "Sein" überhaupt, wie es heißt, ein "transcendens" und aus dem Bisherigen folgt, dass "Ich" mit dem Sein, also der Wirklichkeit, bestens bekannt, ja identisch bin. Ich bin die Wirklichkeit! Man muss diese Einsicht wirken lassen, sie besagt nicht, dass mein empirisches Ich alle Wirklichkeit sei und meistens wird das Ich empirisch genommen. Subjektivität ist, wie aus dem Bisherigen folgt, diese Dimension, in der etwas als etwas für mich ist. Derart verfasst bin ich in der Lage, von allem, was es für mich gibt, zu abstrahieren, d.h., ich kann mich von allem distanzieren und so kann ich mich auch von mir selbst distanzieren, mich als Objekt (empirisches Ich) erfassen - Ich bin also nicht nur mein empirisches Ich. Erst diese Distanzierungspraxis ist die Bedingung der Möglichkeit, dass ein Ansich für mich auftritt, antritt und vortritt. Dieses Moment ist zwar immer actuiert mit dem Objekt, aber nicht aus ihm ab- oder herzuleiten, es ist das für sich selbst gegenwärtige Sein, Selbststand in eigentlichem Sinne habende - es ist der in sich un-bedingte Geist. Un-bedingt heißt: dieses Moment ist unhintergehbar, es zu leugnen würde es wiederum voraussetzen, es ist weiters nicht den Bedingungen unterworfen, die der Objektwelt inhärieren, es ist daher das Moment des Für-mich-selbst-gegenwärtig-seins.

 

Somit ist der Geist trotzt seiner Einfachheit, wie Hegel schreibt (Zitat), zugleich ein Insich-Unterschiedenes und die Unendlichkeit des Geistes liegt genau darin, im Anderssein schon immer zu sich selbst zurückgekehrt zu sein, an sich gekehrt zu sein, bei sich zu sein im Anders-sein.

 

Vom "Ich" zu sprechen heißt immer vom "Geist" zu sprechen; wird diese geistige Dimension unterschlagen, wird genau jenes Moment unterschlagen, das den Menschen zum Menschen macht. Die Leistung des Geistes besteht nun gerade darin, dass er ungetrübt in seinem Außersichsein haust, dass er zwar in das Außereinander hineingerissen wird, aber davon selbst unberührt bleibt. Er zieht durch die Welt und kontaminiert dieselbe mit seinem Anspruch der Allgemeinheit. Wo der Geist weht, sinkt der Anspruch des vermeintlich seienden Außereinander in sich zusammen - das ist die Macht des Geistes. Das nennt Hegel die "Idealisierung" der Dinge. Darunter ist nicht zu verstehen, dass der Mensch sich eine ideale Welt baut, dass er sich in idealen Vorstellungen usw. herumtreibt und die wahre Wirklichkeit verdrängt - im Gegenteil. Die Idealisierung ist kein menschliches Unternehmen, sondern ist die ἰδέα selbst, sich vollbringend. Die ἰδέα setzt sich selbst ins Werk, verwirklicht sich, stellt sich dar und wie sich die ἰδέα darstellt, diese Weise ihrer Darstellung im Innersten aller Dinge, ist das zusehende Erkennen und erkennende Zusehen. Derart ist der erkennende Geist absoluter Geist. Jetzt erst ist der Geist nicht mehr nur abstrakt, sondern konkret, indem er diese Darstellung der ἰδέα erkennt.

 

Der lebendige Geist scheut sich nicht, zieht in die Fremde und bleibt in der Fremde bei sich, verbürgt so das Fremde als Fremdes und ist der Zurückgekehrte in sich in der Fremde und so ist das Andere als Anderes und doch kein solches, welches (absoluten) Selbststand hätte und damit ist der Geist durch Anderes hindurch zu sich zurückgekehrt. Die Einheit von Subjektivität (Erkennen, Fürsichsein) und Objektivität (Wirklichkeit, Ansichsein) ist aber schon im "Ich" geleistet, diese Identität in Differenz ist schon am Werk.

 

Woher kommt der Geist? Die Antwort nach Hegel kann nur sein: aus sich selbst. Er macht sich selbst Voraussetzungen und aus jenen bringt er sich selbst hervor (Denken und Sein) und ist daher die Wahrheit jener. So ist er auch und muss es sein: der sich entfremdete Geist. Der Geist findet sich in einem fast zur Gänze Außereinander, in einer Fremde ohne Einheit - so scheint es wenigstens; der Geist selbst scheint in dieser Fremde und ist derselben Anlass. Dass der Geist hervorgeht, ist seine eigene Entwicklung. So kommt er zu sich, der "verloren scheint".

 

Die wahre Substanz in aller Welt ist daher der Geist, denn er ist in seinem Wesen die Freiheit selbst; frei sein heißt Nicht-abhängig-sein; das ist nur dort verwirklicht, da keine Grenzen sind, der Geist ist grenzenlos, aber nicht abstrakt grenzenlos, der Geist kennt die Grenzen, aber sie haben keine Macht über ihn, der Geist flutet sozusagen die Grenzen und bleibt dabei bei sich, unbeeindruckt, er ist negativer Geist, er kennt die Differenz, so ist er "konkret-lebendig" und scheut sich nicht. Frei sein kann nur etwas, wenn es aus sich heraus, un-abhängig, west, ein Sich-auf-sich-beziehen bleibt in aller Differenz; Wahrhaft frei ist nicht die abstrakte Freiheit, die sich nie traut, sondern die konkrete Freiheit, die sich eben verwickelt, das Endliche nicht scheut und in aller Verwicklung sich rein erhält. Der Geist ist jene Kraft, die in sich Widersprüche, Differenzen, das Anderssein aushalten kann und bei sich bleibt: das Wesen des Geistes ist es, der unberührbare Berührte zu sein und so erst ist er wahrhaft frei. Die abstrakte Freiheit, die sich bloß scheut, ist voller Angst, erst die ausgelieferte Freiheit ist die wahre Freiheit. Das enthält, dass auch in der größten Verirrung der Geist an und für sich bei sich bleibt, auch noch Geist als Geist ist.

 

Dass der Geist in seinem Wesen so sei, das ist er zwar an sich, seinem Begriff nach, das alles aber ist hervorzubringen, es liegt nicht unmittelbar da und ist nur aufzugreifen, sondern der Geist ist eine geschichtliche Bewegung zu seiner von ihm selbst initiierten Fahrt in seine Freiheit. Als Hervorbringer seiner Freiheit bewegt sich der Geist und findet keine Ruhe; solange nicht, bis die Formen des Geistes diesem, seinem Begriff entsprechen. Die "Entsprechung" des Seins mit dem Denken, des Denkens mit dem Sein, des Begriffs mit seiner Realität und der Realität mit seinem Begriff - ist der begriffene Begriff.

 

 

 

 

 

Momente der ἰδέα

 

 

Momente der  ἰδέα die Notwendigkeit gehörig zu begreifen, welches Begreifen der "Begriff" heißt, ist das Philosophieren. Die Frage, was das Philosophieren überhaupt sei - Was ist das - die Philosophie? (Heidegger 1953) - beantwortet sich im Begreifen der Notwendigkeit, die in sich Freiheit sei. Das Freie ist damit überhaupt die Form des Philosophierens, sie ist Totalität, wie Hegel auch sagt und meint damit, dass der Begriff alles einbegreift, ein Gesamt, das nicht abstrakt abgestellt sein soll (Verstand), sondern in sich un-endlich bewegt sei. Somit ist das Philosophieren keine bloß subjektive (im schlechten Sinne) Angelegenheit, etwa ein Entschluss zu solchem, sondern immer ein "Ereignis" (Heidegger); man kann auch sagen, eine unheimliche Macht. Un-heimlich deshalb, weil das Heimliche im Sinne des allüberall Fixierten, was für ein Festes gilt, was die Philosophen oft Seiendes nennen und das uns für ein Gegenüber-Stehendes, für ein Selbstständiges gilt, seine Heimlichkeit im Sinne der Unhinterfragtheit verliert: die Welt ist restlos fraglich geworden. Das ist auch der Standpunkt des Skeptizismus. Aber - und dieses "Aber" ist alles entscheidend: Das Philosophieren ist nur dann und dann ein wahrhaftes, wenn es totalitär und einbegreifend waltet (vgl. Heidegger, 1929/30); im Übrigen vielleicht die tiefste seiner Vorlesungen). 

 

 

Szenenwechsel

 

 

Was Welt "war" ist jetzt schon rückblickend gesprochen. Sie, die Welt, welcher Welt-Begriff hier nicht dargestellt ist, ist ge-(Wesen); was ge-(Wesen), ist nicht vorbei und erledigt, sondern an-(Wesend). Damit nähert sich die Betrachtung einer weiteren Un-Heimlichkeit, der Zeit und ihrer Zeitigung, in dem Sinne, dass das Zeitliche illusionär, oder, dass es Moment sei. Die Illusion ist nicht Nichts im Sinne des nihil negativum, im Gegenteil, sie ist Offenbarung. Die Formel: "Es wird darauf ankommen..." - hat absolute Gültigkeit und es ist zu sehen, gerade an welchen Bruchstücken Aufenthalt genommen wird. Anders gesagt: Mit dem Philosophieren ist es daher eine Ὀδύσσεια, aber diese Irrfahrt ist eine notwendige (siehe oben zum Begriff der Notwendigkeit) Irrnis, eine, oder besser gesagt "die" Freiheit. So ist auch - welches "ist" nicht mehr das alte, abgegriffene sei, die alte Welt "Moment" der ἰδέα; nicht eine so und so bloße Einbildung, obzwar das Ein-Bilden nicht als bloßes, sondern gerade als originarium genommen sei. Ideell heißt ein Moment, das vorerst auf ein Anderes im absoluten Sinne hinweist, von dem man erst viel später mitbekommt, dass es gar kein Fremdes und Äußerliches, sondern das Wirklichste des eigenen Wirklichen - nicht des schlechten Eigenen, sondern des Eigenen im Sinne des "Eigentums" - ge-Wesen.

 

 

"Begriff" ist missverständlich, die Vorstellung, wenn es überhaupt zu einer Vorstellung kommt, bleibt die formelle. Diese Vorstellung kommt aus der Spannung Form und Inhalt insofern nicht heraus, als es diese beiden einander strikt trennt. Der Begriff aber ist "principium", ein Erstes, der Anfang und als solches der Ursprung, die erste Sache, die Ur-Sache. Die Ur-Sache hat keinen Anfang, sie beginnt nicht und weil sie nicht beginnt, hört sie auch nicht auf. Die Ur-Sache entwickelt sich deshalb, und zwar das, was schon da ist. Dasein ist hier vorerst als Vorhandensein gemeint, als existentia, aber Dasein hat hier auch die tiefere Bedeutung des Seins des Da, dass das Sein sich lichtet (Heidegger). Das, was schon da ist, ist dann auch zugleich insofern nicht da und dieses Nicht-Dasein ist das eigentlichere Dasein, das ständig An-Wesende. Das heißt, dass der Begriff kein Entstandenes ist. Der Begriff hat bei Hegel daher universelle Bedeutung, es ist nicht der Mensch, der dann und wann Begriffe bildet, es ist umgekehrt: der Begriff bildet den Menschen und wäre der Begriff nicht in sich tätig, wäre der Mensch kein Erkennender. Daher kann und muss man sagen, dass es der Begriff ist, der Wirklichkeit entlässt. Allgemeinheit - Besonderheit - Einzelheit, um diese Momente in ihrer Einheit ist es zu tun, um das, was sie einigt.

 

Dass das Gewordene das Ursprünglichere sei und das Nicht-Bedingte, also das Absolute, ist der Begriff als allgemeiner. "Es ist die Seele des Konkreten, dem es inwohnt, ungehindert und sich selbst gleich in dessen Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit. Es wird nicht mit in das Werden gerissen, sondern kontinuiert sich ungetrübt durch dasselbe und hat die Kraft unveränderlicher, unsterblicher Selbsterhaltung" (Hegel, Logik II, Lehre vom Begriff, 35).

 

 

Ein Nicht-Bedingtes, ein Notwendiges. Sich über das Notwendige gehörig zu verständigen (Hegel, Logik III), hat allererstes Interesse. So ist es so, dass es, das Notwendige, zuinnerst einfache Beziehung auf sich ist. Damit fällt die Bedingung durch Anderes weg. Wohin drängt die Notwendigkeit, hat sie ein Ziel, einen Zweck, liegt derselbe verborgen, ist sie blinde Notwendigkeit? Es scheint, dass allüberall eine blinde Notwendigkeit am Werk ist, ein teleologischer Gesamtzusammenhang fehlt. Man hat diesen zu suchen sich abgewöhnt. Bedenklich dabei bleibt, dass das Suchen unbeirrt davon bleibt. Nach Hegel bleibt das Blinde freilich ein Schein, insofern die Notwendigkeit noch nicht begriffen ist, das Ansich noch kein Fürsich und damit ein An-und-für-sich. Die Wirklichkeit als eine durch und durch notwendige zu betrachten, scheint dem Freiheits-Gefühl (nicht Begriff) reflexartig zu widersprechen. Μοίρα - die Notwendigkeit ist schicksalshaft. Es liegt darin, scheint es, kein Spielraum und die Vorstellung (nicht der Gedanke) ist die der Un-Freiheit. Im Geschick liegt dennoch gerade "die" Freiheit. Inwiefern? Unfrei ist gerade jene Haltung, die sich in einer Differenz verrannt hat. Man bemerkt eine Differenz zwischen dem was "ist" und dem was sein "soll".

 

Die μοίρα kennt diese Differenz nicht: so wie es ist, soll es auch sein - wie es sein soll, so ist es auch. Das ist ein harte Auflage für den Verstand. Ein Gefühl für Freiheit hat hier keinen Platz, daher auch kein Schmerz und kein Leid - denn: alles ist so wie es sein soll und es soll so sein wie es ist. Völlig fern ist in dieser Überlegung der Maßstab des endlichen Wollens und Empfindens zu halten. Gerade der Mensch (heute mehr denn je) nimmt sein persönliches Befinden zum Maß aller Dinge, das ist aber der voll-endete (im Sinne der Endlichkeit) Absolutismus, also ein durch und durch gottlose Haltung. Überhaupt ist die endliche, unmittelbare Subjektivität und ihre Bewegung als mit Freiheit identifiziert - das Gegenteil ist gerade der Fall: die sich so als frei fühlende Subjektivität ist in sich un-frei, erstens aufgrund ihrer nicht getilgten Differenz die, zweitens, in ein beständiges Insistieren ausläuft. Der Bruch des endlichen Absolutismus (unübertroffen bei Hegel im Kapitel des "Unglücklichen Bewusstseins" dargestellt) liegt gerade in der gedoppelten Auf-Gabe der Person. Endliche Subjektivität hat daher zu ihrer Wahrheit die un-endliche, das ist eine solche, die die Sache an ihr selbst und einfach gewärtigt. Die Person, wenn man so sprechen will, hat nicht nur einen Wert nach endlichen Maßstäben, sondern einen un-endlichen und dieser un-endliche Wert liegt darin, dass alle Endlichkeit darin schon aufgehoben ist. Das zu begreifen kommt einer unerhörten Reflexion gleich. Es bedeutet auch (nicht nur und letztlich gar nicht mehr) Folgendes: Was immer mich auch treffen mag, trifft zwar mich, aber ich bin nicht nur mein empirisches Ich. Das zu begreifen ist von höchster Wichtigkeit. In der wichtigen (wesentlichen) Philosophie spricht man auch von einem transzendentalen Ich oder von einem reinen Ich. Es ist dies die Schwelle des Übergangs, der Standpunkt des Übergangs, nämlich einzusehen, dass eine substantielle Invariante in mir haust, das ist der Standpunkt auch der Un-Endlichkeit oder auch der Standpunkt des Geistes. Was immer mich auch trifft, ist schon aufgehoben - das ist der höhere, geistige Standpunkt und ist zugleich in seiner höchsten Form der religiöse. Darin liegt, dass in der Tat in dieser höheren und eigentlichen Dimension kein Platz für die sogenannte Freiheit der Endlichkeit liegt. Freiheit und Notwendigkeit sind bloß Gegensätze in einer beschränkten Form, also tatsächlich in der Form des endlichen Verstandes. Dieser Widerspruch löst sich im Geist auf. Es hat daher etwas Schiefes, noch von Freiheit und Notwendigkeit in der geistigen Dimension zu sprechen, hier wird dann das an-und-für-sich Un-Endliche endlich kontaminiert. Was mich trifft, trifft mich - das ist überhaupt kein Freibrief für Willkür und Anarchie und heißt überhaupt nicht, dass der Weltzustand so wie er ist und wie er sich zeigt, "gut" wäre. Dass die Dinge sind wie sind und so sind, wie sie sein sollen, das ist in der Tat eine "höhere Logik" als die bloß verständige. Der Verstand hat es an sich, dies nicht zu begreifen - das ist seine Endlichkeit, in die er verstrickt bleibt. Es ist hier die Stelle, an Hiob zu erinnern, an diese ganz wesentliche Erzählung über Recht und Unrecht, über das, was einem widerfährt und worin er zugleich sein Un-Endliches hat. Am Ende zählt nicht, was einem widerfährt, sondern es ist die Haltung, die wir einnehmen, es ist der Standpunkt, von dem her wir die Dinge sehen können oder auch nicht. Am Ende spricht bei Hiob der Herr selbst und darin liegt eine ungeheure Notwendigkeit, dass es so ist wie es ist. Wäre hier eine Möglichkeit, so oder so, es wäre wider dem Herrn. Mit keinem Wort geht der Herr auf das Schicksal von Hiob ein, dem nach endlichen Maßstäben alles Schreckliche widerfährt. Hiob erfährt was er erfährt, er bekommt nur sich selbst zu genießen. Der erste Reflex der endlichen Subjektivität ist die Suche nach einem Schuldigen - hier aber wird schnell klar, dass der Schuldige Gott selbst ist, der Hiob versucht. Aber das Suchen nach Schuldigen ist in der Dimension der Un-Endlichkeit sinnlos. Somit ist auch Gott kein Schuldiger. Wer ist es dann? Die Frage selbst zeigt sich als sinnlos. Hiob vollzieht hier den Bruch des endlichen Absolutismus und gewinnt eine ungeheure Freiheit, indem er die Notwendigkeit anerkennt. Was ist das für ein Gott, der das zulässt? - die alte Frage der Theodizee. Tatsächlich muss man diese Dimension eingehend wirken lassen. Am Ende ist alles so wie es ist und wie es sein soll - das ist die Botschaft des Hiob. Dazwischen liegt eine wirklich nicht geheure, also eine un-geheure Vermittlung und auf diese wird es ankommen. Diesem: am Ende ist alles so wie es ist und sein soll - liegt eine, oder "die", wesentliche Vermittlung zu Grunde (das sei vorausgesetzt). Diese Vermittlung ist aber keine des endlichen Verstandes mehr. Das Missverständnis kommt gerade dann und immer dann ins Schwingen, wenn der endliche Verstand darauf vergisst, dass er bloß endlich ist; er vergisst darauf erstens, weil er sich selbst absolut setzt und sich also maßlos über-schätzt, und er vergisst darauf, dass er Moment des Geistes ist, also in sich un-endlich, so unterschätzt er sich maßlos. In dieser gedoppelten Abschätzung insistiert er heillos hin und her und setzt endliche Maßstäbe absolut. Dass in der Notwendigkeit selbst die äußerste Freiheit liegt, kann dieser Verstand nicht begreifen. So bleibt er ein Getriebener, denn er ist Geist. Not-Wendigkeit ist nicht nur ein Wort, es ist Begriff, Geist, Idee. Das ist dann freilich die freie Perspektive, eine Freiheit, die nicht unbewegt sein kann, ist doch der Geist das jederzeit Bewegte. 

 

Es ist an dieser Stelle auch daran zu erinnern, wie Hegel sich in der Phänomenologie ausdrückt, das Wahre nicht (nur) als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt aufzufassen. Sich bewegend, bestimmend, tätigend ist der höhere Standpunkt des Wollens, er ist ein Aus-sich-heraus, die Subjektivität ist daher ein Nichtgegebenes, kein Vorgefundenes, es ist eine Bewegung, die sich auf sich bezieht. Wer will, gibt sich nicht mit dem zufrieden, was "ist". Der Wille kennt daher kein Fixes, ihm ist die Welt ein Schein, ein an sich Nichtiges. Hierin liegt, wie Hegel bemerkt, der Widerspruch, dass sich der verwirklichte Wille selbst aufhängt. Wäre alles verwirklicht, wo bliebe der Wille, wo der Zweck? Dem Willen zum Guten darf daher daran gar nicht liegen sich verwirklicht zu finden, denn er liquidierte sich dadurch selbst - Kennzeichen seiner Endlichkeit. In der Einheit aber dessen was ist und was sein soll, nicht in ihrer Getrenntheit, in der Identität des Seins und des Sollens liegt der an-und-für-sich-seiende Begriff, die Idee. Dass das Sein der Welt jederzeit sich ändert, verschwindet, das macht nur ihre Oberfläche aus, ist aber nicht ihr wahrhaftes Wesen.

 

Für Hegel jedenfalls gibt es einen End-Zweck und dieser End-Zweck ist nicht zu vollbringen, er ist schon vollbracht und sich jederzeit vollbringend. Es ist die Identität von Sein und Sollen, die hier das wahrhafte und daher spekulativ-vernünftige Erkennen auszeichnet. Dieser Endzweck ist aber alles andere als stillgestellt zu denken, etwa als ein abstrakt Allgemeines nach Art des verständigen Identitätsprinzips. Der Endzweck heißt bei Hegel auch das "Gute" und dieses "Gute" ist jener Prozess, der an und für sich schon vollbracht ist. Im Geistigen gibt es daher an und für sich "keinen" Fortschritt. Das ist dann in der Tat gegen alles gesprochen, was der gesunde Menschenverstand so meint und wovon dieser überzeugt ist. Aber der gesunde Menschenverstand kann in der Dimension des Wahren nur untergeordnete Bedeutung haben. So gibt es zwar einen endlichen Willen und dieser hat sein beschränktes Recht, der un-endliche Wille aber ist der schon vollbrachte End-Zweck, das Gute, die Identität von Sein und Sollen. Und so gesehen liegt im Nicht-Tun, im Nicht-Wollen, im Nicht-Streben, darin alles schon getan sei, ein höchster spekulativer Ausdruck dieser höchsten Wahrheit. Das Gute als diese Einheit ist "an-und-für-sich" schon erreicht.

 

In der "absoluten Idee" denkt Hegel keinen irgendwie zu erwartenden, alles entscheidenden Inhalt, einen letzten und höchsten wahren Satz o.ä. Wer solches erwartet, wird grundlegend enttäuscht sein. Hegel kommt am Ende in seiner absoluten Idee wiederum zum Anfang: das Ende ist der Anfang und die absolute Idee die Entwicklung des Ganzen - die Wahrheit ist das Ganze. Das Vorwärts-gehen als Erkennen hat bei Hegel den ganz spezifischen Sinn des Rückwärts-schreitens, des Zurückkommens, des Insichgehens, das Vor- ist eigentlich ein Zurück kommen auf... Es hilft gerade bei Hegel nichts, einige Sätze herauszuklauben, er ist in der Tat sein System und dieses System ist nicht seines. Es hat nur eines Interesse, diese systematische Bewegung mitzugehen. Das Ganze ist das Wahre - diese Idee im Sinne der ἰδέα zu fassen und zu halten, hat man seit Hegel nicht mehr vermocht. Die Höhe, Tiefe und Weite des Reflexions-Niveaus von Hegel ist unerreicht und zugleich unerhört und es ist kein Wunder, dass Hegel an den Universitäten  - man möchte fast sagen zur Gänze - verschwunden ist. Das hat sein Gutes darin, als dass das wesentliche Philosophieren nicht an den Universitäten stattfinden kann und dann ist da noch die Zeit, die man nötig hat, sich dem Wesentlichen zu stellen. Es ist eine ähnliche Geschichte wie mit Heidegger. Die sogenannte Heidegger-Kontroverse kann man zur Gänze zur Seite schieben mit der Bemerkung, dass sowohl die Gegner als auch die Verteidiger der "Sache" abhanden gekommen sind - und nur die "Sache" ist alles entscheidend. Für die Sache benötigt es Zeit und Stille - beides scheinen Güter im Sinne auch des Guten zu sein, die völlig im Verschwinden begriffen sind. Die wahre Auseinandersetzung findet dort statt, wo nicht mehr nur ein Subjekt etwas denkt oder versteht, sondern wo der Geist eine Stätte der Gehörsamkeit (potentia oboedientialis) findet. Erst dann ist das Philosophieren am rechten Ort, da es stattfindet - das Zwiegespräch des Geistes mit sich selbst. Hegel als Person war völlig unbedeutend und sollte jemals was von dieser Person gesprochen sein, ist es zu vergessen. Hegel aber als einer, der die Kraft hatte im Zwiegespräch mit dem Geist Stand zu halten und davon zu berichten, ist Zeugnis der unglaublichen Dimension der Unendlichkeit selbst.

 

Alle Formen des Seins und des Sollens, des Ansich-Seins und des Für-sich-Seins, sind somit Formen und Momente des Absoluten - der Inhalt ist das Ganze. Die wahre Methode des Philosophierens ist daher, wenn ich mich recht er-innere; Er-Innerung ist ein Innerlich-werden und somit bleibt dem Wissenden, wie Hegel auch sagt, nur das bloße Zusehen; sicher auch und noch innerlicher: das reine Zuhören.

 

Der Nachvollzug ist daher nie am Ende, sondern das Ende ist wiederum der Anfang; es gilt das Ganze zu begreifen und am Ende hat man nie ganz begriffen; das ist die Endlichkeit, das aber zu begreifen ist der unabgeschlossene Weg. Er ist ein aufgehobener.

 

 

 

 

[...]

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

Hegel und die Geschichte vom unglücklichen Bewusstsein

 

 

Diese Geschichte ist wirklich eine Geschichte, sie hat einen Anfang und sie hat ein Ende. Man könnte mit der bekannten Formel: Es war einmal... beginnen. Es war einmal ein Menschengeschlecht, das sich sehr wichtig nahm, jeder einzelne von diesen Menschen wusste sich als ein Ich, jeder Mensch darin war sehr selbstbewusst und zwar in dem Sinne selbstbewusst wie man es eben meint selbstbewusst zu sein, nämlich zu wissen, dass man ein Ich ist, unverrückbar, man weiß sich selbst und jedes Ich wusste sich gegenüber auch eine ganze ausgebreitete, unverrückbare Welt. Es gab Menschen darin, die hatten mehr Spielraum als andere, ihr Geist war weiträumiger und ließ ihr Selbstbewusstsein in der Musik, der Literatur, der Philosophie oder der Kunst insgesamt zuhause sein. Unter ihnen waren auch die selbstbewussten Religiösen, jene, die an Gott glauben und gerade von denen meinte man allgemein, dass sie nun ihr Selbstbewusstsein aufgegeben hätten, sie hätten sich einem Absoluten, Gott, ergeben und ihr eigenes Leben aufgegeben. Ihr Selbstbewusstsein, so überredete man sich, sei völlig auf die Andacht, auf das Gebet, auf die Ergebenheit, eben auf den Glauben reduziert. Insgeheim belächelte man diese naiven Menschen, die ihr Selbstbewusstsein aufgegeben haben in dieser herrlichen Auf-Gabe und alle Verantwortung, auch für sich selbst, dem einen Gott übergeben hätten. Diese Religiösen nun, die hatten eine Ahnung in sich, die glaubten an den einen Gott, den Vater, an den einen Gott, den Sohn und an den einen Gott, den Heiligen Geist. Augustinus wusste um diese Dreifaltigkeit: de trinitate. Es reicht aber, an diesen einen Gott zu glauben und dem zu folgen, was man vom Pfarrer gesagt bekommt, nämlich einfach gehorsam zu sein. Der eine Gott, der Vater, ist in dieser Ahnung etwas Unglaubliches, er ist die einzige und absolute Wahrheit, ein absoluter Fixstern, der Allmächtige, vor dem man auf die Knie sinkt und bekennt: credo in deum, patrem omnipotentem, creatorem caeli et terrae. Die Religiösen wissen also auf der einen Seite diesen Gott und wissen zugleich auf der anderen Seite sich selbst als Geschaffenen, wissen sich als Sterblichen, Vergänglichen, wissen sich als Geschöpf dieses Gottes, wissen sich selbst so als einen Einzelnen, Vergänglichen und diesem Gott gegenüber. Die Religiösen wissen für sich: Ich bin nicht Gott, aber alles Wesentliche ist der Gott und ich selbst bin eigentlich unwesentlich, eigentlich gesehen, sub specie aeternitatis. Da ist dieser Gegensatz, auf der einen Seite der unwandelbare, wesentliche und ewige Gott, auf der anderen Seite der vergängliche, wandelbare und eigentlich unwesentliche Mensch. Die Ahnung des Religiösen kennt diese Gedankenform, sie ist in seinem Denken selbst vorhanden, in einem einzelnen Menschen, in einem einzelnen Bewusstsein, von welchem Bewusstsein auch der Religiöse überzeugt ist, dass es bloß ein einzelnes sei, nämlich bloß sein eigenes, sein eigenes und verschwindendes, unbedeutendes Bewusstsein.

Wirklich wahr ist der Gott, der Unwandelbare, er ist das Wesen, das, worauf es wirklich ankommt. Dem Wesentlichen steht das Unwesentliche gegenüber, die endliche und vergängliche Welt und in ihr die Menschen - so denkt man. Eigentlich sind sich diese Welten einander fremd, es sind zwei Extreme, die gegeneinander auftreten. Der Religiöse weiß um diese Sachlage und er selbst stellt sich auf die Seite der unwesentlichen Welt, weiß, dass er ihr zugehört, dass er selbst im Angesicht des ewigen Gottes unwesentlich ist. Der Religiöse weiß aber, dass er an Gott zu glauben hat, dass er sich dem Ewigen in die Hände zu werfen hat, dass er den Weg zu Gott vor sich und ihn zu gehen hat. Der Religiöse soll sich von allem Unwesentlichen, also auch von sich selbst, mehr und mehr befreien und sich dem Wesentlichen annähren. Seltsam kann es sein, dass dem Religiösen dann und wann auch aufleuchten mag, dass er selbst irgendwie "unwandelbar" sei, dass sich sein ganzes Leben lang ein Kern, sagen wir Identität mit sich, durchhält, dass er weiß, dass er es ist und war und sein wird, dass er Kind, Jugendlicher, Erwachsener und Alter ist, dass er sich zwar vielfach gewandelt hat aber in dieser Wandlung eine unverrückbare Identität mit sich waltet. Das zu wissen reicht eigentlich, man muss wirklich keine transcendentale Reduktion oder Deduktion vollbringen, um einzusehen, dass der unwesentliche und vergängliche Mensch schon jetzt in die Dimension des Unvergänglichen und Absoluten hineinreicht. Aber diesen Gedanken macht sich der Mensch nicht zu eigen, er selbst würde niemals von sich behaupten, un-endlich zu sein, denn das ist nur Gott, ganz gewiss für den Religiösen. Dass der Religiöse von allen diesen Dingen weiß, macht ihn selbst für sich auch wichtig, er ist zwar in Gegensatz zu Gott unwichtig, aber weil er um diese Dinge weiß und den Weg zu Gott vor sich hat, ist er doch für sich wiederum nicht so unwichtig - am Ende aber, und darauf kommt es an, liegt alles daran, dass das Unwesentliche im Wesentlichen aufgeht, dass der Mensch in Gott aufgeht.

Aber der Religiöse ahnt, dass er sich niemals ganz los wird, dass der heilige Gott nicht restlos zu erreichen ist, und dass er, der Religiöse, er, der Unwesentliche, es ewig sein wird, sich dem Gott bloß anzunähern - oder anders und ein wenig holprig ausgedrückt: das Gegenteil kommt im Gegenteil nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: wo das eine immer stärker wird, sagen wir der Gott, da verschwinde ich als Unwesentlicher nicht, sondern werde auch stärker, es kommt nämlich für den Religiösen gerade darauf an, sich aufzugeben, er zentriert sich dabei auf sich, ob er es wissen mag oder nicht. So werde ich mich aber ewig  nicht los; das ist ein Dilemma in mir, sagt sich der Religiöse und darüber könnte er eines Tages unglücklich werden, ein unglückliches Bewusstsein darüber haben.

So gesehen könnte sich der Religiöse selbst Feind sein, er kämpft gegen sich als Unwesentlichen und will dem Gott zum Siege verhelfen; in diesem Kampf bemerkt er aber, wenn er ein wenig aufmerksam ist, dass er sich nicht verliert, dass der Kampf gegen sich aussichtslos ist und nehmen wir an, der Sieg über sich gelänge, wo wäre dann die Seite des Gottes geblieben, denn mit dem Fall der einen, unwesentlichen Seite, fällt auch ihr fixes Gegenüber, der wesentliche Gott. Hebe ich mich auf in diesem einander fremden Auseinander, hebt sich auch die andere Seite auf - was würde wohl aus dem fixen Gott dann werden? Der Religiöse kommt aus seinem Irrgarten, immer nur das Gegenteil seiner selbst als das Wesen zu nehmen - das Gott für ihn ist - nicht heraus. Diese Fixsterne gegeneinander, hier der wesentliche Gott, dort der unwesentliche Mensch, leuchten diesen Irrgarten ewig aus, die Grenzen sind ja unverrückbar, denn weder ist der Mensch der Gott noch ist der Gott der Mensch, oder konkreter: weder bin ich der Gott noch ist der Gott ich. Es bleibt dabei: Der Religiöse kann sich als Einzelner vor Gott nicht zur Gänze verstecken, er kann sich nicht restlos tilgen und was immer er unternimmt sich zu vergessen, so bleibt er es ewig, der da tut und will und sich dabei nie los wird.

Das alles spielt sich im Religiösen ab, wenn er ein wenig reflektiert, das sei vorausgesetzt. Es könnte ihm dämmern, dass in seinem Bewusstsein sich das alles abspielt, in "einem" Bewusstsein. Ja, wird er sich denken, die gehören zusammen, diese Extreme, wo das eine, da das andere, sie gehören in eins, aber sind dennoch wesentlich verschieden, der Gott und der Mensch. Und darum geht es ja dem Religiösen, es geht ihm um sein Mensch-sein vor Gott und wie diese Beziehung verknüpft ist.

Möglich, dass sich der Religiöse in Gott findet, er zum Geiste und sich der Versöhnung mit Gott bewusst wird. Aber bis dahin ist noch ein langer Weg, der längste Weg, wie ich meine, der an sich der kürzeste ist. Der Weg ist so eine Bewegung, ein Gang, den der Religiöse nimmt. Es ist der Gang von einem rein äußerlichen Auffassen, dass der Gott drüben und der Mensch jenseits, im Diesseits sei, weg zu einem Einssein mit dem Gott. Wenn sich dies alles, was bisher gesagt wurde, in einem Bewusstsein abspielt - und wer wollte das wohl bestreiten - dann kommt, wo die eine Seite sich bewegt, sagen wird die menschliche, zugleich auch die göttliche, die andere Seite, ins Schwingen. Es wird ganz entscheidend sein zu erfassen, dass das Bewusstsein nicht nur mein Bewusstsein ist, sondern dass es im Letzten und das heißt im Ersten: Eines ist, dass man also die Vorstellung grundlegend korrigiert, die der Mensch von den Begriffen wie Bewusstsein, Selbstbewusstsein oder Geist hat. Der Mensch ist nicht nur sein einzelnes Bewusstsein, sondern Welt-Bewusstsein überhaupt, das zu erfassen, das ist der Übergang bei Hegel vom endlichen zum un-endlichen Bewusstsein oder in seiner Sprache ausgedrückt: vom endlichen Selbstbewusstsein zum vernünftigen Selbstbewusstsein.

Der Religiöse also steht an dieser Schnittstelle zur Vernunft. Weil er aber der Religiöse ist, so ist sein Gang zunächst und langhin der zu Gott. Der Religiöse unternimmt es nun, seinen Blick direkt auf den Gott zu richten und so gestaltet sich der Gott. Der Religiöse ist es leid, sich selbst immer nur zu beäugen, er nimmt sich den Ewigen selbst vor und so gestaltet sich der Gott, kommt in Bewegung. So denkt er sich: nicht nur er selbst ist ein Einzelner, der Religiöse, auch der Gott ist ein Einzelner, erhält die Gestalt der Einzelheit. Der Religiöse ist angehalten den Gott so zu denken wie ein einzelnes Ding. Das wird er verneinen, hielte man ihm das vor. Dennoch ist seine Ontologie davon durchdrungen, seine alltägliche unhinterfragte Ding-Ontologie ist die unsichtbare Folie, mit der er auch Gott einwickelt. Der Gott ist ihm jetzt nicht mehr nur ein unerreichbares, abstraktes Jenseits, sondern die wirklichste Wirklichkeit, ein wirklicher Gott, eine einzelne Wirklichkeit, die die Form der Einzelheit auch an ihm hat - der Gott ist wirkender und alles Wirkliche ist immer auch ein Einzelnes, der Gott ist so eine einzelne Wirklichkeit, die alleinige und einzigste Wirklichkeit - das alleinige Eins. Der Gott hat auch so eine Form und Gestalt als wirklicher, er rückt dem Religiösen somit näher, kommt ihm näher, bleibt aber dabei völlig undurchsichtig. Der Religiöse, der es leid ist, sich nur selbst zu beäugen, hofft darauf, dem Gott nahe zu kommen indem er ein gestalteter Gott ist. Diese Gestaltung des Gottes zieht ihm aber ein endliches Kleid über und das Einswerden mit dem Gott funktioniert auch so nicht. Denn der Religiöse ist immer ein Hoffender, der Gott Gegenstand seiner Sehnsucht und so muss der Gott in der Ferne bleiben, dass er sich, der Religiöse, so in dieser Form vorfindet, ist der Beweis seines Nicht-Eins-Seins mit Gott. Nirgends ist der Gott in der Form des sinnlichen Eins, des seienden Eins, nirgends ist er in der Form dieser Wirklichkeit die uns Wirklichkeit ist, da. Der Religiöse bekleidet den Gott mit seinen endlichen Formen um sich mit ihm in eins zu setzen und hält sich -  er weiß es selbst nicht - dadurch erst recht den Gott vom Leib, das Einssein bleibt erfüllungslose Hoffnung - es bleibt die Sehnsucht des Religiösen zu Gott.

Der Religiöse ist von einer bloß nur äußeren Form immer mehr ein Verinnerlichter, ein Kontemplativer, geworden. Er ahnt jetzt schon irgendwie das Einssein mit dem Gott, legt es aber endlich aus, legt es aus in Begrenzungen und Endlichkeiten. In dieser Ahnung des Einsseins mit dem Gott treibt sich der Religiöse noch "äußerlich" umher, ganz wie im rein äußerlichen Verhältnis. So ist er aber noch ein Innerlich-Äußerlicher.

Der Religiöse geht nun daran, das Einssein mit dem Gott wahrhaft zu verwirklichen. Der Religiöse erfährt sich zunächst als jene Mitte, in der der Gott seine unwesentliche Einzelheit wenigstens berührt, sie fallen nicht mehr abstrakt bloß auseinander, sind keine reinen Äußerlichkeiten mehr, sondern das alles spielt sich schon in dem "einen Bewusstsein" ab, von dem zuletzt zu erkennen sein wird, das es Welt-Bewusstsein ist. Der Religiöse denkt in eins und in sich den Gott und sich und ist diese denkende Wirklichkeit - und der Religiöse weiß das nun auch, dass es sich so verhält. Er denkt den Gott und weiß zugleich aber nicht, was das bedeutet. Der Gott und der Einzelne, der Religiöse, sind schon zusammen, aber noch nicht begriffen. Der Religiöse begreift noch nicht, was er schon tut, er bringt sein Tun nicht auf den Begriff - und so hockt er in der Andacht, sein Denken geht nur an den Gott hin, sein Denken ist ein verlorenes und kein begriffenes. Der Gott bleibt dem Religiösen ein Fremder. Der Religiöse fühlt den Gott nur, ist nicht mit ihm eins, es bleibt dem Religiösen eine unendliche Sehnsucht, eine, die nicht aufhört, der unverrückbare Gegensatz bleibt da bestehen, denn gerade weil ich endlicher Mensch bin und nicht Gott, bin ich von Gott anerkannt - denkt sich der Religiöse. Der Gott bleibt so ein Jenseits. Der Religiöse fällt so immer nur in sich selbst zurück, es kommt nicht zum wahrhaften Einssein.

Der Religiöse ist, scheint es, verflucht; er will den Gott absolut finden, mit ihm eins sein und findet dabei immer nur sich selbst, denn was er sucht, sucht er nach Art und Weise seiner Endlichkeit und das ist das verfluchte Kreuz, das er mit sich zeitlebens herumschleppt. Heidegger nannte das einmal die ontologische Rückstrahlung des Weltverständnisses auf die Daseinsauslegung. Diese endliche Hintergrundstrahlung kontaminiert alle Auslegung und zunächst und zumeist bleibt es auch so, gerade für den Religiösen. Wird der Gott gedacht mit dieser Hintergrundstrahlung, mit einer endlichen Ontologie, dann ist er auch schon ein Verschwundener, der Gott wird gesucht wie ein Ding, wie ein Wirkliches gesucht wird, wie ein Einzelnes gesucht wird - so aber findet man den Gott nicht, so zu suchen ist verflucht. Der Religiöse kommt aber zur Einsicht, dass da etwas nicht stimmen kann und er lässt davon ab, den Gott nach Art einer endlichen Wirklichkeit zu suchen, zu erhoffen, zu ersehnen.

 

Hier beginnt nun eine Wendung, die, wie mir scheint, von größter Bedeutung ist. Es handelt sich um die, wie ich es an anderer Stelle nannte, große Auf-Gabe, das ist eine solche, die etwas zurücklässt, also aufgibt und zugleich aber etwas zu Vollbringendes vor sich oder in sich hat, eben eine Aufgabe. Der Begriff Auf-Gabe hat damit wahre, spekulative Bedeutung. Dem Religiösen geht es um alles, er setzt alles auf eine Karte, in diesem Sinne ist alle seine Begierde und Arbeit zuhause. In diesem arbeitenden und strebenden Spiel zwischen Gott und dem Religiösen löst sich  aber immer nur eine Oberfläche derselben gegeneinander ab, es kommt zu keiner innwendigen Flutung, zu keiner innwendigen Berührung oder die Sache ist die, dass sich die Oberflächen nur äußerlich berühren. Solange der Religiöse, kann man sagen, ein Arbeiter und Begehrender zu Gott hin bleibt, solange wird er darauf hoffen, sich seeligst zu befriedigen und seine Befriedigung in Gott ist dann eine "wirkliche", eine, die eben stattgefunden. Dass er sich ganz in Gott verliere, ist damit unterbunden, denn am Grunde und im Grunde ist er der endliche Sucher, Begehrer, Dankender und Hoffender, er hat sich in dieser wollenden Hingabe gerade nicht verloren, sondern wiederum nur sich als Elendiglicher gefunden. Er betrieb einen irrsinnigen Aufwand um mit Gott eins zu werden und sein Aufwand ist Arbeit eines Endlichen. Dieser ganze Aufwand trägt aber die Handschrift der Endlichkeit, der Vereinzelung, trägt die Handschrift des Unwesentlichen gegen den einzig Wesentlichen, gegen Gott. Die Erprobung vor Gott als Arbeiter und Begehrender, als Wollender zu Gott hin, scheitert.

Man kann dieses ganze Verhältnis des Menschen zu Gott abstrakt denken, so bleibt es ohne Verwirklichung, man kann dieses ganze Verhältnis verwirklichen wollen im Tun zu Gott hin, in der Arbeit zu Gott hin und so erfährt sich der Religiöse als wirkender, wirklicher, als einer, der es bitterernst nicht nur meint, sondern verwirklichen will. In alldem bleibt aber seine unwesentliche Einzelheit bestehen, er konnte sie nie abstreifen oder ablegen.

In dem ersten Verhältnis erfährt sich der Religiöse als musikalisch, raumerfüllend, aber ohne Wirklichkeit, sich selbst kann man so nicht ablegen. Arbeitend kann man sich selbst vergessen, meine Eigenheit zu Gott hin im Danken und im Anerkennen, meine Arbeit zu Gott hin, lässt mich mich vergessen, meine Eigenheit verliert unmittelbar im Danken seine Substanz - scheint es, es bleibt eine wahrhafte Wirklichkeit übrig, eine Einzelheit, die noch dem Gott gegenüber steht und nun einen letzten Anlauf nimmt zur großen Versöhnung: den Weg der "Nichtigkeit".

 

Ich bin mir das Nichtige, das zu Vertilgende. Mein Tun und mein Genuss sind bedeutungslos geworden. Meine Einzelheit soll aufgehoben werden. Als Einzelner bleiben mir wirklich noch meine vitalen Interessen - an und für sich sind diese auch nichtig, gehören sie doch meiner Einzelheit an und sollten eigentlich unbefangen erledigt werden, sie sind an und für sich ganz unwichtig. Für den Geist sind sie sowieso wertlos. Gerade aber diese vitalen Interessen bekommen nun Wichtigkeit. Der Religiöse, kann man sagen, fokussiert sich auf seine vitalen Interessen, er fixiert sie gerade, indem nämlich die Endlichkeit vertilgt werden soll, muss ich sie mir fixieren, muss ich sie mir vornehmen und gerade in dieser Vornahme gewinnen sie einen unendlichen Wert, der ihnen eigentlich nicht zukommt. Der Feind, meine zu erledigende Endlichkeit, wird durch diese Fixierung, ihn erledigen zu "wollen", gerade mächtig. Dieses "Wollen" ist das eigentliche Problem. Solange ein Wollen am Werk ist, solange wird sich der Inhalt des Wollens - er sei was und wie er auch sei - zum Wichtigsten erklären, und sei er auch das Niedrigste. Im Wollen nimmt man sich etwas vor und der Wille macht es, dass das Vorgenommene wesentlich genommen wird und wenn ich meine unwesentliche Endlichkeit auf dem Wege zu Gott vertilgen oder erledigen will, dann wird gerade durch dieses Wollen meine unwesentliche Endlichkeit nicht erledigt, sondern bekommt allererstes Interesse.

So zeigt sich der Religiöse als wiederum unglückliches Bewusstsein, wieder auf sich zurückgeworfen. Er unternahm einen allerletzten Generalangriff auf seine eigene, nichtige Endlichkeit und muss nun einsehen, dass dieser Feind gerade in diesem Absehen ihn zu vernichten sich selbst erzeugt und beibehält. Ein Unglück!

Was bleibt jetzt noch zu "tun"? Das ist die große Frage. Man muss diese Frage wirken lassen. Es könnte sein, dass "nichts mehr zu tun ist". Die versuchte unmittelbare Vernichtung meiner selbst zeigt mir nur mich selbst. Da ist aber noch der Gott, auf der anderen Seite, denkt sich der Religiöse. Da ist noch diese Beziehung - wie auch immer - zu dem Gott und nur seinetwegen soll der Untergang meiner unwichtigen Endlichkeit statthaben, soll das Einssein mit ihm sein. Ich bin mit dem Gott eigentlich zusammengeschlossen, denkt der Religiöse. In Wahrheit aber - und jetzt ist die Wahrheit an und für sich gemeint - sind nicht nur zwei, da der wesentliche Gott auf der einen Seite, dort der unwesentliche Mensch auf der anderen Seite - da ist noch ein Wesen dazwischen, ein "bewusstes Wesen", ein Geist, könnte man und muss man sagen, ein Geist, der beide, Gott und Mensch, zueinanderhält, sie vermittelt. Dieser Geist ist also ein "Mittler" und daher ein "Vermittler", er vermittelt Mensch und Gott und Gott und Mensch miteinander. Dieser Geist ist ein Diener, er dient beiden Seiten und füreinander. Nun aber gelingt die Vertilgung der unwesentlichen Einzelheit. Wie?

Es wird mein Wille abgestoßen, das ist der Punkt. Ich befreie mich von meinem Tun und Genuss und lasse davon ab, zu tun und zu genießen, lasse davon ab und "will nicht mehr". Ich werfe auf die Mitte, diesen Geist, mein Tun und meinen Willen, meine Freiheit und meine Eigenheit und meinen Entschluss - alles, was mich, so scheint es, ausmacht und also werfe ich auf diesen Geist meine Schuld, ich werfe auf ihn auch mein unglückliches Bewusstsein. Der Geist, auf den ich das alles werfe, dieser Vermittler zwischen Gott und mir, steht mit Gott in unmittelbarer Verbindung. Dieser Vermittler weiß das Rechte, er rät mir so zu tun, also von meinem Tun und Wollen abzulassen. Ich folge von nun an einem fremden Rat und Beschluss, es ist nicht mehr der meinige. Mein Handeln ist von nun an nicht mehr das meinige. Mehr und mehr verliere ich dabei meine endliche Form, die Fixierungen lösen sich zusehends auf, die Grenzen verschwimmen. Ich bin nicht mehr Ich. Der Mensch hält nicht mehr daran fest, ein endliches Ich oder Bewusstsein zu sein. Ich verzichte auf meinen Willen, ich verzichte auch auf meine Arbeit und auf meinen Genuss und ich verzichte auch auf meine selbstbewusste Selbstständigkeit, ich verzichte auf mein endliches Selbstbewusstsein. Etwas ganz Fremdes und Sinnloses denke ich und bewege ich - Ich, das jetzt nicht mehr das herkömmliche, bekannte Ich sein kann. Ich verzichte innerlich auf mich und verzichte auf meinen äußerlichen Besitz und reduziere mich auf das Nötigste. In dieser Reduktion - die mir als Rat dieses Geistes wird - geschieht die große Be-Freiung von mir.

Durch die Aufgabe meines Entschlusses und das Befolgen eines fremden Geschäftes nehme ich mir meine innere und äußere Freiheit. Auch der Inhalt, den ich einst wollte, mit Gott eins zu sein, verschwindet. Ich tue etwas Fremdes, Unverstandenes. So habe ich mein Ich herausgerungen und habe mein Ich wirklich geopfert. Ich habe das empirische Ich, das endliche Ich, geopfert. Jetzt erst lässt das Unglück ab, es wird mit meinem empirischen Ich zurückgelassen. Ich habe mein Tun als meiniges aufgehoben - oder anders gesagt: mein Geist ist nicht mehr der meine. Wenn ich jetzt noch "Ich" sage, so sage ich eigentlich nicht mehr "Ich". Ich wollte einst zu Gott, dieses wollende, endliche Ich aber ist aufgehoben und es zeigt sich, dass der Gott mir geworden ist nicht durch mich endliches Ich, sondern durch den geistigen Vermittler. Der Wille des endlichen Ich ist verwandelt in den Willen des Gottes. Was jetzt noch will, das bin nicht mehr Ich als endlicher Wille. Dass der Gott in mir geworden ist, ist nicht mehr mein Tun und nicht mehr mein Wollen. Die Einheit von mir und dem Gott ist geworden - aber ich bin nicht mehr der der ich war, sondern das Bewusstsein, alle Realität (oder Wirklichkeit) zu sein. Der Vermittler ist die Gewissheit der Einheit des Gottes und des Menschen.

Was jetzt noch Bewusstsein oder Selbstbewusstsein oder Vernunft heißt, hat mit dem, was man sonst darunter verstehen mag, nur mehr am Rande zu tun. Die "Gewissheit, alle Wahrheit zu sein", ist nach Hegel der Anfang vom Ende des endlichen Bewusstseins oder anders gesagt: der zur Vernunft gekommene endliche Geist des Menschen ist sich seiner Unendlichkeit bewusst geworden.

Ein endliches Ich gibt es weiterhin, sein Absolutismus aber ist gebrochen. Alle Wirklichkeit ist nun dieses universale Bewusstsein, es ist aber nicht mehr das Bewusstsein, von dem man so sagt, dass es Bewusstsein sei. Eine neue, die wirkliche Welt, tut sich diesem absoluten Bewusstsein auf: es ist die Welt der alleinigen Wirklichkeit des Geistes. Was jetzt steht und fällt "ist" Wahrheit und Gegenwart. Das Ich hat sich zur Gänze verloren und nur so hat sich das Ich als Geist gewonnen. Das absolute Anderssein ist verschwunden, es zeigt sich als eine bloße endliche Form. Der Verlust ist der Gewinn.

 

Ich habe mein Ich verloren - welches Ich spricht hier eigentlich?

 

 

 

 

 

 

[...]

 

 

 

Exkurs: Unendlichkeit

 

 

Erklären! Warum sich etwas so oder so verhält heißt suchen und finden nach seiner Gesetzmäßigkeit. Ein Gesetz äußert sich und bleibt aber in seiner Äußerung Gesetz und Grund seiner Äußerung. Erklären ist eigentlicher gedacht eine tautologische Unternehmung des Verstandes: es wird Dasselbige ausgesagt. Im Erklären wird für Hegel der "absolute Wechsel" sichtbar. Da ist einerseits die sich äußernde Kraft und die in sich zurückgedrängten Kraft. Im Grunde aber ist es die eine und dieselbe Kraft, die sich in ihrer Äußerung "zugleich" zurückdrängt und in ihrer Zurückdrängung zugleich äußert. Der Verstand sieht hier zwar einen Unterschied, der aber in Wahrheit keiner ist, denn er ist ein aufgelöster. Das Übersinnliche besteht nun für Hegel darin, dass es sich äußert, und zwar in die Erscheinung hinein, es kommt Bewegung und Wechsel in die angebliche Leere des Übersinnlichen, das ein Übersinnliches des Gegenstandes und des Verstandes ist. Die übersinnliche Welt aber bedeutet für Hegel gerade die Welt der Gesetzmäßigkeiten, die nicht mit den Sinnen erfahrbare, die Wahrheit des Sinnlichen, das ist für Hegel die Erscheinung, das Gesetz scheint hindurch, äußert sich, ist daher Erscheinung und nicht-sinnliche, daher über-sinnliche Wahrheit des Sinnlichen. Wenn Hegel vom Übersinnlichen und von der Erscheinung spricht, dann blickt er in das Innerste der Dinge und in ihren wahren Grund, der sich als Abgrund auftut. Die sinnliche Welt als die greifbare und sichtbare, als die reelle Wirklichkeit, ist dabei längst verlassen. Hegel ist dem Innersten, der Wahrheit der sinnlichen Welt, auf der Spur. Hegel kennt aber nicht nur eine übersinnliche Welt, sondern deren zwei. Was ist damit gemeint? Der Verstand erfährt den Wandel und Wechsel in der Gesetzmäßigkeit selbst, die sonst als Ruhendes und Unbewegtes gedacht wird. Das Gleichnamige stößt sich zugleich von sich ab, das Ungleichnamige zieht sich zugleich an, es ist das Ungleichwerden des Gleichen und das Gleichwerden des Ungleichen. Das erste Übersinnliche ist, wie schon gesagt, das ruhige Reich der Gesetze. Aber so ruhig wie dieses erscheint (im Sinne des nichtsinnlichen Erscheinens) ist es in diesem Reich nicht, denn hier geht ein Spiel des Übersinnlichen vor sich: das  sich Gleiche, das Gleichnamige, stößt sich von sich weg und ab, zersetzt sich in Polares, Gegensätzliches und zugleich aber zieht sich dieses Abgestoßene und Ungleiche oder Ungleichnamige an, es ist ein Unterschied gemacht, der eigentlich keiner "ist", kein fixes Sein hat - denn hier waltet eine "Identität in der Differenz" - beides ist dasselbe, was sich so äußert, kehrt zugleich zu sich zurück, das Gleiche ist sich zugleich ungleich, das Ungleiche ist sich zugleich gleich. Hegel nennt nun diese "reine Bewegung" die zweite übersinnliche Welt oder die "verkehrte Welt". Auf die Wirklichkeit der Welt, wie sie uns sinnfällig ist, bedeutet das, dass ihre innere Wahrheit ontologisch begriffen werden muss. Die innerste Struktur der Wirklichkeit wurde seit jeher kategorial oder ideal ausgelegt, es ist die Welt der Kategorien und Ideen, die Welt des Verstandes und auch die Welt der Vernunft. Man kann sagen, ganz analog, dass diese Welt der Ideen und Kategorien (und unter Idee ist immer der Sinn von idea herauszuhören: Urbild, Gestalt, Aussehen; Ideen sind keine Einfälle) die Gesetzmäßigkeit der sinnlichen Wirklichkeit ausmacht, der Wirklichkeit, die wir so geradehin als Wirklichkeit ausgeben. Man dachte dieses Reich immer als unbewegt, als fixiert, als sicher und ewig. Für Hegel aber haust in diesem angeblich ruhigen Reich der Unterschied, die Kraft des Negativen, die Bewegung, das Spiel der Kräfte. Was in der ewigen Welt der Ideen und Kategorien als ewig getrennt und unterschieden fixiert scheint, ist für Hegel hervorgegangen aus einem Einfachen, hat sich so entäußert, vermannigfaltigt, ist auseinandergetreten, das Gleichnamige, was aber auseinandergetreten ist und unterschieden sich aufstellt, gehört in eins, ist dasselbe, ist die Differenz in der Identität. Über dem ewigen Reich der ersten übersinnlichen Welt erhebt sich die zweite übersinnliche Welt und beide Welten sind in ihrer absoluten Bewegung eins. Die verkehrte Welt ist die Welt, in der das Gleiche zugleich ungleich, das Ungleiche zugleich gleich ist (Abstoßen des Gleichnamigen  als Gleichnamigen von sich selbst, Gleichsein des Ungleichen als Ungleichen). Oder anders gesagt. der Widerspruch haust im Innersten der Dinge selbst, die Wirklichkeit ist an ihr selbst "widersprüchlich". Die übersinnliche Welt ist an ihr selbst zugleich die verkehrte, widersprüchliche Welt, in ihr haust wesentlich der "Unterschied", die Gegenteiligkeit. Diese Welt ist beständig in ihrer gegenteiligen Äußerung zugleich in sich zurückgekehrt und damit eröffnet sich die Dimension der "Unendlichkeit". Die unendliche Dimension ist die grenzenlose Dimension, die übergreift und bei sich bleibt, der sichselbstgleichbleibende Unterschied, das Eins, das sich schon im Einsbleiben entzweit, die einfache Kraft, die schon in Gegenteiliges vereinfacht bleibt, es ist hier ein Sein gesetzt, welches zugleich Nicht-Sein ist, oder ein Unterschied, der eigentlich keiner ist.

Die Unendlichkeit ist nun diese ur-eine Dimension, die sich entäußert, der sichselbstgleiche Unterschied, das Ur-Eine, das sich so von sich zugleich abstößt und entzweit und die einfache Kraft ist so die un-endliche Kraft, jene Kraft, die durch die Erscheinung mit der sinnlichen Welt zusammengeschlossen ist. Worauf es ankommt ist die Tilgung einer Vorstellung, die hier absolut fällt: die Wirklichkeit scheint aufgesplittert in Widersprüche und Absolutheiten, Raum und Zeit, Lebendiges, Unlebendiges, Sterbliches und Unsterbliches, Polares, das sich am Gegenteil absolut stellt. Das aber ist nach Hegel eine bloße Vorstellung, die der innersten Wahrheit noch nicht begegnet ist: denn all diese unversöhnlichen Teile, die Gesamtwirklichkeit, sind schon in einer Einheit gesammelt, die sich von sich abstößt und entäußert und in ihrer Äußerung zugleich gesammelt bleibt und in ihrer Sammlung sich äußert. Das Wesen ist aber die "Einheit", in der diese absolute un-endliche Bewegung statt hat.

Hegel nennt diese Bewegung die "Seele der Welt", das "einfache Wesen des Lebens", das "allgemeine Blut". Diese "Seele der Welt" pulsiert ohne sich zu bewegen, dringt durch alles ewig hindurch, erzittert, ohne unruhig zu sein. Die Unterschiede haben als solche keine Seinsmacht und Absolutheit, es sind tautologische Momente des Einen, Differenzen, die aus dem Einen kommen und dahin zurückkehren, ephemere Momente, Unterschiede, die wesentlich betrachtet keine sind. Dieses Ur-Wesen, kann man mit Hegel sagen, bezieht sich eigentlich nur auf sich selbst. Aber diese Selbstbeziehung ist zugleich Bezug zum Anderen, ist ein Entzweien, der Bezug zum Selbst ist zugleich Bezug zum Anderen. Das absolute Wesen ist sich selbst sein Gegenteil.

Die Entzweiung, schreibt Hegel, "ist schon geschehen". Das Sichselbstgleiche entzweit sich. Die Unterschiede haben damit keine Absolutheit an sich, sie sind schon wieder aufgehoben, aufbewahrt, nur Momente im ewigen Kreislauf, in dieser ewigen Bewegung des sich äußernden Aufhebens. Hegel nennt die Unendlichkeit auch "absolute Un-Ruhe des reinen Sichselbstbewegens" und alles, was als Sein bestimmt wäre, wäre zugleich sein Nicht-Sein, wäre das Gegenteil seiner Bestimmtheit.

Wo nun zeigt sich dem Menschen diese "un-endliche Dimension"? Nicht im Äußeren, nicht in der sinnlichen, endlichen Welt. Frei tritt sie erst im "Inneren" heraus. Hegel hat das in der Welt der Dinge vorgeführt, hat gezeigt, dass die Dinge in ihrem Innersten, in ihrem Sein, einer un-endlichen Dimension angehören. Er treibt das Ding in die Un-endlichkeit, in seinen Ur-Sprung, zurück. Schon in der Erscheinung, der ersten über-sinnlichen Welt, leuchtet die Unendlichkeit auf, das Erklären führt schon näher an sie heran, und wenn die Unendlichkeit ausdrücklich Gegenstand des Interesses wird, dann erst erwacht nach Hegel das Selbst-Bewusstsein. Das ist eine ungeheure Zumutung an die gesunden Vorstellungen des Menschenverstandes, denn es heißt, dass der Mensch nicht ein Selbstbewusstsein hat, sondern dass er eines sein könnte, an sich ist er selbstbewusst, für sich aber noch lange nicht, was er an sich ist, muss er erst für sich werden. Die Dimension des Selbstbewusstseins tritt bei Hegel experessis verbis in unmittelbarer Nähe zur Unendlichkeit auf, ist diese selbst. Das Selbstbewusstsein hat bei Hegel den höchsten Rang oder jene Position der höchsten Dignität, das Selbstbewusstsein steht bei ihm an der Schwelle zur Unendlichkeit. Vom Selbstbewusstsein kann man daher nur wahr sprechen, indem man sich dieser Dimension der Unendlichkeit zuwendet.

Der Verstand weiß schon wie es steht um diese Unendlichkeit, es ist ihm schon bewusst und er sieht schon diese Bewegung und weiß sie mannigfaltig anzusehen. Sich selbst aber, also solcher Verstand, hat er noch nicht im Blick, sondern tausenderlei Gegenstände - das Bewusstsein (nicht das Selbstbewusstsein) ist in einen über sich selbst bewusstlosen Monolog verstrickt, der ihm liefert, was es sucht. Die Unendlichkeit leuchtet im Verstand auf, der Verstand aber ist noch blind darüber, er handhabt die Unendlichkeit nach verständiger Manier, er sieht noch nicht, was er schon in Händen hält, oder: der Verstand weiß nur nach Subjekt und Prädikat sich umzusehen, wieder zwei gebrochene Welten. Der Verstand ist noch nicht zur Vernunft gekommen.

Ich - kommt nun ins Spiel. Die Wende. Ich - substanzielles Eins - stoße mich von mir selbst ab - unterscheide mich, setze Unterschiede, habe ein Bewusstsein von mir, über mich, kann dies und jenes von mir sagen (wer sagt das eigentlich?) - kann mich mannigfaltig bestimmen - und dennoch: diese Unterschiede an mir (empirisches Ich) sind Ich zugleich, sind zugleich unmittelbar keine Unterschiede oder bloß aufgehobene. Mit dem empirischen Ich ist über das Ich noch längst nicht alles gesagt, denn es gibt da noch ein Ich, ein tieferes Ich, ein reines oder transzendentales Ich, das reflexive Ich, das, wie das Auge im Gesichtsfeld, zwar alles sieht am empirischen Ich, sich selbst aber nur in einer reflexiven Wendung mitbewusst ist. Nun ist die Unendlichkeit als Spiel der Kräfte aller Wirklichkeit Gegenstand für das Bewusstsein und somit zeigt sich das Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein, so gesehen, ist die Wahrheit des Bewusstseins, das Innerste, das Wesen, die absolute Unruhe, der Geist in Welt.

Eigentlich müsste hier der Anfang sich abzeichnen. Hegels Schritt vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein heißt eigentlicher gesehen: der Blick vom Selbstbewusstsein (Geist) im Anfang zu den Formen des Bewusstseins zurück.

 

Ein Bewusstsein sieht in diesen Hintergrund, ein Mensch geht in sich, kontemplativ, akroamatisch (potentia oboedientialis, werde ich es viel später nennen, denn es ist formal derselbe Gang). Das Blicken in diesen un-endlichen Hintergrund, in dieses ewige Spiel der Kräfte, wo sich schon in der gegenständlichen Welt die unendliche Dimension zeigt, diese Welt, die sich dem Verstand in der Erscheinung zeigt (und nicht dem sinnlichen Bewusstsein), und Erscheinung ist schon die Welt nicht als seiende, sondern als "aufgehobene" oder als eben "innere" und nur so ist sie über den Sinnen, ist über-sinnliche Wahrheit der sinnlichen Welt, diese nicht-endliche und un-begrenzte Welt erfährt der Verstand und so erfährt er eigentlich nur sich selbst, er erfährt schon das Wahre des Wirklichen, weiß es aber noch nicht. Der Mensch, so gesehen, sieht hier schon (innerlich) viel mehr als er zu sehen vermeint und zuzugeben bereit ist. Für so einen verinnerlichten Blick in das Innerste der Dinge sind eigentlich keine absolut Getrennten, hier das blickende Bewusstsein, dort das Innerste des Gegenstandes und dann eben die Annäherung. Denn das bisher Gesagte ist in einem Bewusstsein, es ist ein Bewusstsein, das dies alles erfährt. Es ist der eine Geist, der auf sich blickt und erfährt. Wird der Geist im Anfang gesetzt, dann ist klar, dass nichts jenseits von ihm Bestehen hätte. Alle bisherigen Formen des Bewusstseins sind Formen des einen Geistes. Absolute Widersprüche und Selbstständigkeiten jenseits von ihm kann es nicht geben. Diese Extreme sind in ihm untergegangen und verschwunden. Was übrig bleibt ist ein Schauen des Inneren in das Innere, die Welt der absoluten Trennlichkeiten, hier Subjekt, dort Objekt, ist verschwunden. Der Vorhang der Trennung ist weggezogen. Das ist hier bei Hegel ein folgenschwerer Vorgang, der ihm vielfach Vorwürfe eingebracht hat. Man sagt, Hegel verlasse hier die kritische Linie von Kant und vollendet den absoluten Idealismus als absoluten Subjektivismus. Das alles kann man durchstreichen, denn der Standpunkt von Hegel ist im Wesen die alleinige Wirklichkeit des Geistes. Wenn es keine Trennungen wirklich gibt und alles aus einer Einheit hervorgeht und in diese schon zurückschlägt, dann fällt auch die Trennung von Subjekt und Objekt oder es sind im ewigen Spiel nur Momente, die sich aufstellen und in ihrem Aufstand schon aufgelöst sind. Mit dem Selbst-Bewusstsein betritt Hegel das ein-heimische Reich des Geistes.

 

 

 

Die offenbare Religion in der "Phänomenologie des Geistes"

 

 

Das "unglückliche Bewusstsein" weiß; ein Wissen, das hinausreicht aus dem, was man sonst "Wissen" nennt. Man sagt: es reicht tiefer und weiter. Das unglückliche Bewusstsein ist Bewusstsein des großen Verlustes. Bestimmt ist dieser Verlust zu weit weg für unsere Zeit, der gegenwärtige Verlust ist ein noch viel mehr verstummterer, einer, der als solcher zu weit entflohen. Der Verlust nämlich ist immer nur einer im Angesicht, also in der Vor-Sicht. "Es gibt nicht das wirkliche Leben ihres Daseins...", heißt es bei Hegel. In alle höheren Dinge scheint eine Beliebigkeit eingewachsen, ein optimistischer Zug der Selbstrechtfertigung. Und diese Er-Innerung? Die erstere, die Erinnerung, ist auch entflohen, die letztere, die Er-Innerung ist Innerlich-werden: noli foras ire (Augustinus); so also alles Tun ein "äußerliches Tun". Das Höchste und Niedrigste trifft sich hier zum gemeinsamen Gottesdienst. Ein Hineinleben ist nicht, bloß ein Vorstellen um des Vorstellens willen. Dennoch, so Hegels Intention, west in aller Äußerlichkeit ein innwendiger Zug, ein "...Mehr" - ein nicht nur Faktisches. Man tut und ist immer "mehr" als man tut und ist und weiß es nicht, ergo: Unentwickeltes. Der Andere ist der Gott. Allgemein gesagt: man weiß schon das allein Wahre, man weiß schon um das Absolute, man weiß schon um den Gott - das aber hat man noch nicht "begriffen", so Hegel, denn jenes Wissen ist noch ein unvollendetes und bewegt sich im Modus der Vorstellung, die die sinnliche Unmittelbarkeit mit ihrer Allgemeinheit synthetisiert. Es bleibt so ein äußerliches Verknüpfen, oder anders gesagt: man war noch nicht zu Gast im Neujahrskonzert 1992. So gesehen ist alles noch in diesen heiligen Hallen eine große Äußerlichkeit, der Geist ist noch nicht bei sich selbst zu Gast, oder, wie Hegel sich ausdrückt, der wahre Inhalt hat noch nicht seine wahre Form gefunden - darum wird es sich drehen. Hegel kennt in seiner großen "Phänomenologie" einen Mitwisser, einen, der mit ihm geht und weiß, stiller Zeuge seines Weges ist, der ja mitnichten der Weg Hegels ist. Mir scheint, Hegel spräche nur zu diesem Mitwisser, den er ja mitnimmt auf seine Reise. Nun kommt es nach Hegel auf eine Korrektur an, auf einen Ausgleich, weg von dieser Äußerlichkeit in eine reine "Innerlichkeit". Diese Innerlichkeit soll aber "wirkliches Selbst" werden - das ist noch nicht mit der bloßen Innerlichkeit getan. Hier liegt eine enorme Herausforderung: diese letzte und höchste Wahrheit (wie ich meine) wird in der Welt der bloßen Vorstellung äußerlich gesetzt. Dieses vorstellende Setzen ist aber zugleich ein immenses Begräbnis und lenkt ab von der periagoge holes tes psyches. 

 

Es gilt das Ergreifen des Begriffes, nicht gilt das Ergreifen der Vorstellung. Von einem "letzten Wendungspunkt" spricht auch Hegel. In der "offenbaren Religion" bleibt für Hegel ein Offenes: es ist noch ein Jenseits für das Bewusstsein, eine Vorstellung noch treibt sich herum. Es kommt nur zu einem Heran-Fühlen der großen Versöhnung, das Bewusstsein noch entzweit, die Wirklichkeit noch gebrochen. Hegel kritisiert das Bewusstsein der "offenbaren Religion": es sei noch in Vorstellungen zerbrochen. Der Mensch - oder Mitwisser - hat sich auf dem darstellenden Weg dahin gebracht, den "absoluten Geist" als Inhalt überhaupt zu wissen. Diese Form soll nun aufgehoben werden. In den Tiefen des menschlichen Geistes liegt die Wahrheit jener Aufhebung bereit, in diese Tiefen steigt nun Hegel hinab. Der Gegenstand des Bewusstseins wird überwunden. Wie? Gegenstände der Welt sind verschwindend, ein Sein kommt ihnen nicht wirklich zu. Die Dinge fallen hier herunter zur Nützlichkeit, mehr sind sie nicht wert - das Ding ist Sein für anderes. Es ist das Selbstbewusstsein, das die Dingheit setzt, sagt Hegel im letzten Kapitel. Mit anderen Worten: Nur erst für ein Subjekt kann es ein Objekt geben, erst der Geist in seiner Äußerung (Entäußerung) setzt die Dingheit. Gibt es Dinge also nur weil der Geist, ferner weil es Erkennen, ferner eben weil es Bewusstsein und Selbstbewusstsein gibt? Selbstbewusstsein ist hier bei Hegel nicht in der Bedeutung zu denken, dass ich mir selbst bewusst bin, dass ich ein Wissen von mir habe. Das Selbstbewusstsein bei Hegel hat die immense Weiträumigkeit des Geistes selbst, sodass man sagen muss: die einzige und alleinige Wirklichkeit liegt im Geist selbst. Geistig sein heißt: in seinem Anderssein zugleich bei sich sein, heißt die Identität in der Differenz. Das Bewusstsein ist von dieser geistigen Strukturiertheit. Der Gegenstand hat eine Totalität an Bestimmungen, er ist für das unmittelbare Bewusstsein, zugleich aber für die Wahrnehmung, zugleich aber auch für den Verstand und freilich auch für die Vernunft. Der Gegenstand ist in Wahrheit eine Bewegung vom Allgemeinen zum Einzelnen und vom Einzelnen zum Allgemeinen. Es geht um das Aufheben der Form der Gegenständlichkeit. Es geht um die Vereinigung des Ansich mit dem Fürsich, des Bewusstseins mit dem Selbstbewusstsein, so in Hegels Sprache, das meint: die Wirklichkeit des Geistes "an und für sich". Noch ist ein Festhalten, noch ist ein Beharren, noch ist ein Insistieren. Der Begriff (hier die "schöne Seele") wird sich realisieren, d.h. verflüchtigen, auflösen. Das Insistieren fällt zusammen. Es kommt zur Erfüllung. Hegel schreibt, dass das Selbst im Handeln das Leben des absoluten Geistes durchführe. In diesem Handeln geschieht die Entzweiung, das dialektische Spiel des Setzens und Aufhebens, des Sich-gegenseitig-Zuspielens, eines ergänzt das andere. Es ist kein starrer Gegensatz zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen mehr, sie spielen einander zu, lösen sich auf, ergänzen sich, verlieren ihr Insistieren. Hier ist eine Bewegung im Spiel, das Handeln des Geistes, der Geist tritt so hervor, ins Dasein. In der Religion ist man noch - das ist die Meinung Hegels - in der Vorstellung gefangen, dass sich die absolute Wahrheit in einem Anderen abspielte (und daher Vergangenheit sei). Hegel versammelt alle Momente des Geistes in einem Einfachen. Die absolute Wahrheit ist nun nicht mehr die Vorstellung eines Anderen, sondern spielt sich im Selbst "selbst" ab. Hegel nennt diese Wahrheit das "absolute Wissen" oder das "begreifende Wissen". Gemeint ist damit, dass der wahre Inhalt die Form des Selbst angenommen hat. Alle Wahrheit "ist" (weiß) das Selbst, Form und Inhalt decken sich, der Begriff entspricht der Realität, die Realität entspricht dem Begriff. Es bleibt dabei: der Geist ist in seinem Anderssein bei sich - das heißt "begreifendes Wissen". Dadurch ist er das absolut grenzenlose, unsterbliche und damit zeitlose Element in aller Endlichkeit. Der Geist ist diese un-endliche und un-sterbliche Bewegung, des Sich-Setzens, des Sich-Entäußerns und des Sich-Zurücknehmens, ein ewiger Kreislauf. Der Mitwisser Hegels ist einer, der "erkennt", es geht ihm um das letzte Wissen. Der Mitwisser Hegels ist damit Philosoph. Was er weiß ist nicht dies und jenes, sondern das letzte und höchste Wissen, die absolute Wahrheit, die Hegel missverständlich "Wissenschaft" nennt. Unter Wissenschaft versteht Hegel aber dem Begriff nach nur das absolute Wissen und nur dieses in seiner Gestaltung, Darstellung und Ausbreitung. Der Erkennende gibt sich nicht mit der Welt, wie sie erscheint, zufrieden -  er will es "wissen" und auf den Begriff bringen. Zunächst liegt die Wahrheit noch "verborgen", man muss sie nach Hegel hervorzwingen. Der Geist sucht nach der wahren Substanz. Und so beginnt ein Spiel der Mächte selbst und der Erkennende erkennt dabei, dass er nur mehr Zuseher ist dieses Spiels; er selbst tut eigentlich "nichts". Die Methode ist ganz einfach gesagt: das bloße Zusehen (Zuhören). Das ist freilich das Allerschwierigste. Der Geist dringt ein und vor und entreißt die Wahrheit der Verborgenheit. Hier kommt nun die Zeit ins Spiel und die Zeit spielt solange eine Rolle als sie nicht "getilgt" ist. Getilgt ist die Zeit erst, wenn sich der Geist als Geist erfasst oder mit Hegel: wenn sich der reine Begriff selbst erfasst. Der Geist, so Hegel, ist die Bewegung des Erkennens selbst. Wenn wir erkennen, dann ist das nicht nur eine Fähigkeit, die der Mensch neben anderen besitzt und zur Anwendung bringt. Für Hegel bedeutet das Erkennen das Geistig-sein, die Subjektivität, das Für-sich-sein und dadurch erst zeigt sich die wahre Wirklichkeit. Dass der Geist es ist, der den Gegenstand auch aufhebt und ihn verwandelt, ihn anrührt und alle Fixiertheiten auflöst, in Bewegung bringt, sodass kein Stein mehr auf dem anderen bleibt und nichts mehr so ist, wie es scheint zu sein, das ist die wahrhafte Kreisbewegung des Geistes selbst. Für diesen "Ein-Blick" braucht es Zeit und mit der Zeit ist die Geschichte, so scheint es uns; zugleich ist diese Geschichte aber zeitlos.

 

Die Welt ist da am ärmsten, wo sie uns am reichsten erscheint.

 

 

 

 

Fortsetzung: das Buch "Hiob"

 

Fortsetzung: die "offenbare Religion" in der Phänomenologie des Geistes

 

Fortsetzung: Übergang zur "Wissenschaft der Logik"

 

 

 

 

[...]

 

 

 


 

 

 

WELT - VERLUST

 

 

Wohin im Welt-Verlust?

 

 

Das Ziel nach Hegel (S. 74) lautet: dass der „Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriff“ entspricht. „Bis dass…“ – so könnte das Jederzeit-Vorwort hier lauten. Bis dass der Begriff dem Gegenstande entspricht – das ist das Ziel. Der Alltagsverstand, der beschränkte Verstand, verdirbt sich zusehends die beschränkte Befriedigung seiner beschränkten Ansprüche.

 

 

Nun besagt bei Hegel „Begriff“ jederzeit viel mehr als bloß „Begriff“, wie vorhin erörtert wurde. Hegels Begreifen des Begriffs ist universalontologisch gemeint und damit klingt in seiner Weite und Tiefe das an, was man seit alters her unter lógos zu verstehen hat. Es ist hier, um es vorerst kurz zu fassen, die Welt-Vernunft selbst am Werk. Diese wesentlichen Begriffe sind jederzeit ontologische Grund-Begriffe, also Seins-Begriffe. Was heißt also: An-sich-sein oder Für-sich-sein oder Wahr-sein, wie geht das zu mit dem Vorhanden-sein oder Wirklich-sein oder nur Möglich-sein? Um diese Seins-Begriffe geht es Hegel und es geht ihm darum, wie diese Begriffe ineinander greifen, wie z.B. das Denken mit dem Sein ineinander greift.

 

 

Hegel spricht oben eine „Entsprechung“ aus, die von Gegenstand und Begriff und das wäre das Ziel der „Phänomenologie des Geistes“. Hier müssen wir uns aufhalten und dem nachfragen, was Hegel hier unter Entsprechung versteht. Es handelt sich hier alles andere als nur um eine Feststellung oder Meinung. Martin Heidegger antwortet auf die Frage, was das sei, die Philosophie [Was ist das – die Philosophie?] einmal:

 

„Das eigens übernommene und sich entfaltende Entsprechen, das dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht, ist die Philosophie“ (29). Heidegger formuliert hier das Wesen der Philosophie, es handelt sich hier um einen Wesens-Satz, der nicht ohne weiteres zu verstehen ist.

 

Das Wort Entsprechen schreiben wir zunächst als Ent-sprechen. Darin zeigt sich jetzt ein Sprechen. Das Sprechen verweist auf uns selbst, die wir die Sprechenden sind, weil wir der Sprache mächtig sind. Aber das Sprechen vermögen wir nur, weil wir (und zuvorderst) auch die Hörenden sind. Als die so Hörenden sind wir jederzeit die Antwortenden, jene Wesen, die das Antworten vermögen. Wenn ich so spreche, wie es z.B. in irgendeiner Gesellschaft erwartet wird, dann ent-spreche ich, dann spreche ich ent-sprechend, dann habe ich ent-sprochen. Wir fassen diesen Sinn ontologisch: wenn ich meinem An-sich-sein ent-spreche, dann ent-spreche ich z.B. meinem Wesen. Ich bin aber nicht nur an-sich, sondern jederzeit für-sich und auch diesem Sein kann ich ent-sprechen, also ant-worten. Wir fassen daher grundsätzlich das Ent-sprechen als ein Ant-worten. Dieses Ant-worten muss nicht unbedingt ein Verlauten von Wörtern sein und ist es im ontologischen Sinn auch nie. Wenn ich meinem Wesen entspreche, einerlei ob an-sich, für-sich, an-und-für-sich oder verbal als sich entbergendes Seins-Geschehen, dann antworte ich schon wesenhaft diesem Wesen, dann stehe ich im Ein-Klang mit meinem Wesen (wesen).

 

 

Der „Begriff“: darunter verstehen wir jetzt ontologisch das Verstehen von Sein, das Begreifen von Sein und dieses Seins-Verständnis kommt nur dem Menschen zu. Das ist die eine Sache.

 

Der „Gegenstand“: darunter verstehen wir jetzt ontologisch das Sein des Seienden selbst.

 

Es geht hier bei dieser (wichtigsten) Stelle der Einleitung in der Phänomenologie des Geistes um nichts anders als um die Konstellation von „Sein und Mensch“ und um ihre „Ent-sprechung“. Das spricht Hegel hier im und am Grunde an. Und wie „entspricht“ sich diese Konstellation von Sein und Mensch? Wie an-wortet der Mensch dem Anspruch des Seins, wie ent-spricht er also dem Sein? Ent-spricht er überhaupt, ant-wortet er überhaupt diesem Anspruch?

 

 

Die „Entsprechung zwischen Begriff (Wissen) und Gegenstand (Sein): Sein und Wissen stehen in einem Verhältnis, der Mensch und das Sein. Dieses Verhältnis kann mit Heidegger ein „Seins-Verhältnis“ genannt werden. Ich sage z.B.: „Draußen regnet es!“ Jemand hört meine Aussage und überprüft sie mit der Tatsache, dass es draußen tatsächlich regnet. Das Wissen, der Begriff, stimmt mit dem Sachverhalt überein, er entspricht der Tatsache, d.h., das Wissen ist „wahr“. Der Augenschein, so sagt man, gibt dieser Übereinstimmung die verlässliche Gewähr, dass diese „wahr“ oder „unwahr“ ist. Ist es nun so, dass sich der Mensch dann und wann aufmacht, eine Übereinstimmung mit seinem Wissen und irgendeinem Sachverhalt (Welt) herzustellen und ansonsten gehen sich Sein und Wissen weiter nichts an? Oder ist es so, dass Mensch sein heißt: sich jederzeit dem Wissen und Sein ausgeliefert >wissen<? Muss mir nicht schon eine ganze Welt (Sein)  (mit dem darin Seienden) offenbar sein, damit ich auf einzelnes Seiendes oder einzelne Sachverhalte übereinstimmend zugreifen kann? Muss ich nicht allem zuvor „Sein“ verstanden haben, und zwar in einer ganz ursprünglichen Dimension und halte ich mich nicht schon ursprünglich ganz >entsprechend< dieser Dimensionalität in der Welt auf? Denn ich weiß jederzeit um das: An-sich-sein, um das Für-sich-sein, um das An-und-für-sich-sein, um das Bei-mir-sein, um das Für-mich-sein, um das Wirklich-sein, um das Real-sein, um das Wahr-sein, um das Falsch-sein, um das Sein und um das Nicht-sein, um das Vorhanden-sein und nur Möglich-sein oder um das Lebendig-sein. Und nur weil ich ursprünglich weiß, was „Sein“ bedeutet, dass ich mich als Mensch z.B. in der Dimensionalität des Vorhanden-Seins aufhalte, daher kann mir auch einzelnes Vorhandenes entgegenstehen. Das Vorhandene ist aber anderes als das Lebendige. So muss ich auch zum Voraus das Lebendig-Sein als solches verstanden haben, damit mir Lebendes offenbar sein kann. Verstünde ich nur und nur das Vorhanden-Sein, Lebendes könnte mir nie erschlossen sein.

So steht der Mensch jederzeit mehr oder minder aber verlässlich in dieser Übereinstimmung zwischen Sein und Wissen (Wissen hier immer universalontologisch genommen). Bevor Sätze oder Sachverhalte „wahr“ sind, muss diese Dimension des Ontologischen walten und sie waltet im Mensch-sein.

Die Entsprechung zwischen Begriff (Wissen, Wahr-sein) und Gegenstand (Sein des Seienden) ist eine Entsprechung, die am und im Grunde nicht hergestellt werden muss, denn diese waltet schon jederzeit. Es handelt sich hier um jene ur-sprünglichste Dimensionalität, die erst das Mensch-sein als Mensch-sein ermöglicht.

 

Sein und Wissen, das ist es, worum es Hegel in der Phänomenologie des Geistes geht und zwar in dem Sinne, wie diese Dimensionen ineinander greifen; die eine nicht ohne die andere, wo die eine, da auch die andere. Das Wahr-sein zeigt sich hier ebenfalls in dieser Dimensionalität.

 

 

(am Vor-Abend; 16. Oktober 2019 in der Wieder-Holung)

 


 

 

 

Πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς· 
ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου·
ἐλθάτω ἡ βασιλεία σου·
γενηθήτω τὸ θέλημά σου, 
ὡς ἐν οὑρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς·
τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον, 
καὶ ἄφες ἡμῖν τὰ ὀφειλήματα ἡμῶν, 
ὡς καὶ ἡμεῖς ἀφήκαμεν τοῖς ὀφειλέταις ἡμῶν. 
καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν, 
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ.

 

Die gänzliche Auf-Gabe ist Aufgabe nicht des Täters, sie bleibt aufgegebene Aufgabe.

 

Der Baum des Lebens

 

 

Eines - bleibt es im Anderen. Das entweder-oder bleibt und bleibt zugleich nicht, setzt sich und hebt sich auf: sowohl-als-auch. Dass das Letzte das Erste, das Erste das Letzte sei, ist gesagt worden. Moné, prohodos, epistrophé; Letztheiten sind keine gern gesehenen Gäste, man wird sie schwer wieder los - das reicht. An sich ist die Fertigkeit; was bleibt ist ein Abarbeiten daran. Die Idee (im Sinne der idea, nicht eine Vorstellung) ist somit das wahre skándalon für die endlichen Zwecke. Warum nicht nur Moné? Wie prohodos? Ein Spiel der Liebe? Hegel erwähnt gerade das an dieser wichtigen Stelle, da es darum geht wie die Differenz gesetzt und zugleich aufgehoben ist. Die Welt ein Spiel der Liebe mit sich selbst? Der Begriff des "Spiels" ist in der Philosophie von Nietzsche eingehend angesprochen (Zarathustra). Hegel bringt zugleich diese Begriffe der Liebe und des Spiels in unmittelbare Nachbarschaft. Das Spiel ist seinem Wesen nach absichtslos und von der Liebe gilt allenthalben, dass es Liebe nur ist, wenn keine Absicht dahinter steht, wenn sie ebenfalls absichtslos sei, keine Berechnung ihr anhaftet. Das Anderssein hat in diesem göttlichen Spiel keinen letzten Ernst, es ist ein Spiel des Gottes mit sich selbst, ein Unterschied, der eigentlich keiner ist, ein Aufbauen und Zerstören, ein Aufgehen im Untergang. Spielt Gott? Wer wäre der Gott, wäre das Anderssein nicht und wäre er dann überhaupt? Die Liebe ist nach Hegel jene Dimension, in der das Ich das Du ist, eine Identität gestiftet ist so aber, dass das Du seiner Identität mit sich selbst dabei zuwächst. Das Sich-Zuwachsen ist glücklich formuliert, es besagt, dass eine Identität in Differenz waltet, ein Einssein im Anderssein und so, dass das Anderssein nicht dabei deformiert wird, sondern sich gerade dadurch mit sich selbst vermittelt, sich zuwächst. Anders gesagt: Ich blicke mich im Du an. Ein Bestimmtes als Freies zu entlassen und dabei "frei" zu sein, das ist ein anderes Wort für Liebe im Sinne Hegels. Daher kann die Liebe nur wahr und wirklich sein dort, wo eine freie Dimension waltet; diese ist absolut in der geistigen Dimension. Das Selbststand haben erst ist das wahre Angesicht des Du. Selbststand wahrhaft sein, heißt "frei" zu sein. Es ist das freie principium aus sich selbst heraus, das erst die wahre Anerkennung verbürgt und garantiert. Im Anderen bei sich zu sein, so aber, dass der Andere sich zuwächst, sich gewinnt, dass die Identität keine Vernichtung, sondern Potenzierung bedeutet, dass die Differenz gewahrt und als solche Kontur erst gewinnt, ist Zeichen des Geistes.

 

Die Welt hat keine wahrhafte Wirklichkeit. Die Welt ist nicht das Wahre, sie nimmt sich aus wie Wirklichkeit, ist aber nicht die wahre Wirklichkeit. Hegel meint damit, dass der Welt - [und man kann sich unter Welt zunächst das vorstellen, was man sich eben vorstellt, das Umherum der Dinge, Menschen, das Alles und mehr, usw.] -  letztlich keine ontologische Dignität zukommt. Die Welt ist ein "Erschaffenes", sagt er wortwörtlich. M.a.W.: die Welt, wie sie uns zunächst vorkommt und zumeist auch bleibt, hat an sich, also im Wesen gesehen, keine End-Gültigkeit. Mit Kant formuliert heißt das, dass die Welt bloße Erscheinung ist und niemals Ding an sich. Das einzusehen verlangte in sich eine ungeheure Zumutung, gilt doch die Welt und alles was damit zusammenhängt als "wirklich wirklich". Man lebt nur einmal, heißt es, das kommt nie wieder, heißt es, man müsse seine Chancen nützen, heißt es. So zu reden und so überzeugt zu sein heißt eigentlich, dem Weltgepräge Absolutheit zuzumessen. Das Unglück des Menschen, kann man daher sagen, liegt genau in diesem absoluten Zuspruch, in diesem Insistieren der vermeintlichen Absolutheit des Endlichen. Dieser Zuspruch ist ein automatisierter. Heidegger wird das später in "Sein und Zeit" die ontologische Rückstrahlung des Weltverständnisses auf die Daseinsauslegung nennen. Das bedeutet hier, dass der Mensch die Wirklichkeits-Auslegung allein zumeist und zunächst vom Anorganischen her nimmt, vom Vorhandenen und jene dinglichen Kategorien rücküberträgt auf die Auslegung des Organischen und weiter auch des Geistigen. Es kommt auf den "Bruch des endlichen Absolutismus" an, sagte ich irgendwo. Einen "Augenblick des Seins" zu haben und zurückzukehren, nicht an sich alles sein zu müssen, das ist der große Hegelsche Gedanke, den spätere Autoren herausheben, als wäre es eigenes. Den Dingen - und das ist ganz weit zu verstehen - wohnt ein Drang inne, ein Zurück zu..., eine Sehnsucht zum Ursprung. Hegel nennt das dann die "Versöhnung". Hegel kennt hier einen "ersten Eingeborenen" (in Anlehnung an Jakob Böhme), der Eingeborene ist schon der Übergang zum Anders-sein und der "erste" ist hier der Lichträger, Lucifer. Der, der das Helle, das Licht, das Klare und daher den Grund und Boden des Unterschieds "bringt". Nur wo die Helle, das Licht, da die Kontur, der Schied, der Unter-Schied, da das on he on, das ens qua ens. Lucifer sei zum Sein fortgegangen und so abgefallen. Was heißt das? Es bedeutet, dass die Dinge zwar "sind" (in der Helle), aber dass ihnen dennoch kein absolutes Sein zukommt. Lucifer ist daher das advokatische principium des endlichen Absolutismus und daher wahrhaft Grund und Boden alles Bösen.


Der Kern dieser Selbstimagination liegt darin, sich selbst Sein zuzusprechen und damit das Endliche zu verabsolutieren. Darin liegt in der Tat eine große Versuchung wenn man bedenkt, dass gerade für die Denker (z.B. Descartes) das Allerwgewisseste und Sicherste mit dem vermeintlichen Selbst-Sein verknüpft ist: cogito ergo sum. "Sich für sich selbst zu setzen", sich selbst Absolutheit zuzuschreiben - das ist der absolute Abfall, die Wegwendung von Gott, vom Ursprung und vom alleinigen "Sein".

 

Wo aber Gott waltet, ist alles Anders-sein ein bloßer Augenblick (ein bloß gestetzer, o.m.a.W., ein geschenkter) des Seins, so könnte man mit Hegel sagen. Der erste Eingeborene, Lucifer, "ist" abgelöst durch den "ewig Eingeborenen", Jesus Christus - der das Böse absolut überwunden hat. Damit ist bereits die Welt erlöst - schon erlöst. Ein unerhörter Gedanke von Hegel; davon später. Bei Hegel aber gilt in jeder Hinsicht, dass der "Gedanke" die absolute Wirkklichkeit selbst ist - das ist alles andere als ein bloßer, subjektiver Gedanke, wie man meinen könnte.

 

Die Welt - Moment der Idee, sagt Hegel. Er meint damit, dass ihr wesentlich kein Sein zukommt, die Welt sei bloß wie ein "Leuchten des Blitzes", ein verschwindendes Moment. Man müsse sich aber, so Hegel, der Verstandes-Operationen bewusst sein die da sind: ewig, in der Zeit, unendlich, zeitlich, erschaffen, unerschaffen, unmittelbar für sich, usw. Dagegen ist sich bewusst zu machen: das heteron, das Anders-sein der Idee in der ihr unangemessenen Bestimmung: Welt; Welt als gesetzte, als Moment, als negatives, verschwindendes Moment. So zu sein ist nach Hegel zu sein ohne Selbst-Stand zu haben, also bloßes Moment zu sein. Damit kommt Hegel zu einer für ihn wesentlichen Bestimmung der Welt: Welt ist für ihn ein Gesetztes, ein Moment im Kommen und Gehen, Welt hebt sich auf, ist ein Prozess, der auf ein Letztes hinweist, dieses aber selbst nicht ist. Man kann mit Hegel sagen, dass die Welt in der Idee zu Grunde geht, sich aufhebt und auflöst, sie ist eine bloße Erscheinung, die schon wieder verschwunden ist in ihrem Erscheinen. Die Seins-Bestimmung der Welt ist nach Hegel das Anders-Sein und dieses Anders-Sein ist nichts anderes als das, dass die Welt eine "erschaffene" ist. Wird das Anders-sein mit Verstandes-Reflexion überfrachtet, kommt es zu den insistierenden Verstandes-Bestimmungen der Form, der Materie, der Zeit, der Unendlichkeit. Den Begriff aber der Welt tangiert das im Wesen nicht, der Begriff ist der des Anders-seins. Der (sinnlichen) Welt aber kommt damit keine Selbst-Ständigkeit zu, es kommt ihr kein Sein zu, kein An-und-für-sich-sein, sie subsistiert nicht wahrhaft aus sich heraus. Was Hegel hier vernunftgemäß und nicht verstandesgemäß reflektiert, ist auch schon die Erfahrung des Alltags. Hegel spricht unser Wissen der Vergänglichkeit, der Endlichkeit an. Aber, und das macht die große Differenz zum Alltagsverstand aus, diese Vergänglichkeit hat keinen Absolutheits-Status, die Vergänglichkeit ist kein Letztheit, sondern Andersheit, es spricht sich in der Vergänglichkeit die "Idee" selbst auf eine ihr unangemessene Weise aus.  Die Welt ist demnach eine geschaffene und der Schöpfung geht, wie sich Hegel ausdrückt, jederzeit ein "Seiendes" vorher. Welt hat nach Hegel eine "Voraussetzung", sie ist selbst kein Letztes und kann sich daher selbst nicht erhalten. 

 

Das Subjekt sei in der Unwahrheit; der Grund der Unwahrheit liegt in der "Entzweiung", in einer fundamentalen Zertrenntheit; der Mensch spürt diese innerliche fundamentale Spaltung in sich, er weiß gewiss, dass sein Sein  jederzeit und immerfort unvollkommen ist. Nach Hegel waltet im Mensch-sein ein fundamentaler Drang zur "Versöhnung". Der Begriff der Versöhnung hat bei Hegel eine immense Bedeutung in mehrfacher Hinsicht. In den religionsphilosophischen Schriften meint Hegel mit Versöhnung - Versöhnung mit der "Wahrheit". Im Wort Versöhnung steckt die "Sühne". Im Christentum gehört es zum wesentlichen Gehalt der Bestimmung des Mensch-seins, dass der Mensch "gesündigt" hat, dass er im Wesen ein Sünder sei. Das hat eine tiefe Bedeutung und meint gerade, dass der Mensch "an sich", also im Wesen, von Gott abgefallen ist. Angesprochen ist damit der "Sündenfall" des Menschen. Wie auch immer man diese Dimension des innersten Mensch-seins fassen mag, jede Auslegung spricht im Kern von einer Trennung, einem Abfall, einer Sünde, vom Bösen, von einer Abspaltung und Eigensinnigkeit, von Hochmut und Stolz und im Grunde aber immer von einem "Zerwürfnis".

 

Dieses Zerwürfnis betrifft unmittelbar das Verhältnis des Menschen zu Gott. Es liegt von Anfang an im Argen mit dem Menschen und Gott und das heißt, dass es sich jederzeit so verhält; und nicht nur einmal war. Die Geschichte des Menschen ist eine Geschichte des Zerwürfnisses, der Trennung, ist eine Geschichte auch des Bösen, eine Geschichte der Unordnung, der Auflehnung, des Aufbegehrens, eine Geschichte des Unheils. Das hat sich nicht einmal vor langer Zeit zugetragen, sondern dieses Zerwürfnis trägt jeder Mensch im Wesen mit sich, diese Geschichte des Zerwürfnisses ereignet sich jederzeit aufs Neue und jetzt. In diesem Zerwürfnis mit Gott arbeitet der Mensch, ohne sich dessen bewusst zu sein, gegen sich selbst. Zugleich hebt aber gerade hier ein Grund-Bedürfnis nach "Versöhnung" an. Nur wo ein Zerwürfnis, nur wo Unheil, da das Bedürfnis nach Versöhnung und Heil. Die Heilsgeschichte mit dem Menschen hat nur dort einen Sinn, wo es mit ihm im Argen liegt. Und für Hegel besteht kein Zweifel, dass die Versöhnung nur Versöhnung mit der Wahrheit sein kann, also Versöhnung mit Gott. Wir alle haben so ein Grund-Bedürfnis nach Versöhnung mit Gott in uns, das ist Hegels Überzeugung und er ist hier ganz auf der Linie von Aurelius Augustinus: "...inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te, Domine; Confess. I 1).

 

 

Mensch sein heißt nach Hegel: ent-zweit sein, im Zerwürfnis sein, in der Zertrennlichkeit sein, heißt auch ferner, abgefallen sein, in der Sünde sein. Nur wo solches statt hat, da steigt ein fundamentales Bedürfnis nach "Versöhnung" auf, da ist ein Drang nach Wahrheit, nach dem Erlöst-sein. Hegel bringt hier überhaupt nichts Neues, das Christentum ist voll dieser Wahrheit. Hegel reflektiert aber aus dieser Wahrheit - nicht darüber - und hebt diese Wahrheit in den "Begriff". Diese Dimension ist auch insbesondere das Signum der Geschichtlichkeit des Menschen. Geschichte ist eine fundamentale Bewegung - Geschichte ist im Wesen nach Hegel immer: Heils-Geschichte, Geschichte zur Wahrheit.

 

Für Hegel bedeuten Entzweiung und Zerwürfnis zugleich Geist sein. Die Folge des Geist-seins ist die Erkenntnis und Erkenntnis bedeutet jederzeit: trennen können. Hier liegt auch für Hegel der Ursprung des Bösen. Das Böse ist nach Hegel keine äußere Macht, die den Menschen dann und wann überfiele, im Gegenteil, das Böse haust im Mensch-sein selbst: Mensch sein heißt "böse sein". Warum das so ist, gehört zum Tiefsten, was Hegel je gedacht. Jede Theorie oder Meinung zum Bösen verblasst vor diesem Gedanken-Gang Hegels. Er setzt am höchsten (tiefsten) an, wie sollte es auch anders sein, er setzt an bei Gott, dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen und beim Baum des Lebens.

 

Dass etwas „für mich ist“, setzt Bewusstsein, Wissen, Erkenntnis voraus; ich weiß etwas und weiß damit, dass etwas für mich ist, ich selbst bin für mich Objekt, ich selbst bin mein auszuführendes Ansich. Damit, dass es sich so verhält, ist bereits Trennung eingetreten zwischen einem Ansich-sein und einem Fürsich-sein: Trennung, Urteil, Entzweiung, Spaltung, Abspaltung. Das Negative haust im Wesen des Menschen, er ist, wie er nicht sein soll, er muss erst noch werden, was und wie er sein soll, er ist nicht in der großen Versöhnung zuhause, sein Sein widerspricht seinem Begriff und Wesen, ein Hiatus ragt auf. Wären das Bewusstsein und näher hin das Selbstbewusstsein, wäre Erkenntnis nicht, so wäre dem Menschen diese Wahrheit nicht aufgeschlossen. Dass ich nicht versöhnt bin mit mir, der Welt und mit Gott, das schließt mir das Erkennen auf, der Geist. Muss daher notwendig das Böse in der Form der Zertrennlichkeit im Menschenwesen hausen, damit das Gute, damit die Versöhnung Kontur annimmt? Hegel sagt nun, dass das Böse erst innerhalb des Kreises der Erkenntnis vorhanden sei. Das Erkennen erbringt die Trennung und das Bewusstsein, dass es so nicht bleiben soll. Es soll anders sein, es soll am Ende „versöhnt“ sein. Der Ursprung alles Bösen liegt in dem Bewusstsein, dass ich für mich bin, dass das Für-sich-sein meinem Wesen zugehört; ich kann mich dann ferner in mich selbst hineinimaginieren, mich in mich verkapseln, einschließen, böse sein, mich bloß nur mehr ver-einzeln. Zugleich erscheint aber die große Versöhnung am Horizont, dass es letztlich so nicht bleiben oder sein soll. Mit dem Bösen erscheint zugleich die Versöhnung. Der Mensch handelt nach Hegel nicht nur dann und wann böse, sondern ist seinem Wesen nach in das Böse verstrickt, das ja gerade sein Erkennen strukturiert, insofern darin die Zertrennlichkeit liegt. Die Voraussetzung jeder möglichen und auch wirklichen Vereinzelung liegt überhaupt darin, dass ein Objekt für ein Subjekt sei. Dass aber ist die allein geistige Seins-Weise, denn der Geist ist an und für sich: frei. Der Geist  ist das Fluidum des Für-sich-seins, da ein Objekt für ein Subjekt „ist“. Das Erkennen ist daher nicht eine Eigenschaft am Menschen, ein Vorkommnis, das auch nicht sein könnte, sondern das Erkennen macht erst die Dimension des Menschlichen in sich aus. In der jahwistischen Urgeschichte ist dieses Drama der Zertrennung am prägnantesten verdichtet: der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, die Freiheit, die Strafe, die Sühne, die Versöhnung. Die Quelle alles Bösen ist zugleich die Quelle des Guten, wo kein Böses, da kein Gutes. Das Aufgehen des Bewusstseins ist zugleich das Aufgehen der Erkenntnis.

 

 

Die Vergänglichkeit, dass alles kommt und geht, der Mensch ebenso, das ist "die" Grunderfahrung des Menschen selbst. Es ist mit ihm die tiefste Erfahrung und daher stets hintergründig am Werk, dann und wann auch actuiert. Das Leben solle möglichst lange weiter gehen, man weiß um die eigene Sterblichkeit und fände es töricht, darüber hinwegzugehen. Aber, man will das eigene Sterben möglichst lange hinausschieben, wegdrängen. Man ist sich einig: stirbt einer im  hohen Alter und möglichst schmerzfrei, schnell, dann war es mitunter auch ein gesegneter Abschluss eines langen und, so wird angenommen, guten Lebens. Stirbt einer dagegen in der Blüte seines Lebens, schwer gezeichnet, dann ist das ein Schicksalsschlag - der Tod kommt zu früh. Man darf sich fragen: Was heißt hier zu früh? Wann ist der richtige Zeitpunkt? Der Tod kommt für den amputierten Menschengeist immer zu früh, es kann diesem Geist nie lange genug sein - das Quantum, die leere Zahl,  ist vermutlich die einzige Qualität des amputierten Geistes.

 

In aller erfahrbaren Endlichkeit und Vergänglichkeit, in aller Sterblichkeit auch und in aller Hinfälligkeit erfährt der Mensch - ob er es wissen mag oder auch nicht - ob er es verdrängt oder erblickt - ein Bleibendes im Kommen und Gehen, er erfährt ein Zeit-Raum-Transzendentes und zumeist bleibt dieses nur eine Ahnung. Sein Geist-Sein selbst ist dieses Raum-Zeit-Transzendente, erfahrbar im Erkennen, am Maßstab der Wahrheit, erfahrbar im Gewissen haben wollen, erfahrbar im Unbedingten in allem Bedingten. Das wahre Urteil z.B. ist letztlich ein unbedingtes, es läuft nicht aus und hinzu, sondern kommt aus dem Unbedingten auf uns zu. Das sittliche Urteil ist letztlich ein unbedingtes, es läuft nicht aus und hinzu, sondern kommt aus dem Unbedingten auf uns zu. Die Freiheit (Geist) an und für sich ist letztlich eine unbedingte, sie läuft nicht aus und hinzu, sondern kommt aus dem Unbedingten auf uns zu. Der leibliche Tod, Zeichen auch der Vergänglichkeit, Zeichen der Zeitverstricktheit, kann diesem Unbedingten nichts anhaben. Diese Dimension des Unbedingten ist Letzt- oder auch zugleich Erst-Dimension, ein absoluter Anfang, der Anfang stets bleibt, ein wahrhafter Ur-Sprung. Wenn einem Wesen in diesem Sinne Unbedingtheit zukommt, so heißt das, dass ihm absoluter Selbststand zukommt, ein aus sich heraus sein, daher eine Unabhängigkeit, eine Freiheit. Das Moment des Geistes im Menschen spricht sich in dieser Dimension aus, sie ist das Fluidum des lebendigen Geistes. Daher stimmt, was die älteste Tradition überliefert, was auch die Religionen immer wussten: die Geist-Seele des Menschen ist un-sterblich und damit un-vergänglich, die Geist-Seele im Menschen waltet raum-zeit-überlegen.

 

Das sind keine neuen Überlegungen, man wusste um diese Wahrheit des menschlichen Seins schon immer. Man verlangte Unsterblichkeitsbeweise und verlangte zugleich nach Gottes-Beweisen. Es fragt sich an dieser Stelle: warum eigentlich? An all diesen Beweisen ist letztlich kein Zweifel anzubringen, letztlich, sage ich. Es reicht eigentlich das reine Selbstzeugnis einzusehen, dass das Ich ein sich Durchhaltendes, Bestehendes, Transzendierendes ist, das über alle Zeit und über allen Raum herrscht, daher das herrschende principium ist. Es fehlt nicht an den Beweisen, diese liegen längst vor. Was aber verwundert, das ist das Übergehen dieser Dinge, als ob man immer wieder von Neuem beginnen müsste. Man kann es auch anders ausdrücken: Im menschlichen Leben ginge (!) es letztlich und erstlich um diese unbedingte Dimension im Endlichen des Menschen, nichts wäre wichtiger als dies einzusehen und das hätte freilich auch fatale Folgen für die Lebensgestaltung.

 

Dass wir sterben ist ein Faktum, dass wir zugleich un-sterblich sind, ebenso; das ist freilich formal gesehen ein Widerspruch, denn die Verstandes-Logik meldet hier sofort ihr Bedenken an, das sich ausdrücken lässt: entweder - oder. Entweder sterblich oder eben unsterblich - beides zugleich ist ein Widerspruch und daher falsch. Die Vernunft-Logik sieht ein das Sowohl-als-auch, sterblich und un-sterblich. Dennoch gilt hier keine Symmetrie; auch in Ansehung von wahr und falsch gibt es letztlich keine Symmetrie, das Verhältnis ist a-symmetrisch: veritas norma sui et falsi est (Spinoza). Die Endlichkeit ist an der Un-Endlichkeit angemessen, nicht umgekehrt. Der Geist ist in sich un-endlich und un-abhängig, obzwar er verendlicht ist. Der Widerspruch ist einer für den Verstand, nicht für die Vernunft.

 

Für Hegel ist klar: die Unsterblichkeit der Geist-Seele ist nicht nach einem Sterben actuiert, sondern von Ewigkeit her: also auch jetzt schon. Alle Beschränktheit ist bereits überschritten. Was bedeutet das? Die Zeit, eine Täuschung - sub specie aeternitatis? In Mt 16,25 ist das Faktum angesprochen, wer aber daran festhält bestätigt seine Verfallenheit, verwirklicht den endlichen Absolutismus. Für den endlichen Absolutismus ist das Sterben müssen ein absoluter Verlust, ein Verlust, den man möglichst lange begehrt nicht bemerken zu müssen. Die Unsterblichkeit der Geist-Seele ist für den endlichen Absolutismus bestenfalls eine Notlösung, ein nicht wahrhaft zu Glaubendes, eine Schwäche des menschlichen Wollens, beheimatet in einer Welt der geschwächten Phantasie und Un-Logik. Der endliche Absolutismus will um jeden Preis sein Leben retten, d.h. verlängern. Mit den Augen der Gegenwart betrachtet: Wer wollte dem widersprechen? Die Lebensverlängerung um jeden Preis gilt heutigen tags als alleroberstes Gebot, sie ist der oberste Wert schlechthin. Diese Lebensverlängerung um jeden Preis darf niemals hinterfragt werden und wird es auch nicht. Mt 16,25 zeigt auf was es heißt, an dieser Verlängerungslogik festzuhalten: Gerade hier wird sich bewahrheiten, dass gerade der stirbt, der seine endliche Existenz festhalten will. Es kommt alles darauf an, an der endlichen Existenz nicht festzuhalten, sie sein zu lassen wie sie eben ist: endlich. Das aber ist längst nicht alles. Dass das Endliche längst nicht "alles" ist und bedeutet, das ist schon der halbe Weg der großen Versöhnung - so sieht es Hegel. Mit dieser Einsicht ist eigentlich schon im Wesen der Tod besiegt: den endlichen Absolutismus zu brechen, sein Leben verlieren zu "lassen" eben weil man es verliert, das ist die höhere, die veritative Logik. In dieser Gangart aber wird man es absolut "gewinnen" - Mt 16,25, unsterblich sein, weil man es schon ist. Die Bedeutung, so zu gehen, ist die absolute Affirmation. In Mt 16,25 verdichtet sich die Dramatik und damit der Sinn des gesamten Lebens in wenigen Worten - darum dreht sich alles. Mit dem Geist beginnt die Zertrennlichkeit, der Quell alles Bösen; zugleich aber ist damit der Weg zur absoluten Versöhnung gesetzt: nicht sein Leben an das Leben zu hängen. Das kann man wohl die höchste Logik, die wahrhaft veritative Logik nennen. Das eigene Leben nicht an das eigene Leben zu hängen, das eigene Leben dran zu geben, es sein zu lassen, es absolut aufzugeben, eine absolute Aufgabe in mehrfacher Hinsicht - darum wird es sich drehen. Das ist alles andere als das eigene Leben willkürlcih zu beenden. 

 

Längst aber ist klar geworden, dass dies alles die Dimension des Geistes selbst ist: ein Erkennen, eine Einsicht, ein Vernehmen, ein akroamatischer Sinn, ein Hören können - letztlich ein "Empfangen können".

 

Hegel drückt sich aus: zur Unendlichkeit des Für-sich-seins. Er meint, dass das Bewusstsein diese Unendlichkeit eingesehen hat: das selbstbezügliche In-Sich-Stehende, die Unbedingtheit, die Raum-Zeit-Überlegenheit (BWWdG, 143). [Der Weg ist hier nochmals auf einer höheren Reflexionsstufe zu gehen]. Es handelt sich hier um die letzte und tiefste Einsicht menschlicher Erkenntnis, die aber noch weiteres bereit hält, also hier nicht ausläuft. Dieses Bereit halten ist ein qualitativer Sprung. Es stellt sich hier auch zugleich die Frage nach dem Wesen der Philosophie, was sie überhaupt zu leisten im Stande ist. Durch sein Geist-Wesen ist der Mensch für Hegel in sich un-sterblich; Zeugnis davon gibt die ontologische Struktur des Erkennens selbst, näher hin das Zeugnis des reinen, transzendentalen Ichs. Denken heißt bei Hegel: eine freie, reine Seele sein, daher unbeschränkt sein. Der Unsterblichkeitsbeweis wird je und je im Sein des Menschen selbst vollzogen; wird diesem Beweis ausdrücklich widersprochen, so handelt es sich dabei um einen performativen Widerspruch, das ist einer, der in der eigenen Behauptung das zu Kritisierende vollzieht und selbst voraussetzt. Hegel drückt das so aus, dass der Geist an und für sich "Totalität" sei und meint damit gerade das Unbedingte, dass etwas nicht durch ein Anderes bedingt oder beschränkt sei und sich dabei zur Gänze erhält im Anderssein.

 

Die Frage ist nun, was damit geschieht, auf dieser Stufe der Reflexion zu stehen? Was bedeutet diese Einsicht? Ist es eine reine und folgenlose Einsicht? Um es noch einmal zu erinnern: Für Hegel liegt im Erkennen selbst der Quell der Zertrennlichkeit und damit der Ursprung des Bösen aber zugleich auch das Gute. Hegel will zur Einsicht bringen, dass der Gegensatz des Guten und des Bösen im Menschen-Wesen selbst haust und nicht durch gute Taten etwa beseitigt werden könnte, sondern Bestimmung des Begriffes des Menschen bleibt. Der Begriff aber des Menschen ist im Wesen der, dass er geistige Subjektivität an sich ist; was er an sich ist, das soll er auch für sich sein (werden) - ein Weg dahin. In diese Stellung des abstrakten, also allgemeinen, Gegensatzes in sich müsse man sich bringen, so Hegel. Was sind nun die weiteren Folgen?

 

Nun geht es Hegel im Wesen um die "große Versöhnung", das ist eine solche, wofür zu leben und zu sterben ist - ein Letztes und Erstes überhaupt. In dem Gedanken der Versöhnung ist das Wesen der Hegelschen Dialektik überhaupt eingebettet; es liegt darin die Entwicklung und Geschichte des Geistes selbst, der zu sich kommt. Wenn im Menschen, kann man sagen, die innere Spannung zwischen dem Guten und dem Bösen abstrakter weise absolut gesetzt wird und nicht in eine Einseitigkeit verflüchtigt wird, erst dann und nur dann steigt in des Menschen Seele das Bedürfnis nach einer letzten Versöhnung auf. Die Versöhnung heißt eine "allgemeine" und Hegel meint damit die "göttliche Versöhnung". Welchen Rang diese "göttliche Versöhnung" für Hegel hat lässt sich daran ersehen, dass er hier von einer "tiefsten Tiefe" spricht; er meint damit, dass für einen Menschen alles daran liegen muss, diese Spannung der Gegensätzlichkeit in sich aufzuschlagen, diese Innerlichkeit zu gewinnen. So spürt er und weiß um den Gegensatz zu Gott, der ist, das unendlich Affirmative. So gesehen kann sich der Mensch drehen und wenden wie er will, es bleibt bei einer Unangemessenheit seiner selbst gegen Gott. Dann aber weiß dieses Bewusstsein auch, dass die Welt in keiner Hinsicht die absolute Versöhnung leisten kann. Es kommt zur inneren Emigration, dem stoisch-skeptischen Rückzug. In der Phänomenologie des Geistes legt Hegel diese Formen des Rückzugs phänomenal auseinander. Sein Urteil: ungenügend, weil nur abstrakt! So auch in den religionsphilosophischen Überlegungen Hegels. Der abstrakte Rückzug sieht letztlich ein, dass er seinem Begriff nach "konkret" sei oder anders gesagt: diese Abstraktion widerspricht ihrer Bestimmung, nämlich konkret zu sein. Der Stoiker findet sich in all seinem Rückzug dennoch in die Welt hineinkonkretisiert, er will dennoch, leidet, hat Triebe, Sehnsüchte, verrichtet sein Tagwerk, ist verstrickt in die Weltangelegenheiten. Welche Versöhnung der Stoiker immer auch erreichen mag, es bleibt eine abstrakte Versöhnung, also nur formelle Identität mit sich selbst. Hegel aber geht es um keine abstrakte Versöhnung. Hegel bringt es auf den Punkt: in der tiefsten Tiefe des unendlichen Gegensatzes in sich bringt die absolute Versöhnung nur eine "vollkommene Versöhnung" zu Stande. Das klingt nichtssagend, tautologisch: die Versöhnung bringt die Versöhnung zu Stande. Darin liegt aber Hegels spekulative Tiefe.

 

 

DIE VERSÖHNUNG

 

Die Vorgeschichte der großen Versöhnung ist einerseits für Hegel die Zerknirschung oder Demütigung, wie er es nennt, das Ungenügen, dass auf der einen Seite das Gute, das Affirmative, das Unendliche sei und da ein Hiatus zu mir selbst aufragt, ich ein ewiges Ungenügen an mir in Bezug zur Wahrheit empfinde und denke. Andererseits ist auch der selbstbefriedigende Rückzug, der stoisch-skeptische Weltrückzug, keine Lösung oder absolute Erlösung. Denn der abstrakte Weltrückzug findet hier nicht, was er such und begehrt: Versöhnung, Ruhe, Frieden, Einklang. Der abstrakte Weltrückzug kommt einer Weltflucht gleich - der Stoiker setzt sich in der Tatlosigkeit zur Ruhe.

Weltflucht heißt zugleich Verneinung meines Willens und Wollens. Was bleibt dann überhaupt noch übrig? Am Ende zeigt sich das reine oder transzendentale Ich, das reine Selbstbewusstsein, es ist das sich durchhaltende Element, das Subsistierende, am Ende zeigt sich der Geist, das, was bleibt im Kommen und Gehen.

 

Diese Subjektivität erträgt den ungeheuren Gegensatz des Guten und des Bösen in seiner tiefsten Dimension in sich. Die Subjektivität ist damit eine unendliche Kraft der Einheit. Die absolute Versöhnung kann für Hegel nur darin liegen, dass dieser Gegensatz sich aufhebt, dass er sich als "nichtig" erweist. Wird sich der Mensch dieses absoluten Gegensatzes in sich bewusst, steigt ein absolutes Bedürfnis nach Versöhnung, nach Friede auf, der Gegensatz soll sich auflösen, er soll sich aufheben, er soll sich negieren. Die weitere Einsicht ist dann die, dass diesem Gegensatz keine Wahrheit inne wohnt, dass seine Wahrheit aber darin liegt, aufgehoben zu sein, negiert zu sein. D.h., an sich oder im Wesen, ist dieser Gegensatz schon aufgehoben und nur weil es sich so verhält, so kann der Mensch dieses An-sich-sein der Versöhnung "für-sich" erreichen - also erreichen den Frieden, die Versöhnung.

 

Es ist zu fragen: Kann der Mensch von sich aus diese absolute Versöhnung mit Gott leisten, ist es des Menschen Aktion, Leistung, so etwas zu Stande zu bringen? Jedes menschliche Leisten (man kann das mit Hegel auch das "Setzen" nennen) hängt letztlich von einer Voraus-Setzung ab: das ist die göttliche Einheit als Einheit von Subjektivität und Objektivität, also als Totalität. Betrachtet man das menschliche Leisten von dieser absoluten Perspektive aus, so ist auch das subjektive Setzen oder Leisten bereits ein "An-sich". Was soll das bedeuten? Es bedeutet nichts anderes, als dass die Voraussetzung allen Setzens der Geist selbst  ist. Erst der Geist erbringt, dass ein Objekt für ein Subjekt "sein" kann. Wäre der Geist nicht, so wäre reine Unmittelbarkeit, eine "Nacht, in der alle Kühe schwarz sind" (PdG). Angesprochen ist damit die geistige und damit un-endliche Seinsweise der Subjektivität, die die Subjekt-Objekt-Einheit verbürgt. Ist diese geistige Dimension eine menschliche Leistung? Die Antwort erübrigt sich. Das Gesetzte, die absolute Versöhnung, muss daher schon ein "An-sich" sein, die Versöhnung ist schon, das ist die Voraus-setzung und nur weil diese schon ist, kann diese Versöhnung auch "für-mich" werden.

 

Die göttliche Einheit also ist die unbedingte Voraussetzung für mein Setzen. Das ist jetzt zugleich der wichtige Sprung über den Abgrund. Denn dieser Sprung in die Voraussetzung der göttlichen Einheit bedeutet die Aufgabe der Einseitigkeit. Was bedeutet das konkret für die Versöhnung? Der Mensch kann die Versöhnung nur zu Stande bringen unter einer absoluten Voraus-setzung, der göttlichen Einheit, das ist die geistige Einheit von Subjektivität und Objektivität. Wir Menschen müssen die absolute Versöhnung schon voraussetzen. Nur unter dieser Bedingung, dass diese schon an sich geleistet ist, hebt sich die schlechte Einseitigkeit auf, als ob es bloß des Menschen Leistung wäre diese zu vollbringen. Anders ausgedrückt: Jede menschliche Bemühung um absolute Versöhnung mit dem Göttlichen hat nur Sinn für den Menschen, wenn diese Versöhnung bereits "gestiftet" ist. Damit relativiert sich jede menschliche Tätigkeit sub specie aeternitatis. Menschliche Tat ist unter dieser Perspektive gesehen nichts für sich - menschliche Tat hängt absolut von der göttlichen Voraussetzung ab. Was hier umständlich beschrieben wird, habe ich irgendwo genannt: Bruch des endlichen Absolutismus. 

 

Dass etwas „für mich ist“, setzt Bewusstsein, Wissen, Erkenntnis voraus; ich weiß etwas und weiß damit, dass etwas für mich ist, ich selbst bin für mich Objekt, ich selbst bin mein auszuführendes Ansich. Damit, dass es sich so verhält, ist bereits Trennung eingetreten zwischen einem Ansich-sein und einem Fürsich-sein: Trennung, Urteil, Entzweiung, Spaltung, Abspaltung. Das Negative haust im Wesen des Menschen, er ist, wie er nicht sein soll, er muss erst noch werden, was und wie er sein soll, er ist nicht in der großen Versöhnung zuhause, sein Sein widerspricht seinem Begriff und Wesen, ein Hiatus ragt auf. Wären das Bewusstsein und näher hin das Selbstbewusstsein, wäre also Erkenntnis nicht, so wäre dem Menschen diese Wahrheit nicht aufgeschlossen. Dass ich nicht versöhnt bin mit mir, der Welt und mit Gott, das schließt mir das Erkennen auf, der Geist. Muss daher notwendig das Böse in der Form der Zertrennlichkeit im Menschenwesen hausen, damit das Gute, damit die Versöhnung Kontur annimmt? Hegel sagt nun, dass das Böse erst innerhalb des Kreises der Erkenntnis vorhanden sei. Das Erkennen erbringt die Trennung und das Bewusstsein, dass es so nicht bleiben soll. Es soll anders sein (werden), es soll am Ende „versöhnt“ sein. Der Ursprung alles Bösen liegt in dem Bewusstsein, dass ich für mich bin, dass das Für-sich-sein meinem Wesen zugehört; ich kann mich dann ferner in mich selbst hineinimaginieren, mich in mich verkapseln, einschließen, böse sein, mich bloß nur mehr ver-einzeln. Zugleich erscheint aber die große Versöhnung am Horizont, dass es letztlich so nicht bleiben oder sein soll. Mit dem Bösen erscheint zugleich die Versöhnung. Der Mensch handelt nach Hegel nicht nur dann und wann böse, sondern ist seinem Wesen nach in das Böse verstrickt, das ja gerade sein Erkennen strukturiert, insofern darin die Zertrennlichkeit liegt. Die Voraussetzung jeder möglichen und auch wirklichen Vereinzelung liegt überhaupt darin, dass ein Objekt für ein Subjekt sei. Dass aber ist die allein geistige Seins-Weise, denn der Geist ist an und für sich: frei. Der Geist  ist das Fluidum des Für-sich-seins, da ein Objekt für ein Subjekt „ist“. Das Erkennen ist daher nicht eine Eigenschaft am Menschen, ein Vorkommnis, das auch nicht sein könnte, sondern das Erkennen macht erst die Dimension des Menschlichen in sich aus. In der jahwistischen Urgeschichte ist dieses Drama der Zertrennung am prägnantesten verdichtet: der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, die Freiheit, die Strafe, die Sühne, die Versöhnung. Die Quelle alles Bösen ist zugleich die Quelle des Guten, wo kein Böses, da kein Gutes. Das Aufgehen des Bewusstseins ist zugleich das Aufgehen der Erkenntnis.

Der Baum des Lebens: der existierende Widerspruch, sterblich und unsterblich zu sein. Der Geist ist un-begrenzt, dadurch erst ist das Begrenzte, das Endliche, Zeitliche, Vergängliche. Un-endlich heißt: un-begrenzt, an keiner Grenze zu enden, am Anderen nicht die Aufhebung seiner selbst zu haben. Das Sterbliche ist das Vergehen, die Auflösung, das Sich-nicht-mehr-erhalten-können, eine Zeit lang zu sein. Der Tod begrenzt dieses Leben, die Natürlichkeit, das Leben stößt an diese ungeheure Grenze und wird daran vernichtet. Der Geist aber geht über diese Grenze hinweg, ist schon darüber hinweg, für den Geist hat diese Grenze keine Macht und ist daher keine Grenze. Der Geist ist im Wesen zeitlos, er kommt nicht und geht nicht, er währt und hat keinen Anfang, kein Ende, er endet daher nicht und ist un-endlich. Der Geist ist das un-endliche Element in aller Endlichkeit, das im Wesen un-sterbliche, absolute Element, der Geist ist an und für sich be-freit von aller Vergänglichkeit und ist also Freiheit. Im Wesen des Menschen waltet diese Geist-Seele als sein un-sterbliches und un-vergängliches und daher niemals zeitliches Wesen. Die Un-endlichkeit kommt nicht nach dem Sterben, sie ist „jetzt“ schon, wenn man das zeitlich fassen wollte. Dieses absolute „Jetzt“ ist der un-endliche Augenblick in allem Endlichen. Der Widerspruch besteht nun darin, dass der Mensch stirbt und doch zugleich un-sterblich ist. Der Tod ist keine absolute Macht, er ist es nur und nur dann, wenn sich der Mensch im endlichen Absolutismus vergisst, in sich selbst also verstrickt. Der Mensch stirbt und stirbt zugleich nicht – das ist der Widerspruch, er ist ein un-endlicher Gegensatz, das Geheimnis auch des Glaubens.

Damit kommt die Hegelsche Überlegung in ihr tiefstes Wesen zurück: die Versöhnung. Wenn es geschieht, dass das Sterben nicht eintritt, dann „ist“ die Unsterblichkeit. Nun stirbt der Mensch und ist doch zugleich in seinem Sterben un-sterblich. Die Unsterblichkeit der Seele ist aber schon, zeitlich ausgedrückt, eine gegenwärtige Qualität. Weil der unsterbliche Geist an und für sich „ewig“ ist, so ist er auch in der Zeit „ewig“, die Zeitbestimmungen können der Ewigkeit nichts anhaben. Denn die Zeit ist jederzeit Beschränkung, der Geist aber an sich das Unbeschränkte.

 

Die absolute Versöhnung setzt voraus: die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur (273). 

 

Die göttliche und die menschliche Natur sind eins, sind eine Einheit, "an sich", meint Hegel, diese Einheit an sich wäre die Grundlage aller Versöhnung. Hegel denkt den Geist nicht statisch, also denkt er ihn nicht verständig-abstrakt, sondern konkret. Damit hat der Geist an ihm selbst seine Entwicklung, ist nicht Stillstand oder Festgelegtheit, der Geist ist Bewegung, Entwicklung, existiert geschichtlich. Die eigentliche Geschichte ist somit keine Historie, sondern diese ist nur möglich auf der geschichtlichen Grundlage des Geistes selbst, der sich entäußert und durch mannigfache Stufen und Entwicklungen zu sich selbst zurückkehrt. Diese Entäußerung des Geistes hat den Sinn der Unmittelbarkeit, die Form des "Ist", also das, was man unreflektiert als Wirklichkeit ausgibt, das Sein der sinnlichen Gewissheit. Das principium der Subjektivität ist es gerade, dass hier der Geist sich zum äußersten seiner selbst, der Unmittelbarkeit der Erscheinung, der sinnlichen Wirklichkeit, entäußert, aber zugleich in dieser Entäußerung "an sich" zu sich zurückgekehrt ist. Hegels Gedanke ist hier tatsächlich von "unendlicher" Bedeutung: das principium der Subjektivität ist gerade die Selbstbewusstheit, die sich im Ich äußert, der reflexe Geist, der bis in das endlichste Dasein ausgreift und darin schon zu sich zurückgekehrt ist, der also im Anderen seiner selbst sich selbst erhält. Damit zeigt Hegel die "Unendlichkeit" des geistigen Prinzips auf. Der Mensch ist jenes Wesen, das unendlich und endlich zugleich existiert, ein Widerspruch freilich, auf den es Hegel gerade abgesehen hat, der bei ihm spekulativ eingeholt wird. Dieses geistige principium ist an und für sich: ausschließlich, einzig, es duldet nichts anderes als sich selbst.

 

 

Dass Gott Mensch geworden ist bedeutet die Verklärung aller Endlichkeit, bedeutet auch die Auflösung aller Endlichkeit in der unendlichen Wahrheit. Anders ausgedrückt: Der Geist hat eine Bestimmung und es ist seine Bestimmung, in der Endlichkeit zu hausen. Aber, diese Endlichkeit hat für den Geist keine Absolutheit und Losgelöstheit, sondern die Endlichkeit ist ein "Moment" in der unendlichen Bewegung des Geistes selbst. Die Natur und die Wirklichkeit (die man für eine solche ausgibt), sowohl die sinnliche als auch die abstrakte, sind keine Zufälligkeiten und auch keine Letztheiten, es sind keine absoluten Fremdheiten, es sind "Momente des Geistes selbst" sich so zu zeigen. Nichts fällt dem Menschen schwerer, als diesen Gedanken zu fassen, denn der Mensch weiß ja schon immer darüber Bescheid, was und wie die Wirklichkeit aussieht und wirklich ist ihm zunächst (und zumeist bleibt es so), die sinnliche Gewissheit, von der Hegel schon im 1. Kapitel seiner Phänomenologie des Geistes aufzeigt, dass in ihr der unendliche Geist haust. Die Formen der Endlichkeit sind Momente des Unendlichen selbst. Diese Situation hat es an sich, polemisch gegen die sogenannte Wirklichkeit zu sein: sie fällt in ihrem Wert zusammen.

 

 

 

UMKEHRUNG DES BEWUSSTSEINS

 

 

Der Tod, der Mittelpunkt, darum wird es sich drehen, daran wird alles zerbrechen und daran wird sich zeigen, was "Wahrheit" eigentlich sein soll. Ein Bewusstsein darüber zu haben, was die absolute Wahrheit sei, das heißt es, zu glauben, das ist Zeugnis des Glaubens. Gott als diese absolute Wahrheit ist nach Hegel die Trinität. Der Gott wird Mensch, er ist der GottMensch, Jesus Christus. Eine Zumutung für den Verstand. Dieser GottMensch (die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur) stirbt den schmachvollen Tod am Kreuz. Was bedeutet das? Der Tod des GottMenschen war nicht nur natürlicher Tod, sondern äußerster, qualvoller, gesteigerter, letzter Tod - Endpunkt aller Tode. Dieser Tod zeigt  - wie jeder Tod - besonders das "Vorlaufen" (Heidegger). Die Welt färbt sich dadurch anders, ist in das Licht des Spät-Herbstes verklärt, heißt: der Tod hat alle weltlichen Angelegenheiten absolut überholt. Mit dem Kreuzestod des Gottes selbst ist die schrecklichste, unwürdigste, grausamste und in ihrer Art unüberholbare Sinnlosigkeit aller Endlichkeit göttlich gewürdigt, göttlich aufgehoben und erlöst. Gott ist tot (nicht im Nietzscheschen Sinne). Der Gott ist am Kreuz gestorben. Damit ist gesagt, dass in Gott selbst die Sterblichkeit angesehen, angenommen und damit aufgenommen ist. Gott stirbt tatsächlich, wirklich, es ist keine bloße Einbildung oder Phantasie und hier schlägt alles um: Gott erhält sich in seinem Sterben, der Tod ist ihm kein absolutes Aufhören, ein Ende ohne ein Weiter, eine Auflösung ins absolute Nichts. Dieses göttliche Sterben ist der Tod des Todes, wie Hegel sich ausdrückt, er meint damit die Auferstehung von den Toten. Die Unendlichkeit des Geistes ist un-sterblich, die Geist-Seele ruht in sich, ist bei sich, ist zwar entäußert, verendlicht, aber die Bewegung der Endlichkeit tut seiner Unendlichkeit keinen Eintrag (so Hegel). Wenn ich sterbe, so wird meine unmittelbare, seiende Einzelheit aufgehoben, eine Negation. In Jesus Christus wird aber diese Negation selbst negiert, aufgehoben: die Negation der Negation. Gott selbst hat den Tod getötet. Alle Endlichkeit (und damit Vergänglichkeit und damit alle Zeitlichkeit) bekommt hierin einen absolut anderen Rang: der endliche Absolutismus ist darin gebrochen. D.h. nicht, dass die endliche (Schein)-Wirklichkeit unwichtig wäre; sie hat aber ihren Rang nur und nur sub specie aeternitatis. Die Spitze der Endlichkeit ist nun nach Hegel das Böse, die abgeschnürte Eigendrehung des endlichen Geistes in sich. Gott hat sich in Jesus Christus offenbart, Jesus, der Gott-Mensch, Gott hat die Form der äußersten und letzten Endlichkeit angenommen und damit aufgenommen, angenommen im Sinne der Entäußerung und angenommen im Sinne der absoluten Aufnahme als Annahme, Angenommenheit. Gott ist der Endlichkeit, die jeder von uns ist, nicht ausgewichen, er selbst ist menschliche Endlichkeit ge-wesen, also im Wesen (jetzt und hier). Diese menschliche (geistige) Endlichkeit hält auch in ihrer bloßen Eigendrehung das Moment des Bösen bereit. Damit hat Gott auch das Böse angenommen, angenommen in seiner Form und angenommen im Sinne seiner Liebe. Gott hat sich mit der Welt auch des Bösen identisch gesetzt und hat in seinem Sterben und Auferstehen diese Endlichkeit und damit auch das Böse besiegt. Gott hat nach Hegel das Böse - ein ihm Fremdes - angenommen (Liebe) und in seinem Leiden, Sterben und seiner Auferstehung getötet. Tatsächlich ist der Geist diese Form, das Anderssein erst in seinem Anderssein zuzulassen, der Geist stößt an keine endlichen Grenzen und selbst der Tod ist für ihn keine Grenze. Hat Gott das Böse in seiner Liebe angenommen, ein ihm an sich Fremdes? Ist nicht Gott selbst das Böse? Kann es ein Fremdes für Gott überhaupt geben? Ist das Böse in Gott nicht schon angelegt, wenigstens als principium seiner Schöpfung? Dass in Jesus Christus, der die Sünde der Welt getragen hat, die Endlichkeit, das Böse und der Tod besiegt ist, dass Gott dies alles getötet hat - die Negation der Negation, bedeutet die "absolute Versöhnung". Der Gott in seiner Wirklichkeit hat unsere Endlichkeit angenommen, aufgenommen, getragen und erlöst. Darin liegt für Hegel die Bedeutung des Todes von Jesus Christus - von jedem Sterben.

 

Dass einer Sich-in-sich-versenkt, sich vergeistigt, sodass aller endliche Absolutismus gebrochen ist, ist auch ein Tod, ist auch ein Sterben, ein Absterben dem Endlichen gegenüber. Das natürliche Sterben ist unhintergehbar, aber in der geistigen Haltung, die hier die an sich religiöse ist, ist dem Tod aller Schrecken genommen. Der Tod ist kein Letztes für den geistigen Menschen und jeder Mensch ist "an sich" Geist. Der "natürliche Tod", ist auch er eine Umkehrung, eine periagoge? Die ewige Geschichte des Geistes stellt sich äußerlich dar, äußert und entäußert sich, stellt sich im Natürlichen dar - daher auch im "natürlichen Tod" (im Sterben) hier und jetzt, und so gehört das natürliche Sterben müssen zur Geschichte selbst des absoluten Geistes, ist Moment (nur) dieser Geschichte. Bei jenem Tod aber wird nicht stehen geblieben, er wird aufgehoben oder besser gesagt: ist schon aufgehoben, denn die ewige Geschichte des göttlichen Geistes, des absoluten Geistes, die Geschichte der absoluten Idee ist an und für sich in ihrem ewigen (zeitlosen) Geschehen. Der natürliche Tod ist damit auch eine Umkehrung, er ist die Rückkehr des Entäußerten in sein wahres, reines Element. Der Geist kann beim Natürlichen nicht stehen bleiben, bei diesem Moment seiner Entäußerung. Das Natürliche aufheben (der Tod) heißt: das Natürliche opfern. 

 

 

 

 

Fortsetzung: das Buch "Hiob"

 

Fortsetzung: die "offenbare Religion" in der Phänomenologie des Geistes

 

Fortsetzung: Übergang zur "Wissenschaft der Logik"

 

[...]

 

 

 

 

 

 

Die Wirklichkeit des absoluten Beisich-seins: Selbst-ständigkeit - Raum-Zeit-Transzendenz - Trinität - Einfaches - Geist

 

 

"...dominus deus une, deus trinitas, quaecumque dixi in his libris de tuo agnoscant et tui; si de meo, et tu ignosce et tui. amen." (Augustinus, De trinitate, Liber XV, 368)

 

 

Am Ende zeigt sich der Anfang, das Ende ist der Anfang oder der Anfang ist zugleich das Ende. Da zeigt sich nun am Ende das Ganze als Anfang und Ende zugleich, die Aufgehobenheit. Der Hörer ist es zum Ende hin, mehr und mehr; dass er der Hörer ist, kein Zweifel: akroásthai: aufmerksam sein und hin-hören; potentia oboedientialis: Gehörsamkeit, geh(ö)orsame Aufmerksamkeit [hier in einem >einzigen< ganz bestimmten Sinn]. "Was von mir ist, ist falsch" (Hegel); ganz auch so Augustinus. Der Gott Dreieinheit, deus trinitas, solle ihm seines verzeihen. Da ist also: Bruch mit dem endlichen Absolutismus; darauf wird es ankommen - im Ganzen. Es geht um eine Grund-Positionierung, nicht geht es um Erbauliches, nicht um Geschichten, nicht um Erzählungen, nicht darum, schon immer Bescheid gewusst zu haben, nicht um Anleitungen und schon gar nicht geht es um ein heuristisches Interesse. M.a.W.: Es ist das Uralte, der Anfang im Ende, darum dreht es sich und es wird darauf ankommen, die akroamatische Dimension für dieses auszubilden. Da gibt sich einer auf und empfängt >Alles<. Freilich, wird es darauf auch ankommen, das Abstrakte als solches zuzuordnen [zuordnen zu lassen; dann wäre es konkreter]. Es zeigt sich also eine "Auf-Gabe" in mehrfachem Sinn: die Aufgabe als Vorhaben; die Aufgabe als Dienstleistung; die Aufgabe als Aufhören; und die >Aufgabe als Auf-Hören<: das ist nun die ungefähre Richtung und Anzeige (formale Anzeige, Heidegger). Das eine bedingt das andere. Das Hören-auf... verlangt den Bruch. "Sich auf-geben" heißt eigentlicher: Sich auf den Weg schicken lassen. Das nenne ich die "höhere" Form der Aufgabe, die geistige Haltung, also die geistige Stellung. Heidegger wiederum prägte den Begriff der Geworfenheit und ich meine, das ist eine sehr glückliche Prägung. Der Begriff hat eine geglückte Elastizität: M.a.W.: So findet man sich schon, muss nichts dazu tun, sodass man dahin kommt zu bitten: verzeih! Es fällt ab ein Ich von einem Ich. "Hört man auf..." dann hört man eben auch in einem anderen Sinne auf: Es zeigt sich das Akroamatische als Pflicht, als Notwendigkeit und dieselbe erbringt erst eine substantielle Freiheit, eine, die beispielsweise in allen Schriften, v.a. jenen nach "Sein und Zeit", anklingt. Die >Aufgabe als Auf-Hören< befreit zur Freiheit, das ist der Wendepunkt, der so oft missverstanden wird - wenn es überhaupt dazu kommt. Dieser Freiheit war der Meßkirchner ausgeliefert: fast ein Widerspruch. Und doch sind zu viele, allzu viele Zugeständnisse an das Unvermögen der boshaften Verständigkeit. Boshaft deshalb, weil dieses Unvermögen an Verstehen einer lebenslangen Isolationshaft geschuldet ist. Anders gesagt: Man verständigt sich heutigentags - besonders im intellektuellen Rahmen - von einer Zelle zur anderen, vorzugsweise ohne Blickkontakt - eine Oberfläche kollidiert mit der anderen - das ist heutiger Diskurs in allen Fächern. Heidegger war hier tatsächlich "geho(ö)rsamer" (vgl. Beiträge). Paul Celan wusste das, einer der ganz, ganz wenigen, Redlichen. Ein Wort aus späteren Jahren lautet:

 

"ICH KANN DICH NOCH SEHEN: ein Echo,

ertastbar mit Fühl-

wörtern, am Abschieds-

grat.

 

Dein Gesicht scheut leise,

wenn es auf einmal

lampenhaft hell wird

in mir, an der Stelle,

wo man am schmerzlichsten Nie sagt"  

 

(P. Celan, 2.9.1967 >Lichtzwang<)

 

 

 

Das, "wie einem ist...", reicht tiefer. So gesehen geschieht auch das Auf-Hören, das eine Ich löst sich ab, fällt ab, fällt weg und wenn es ohne Zutun geschieht, ist es Zeugnis, ist Zeugnis der Freiheit. Die Freiheit ist eine und >nur< eine der Geh(ö)orsamkeit - am Abschiedsgrat.

 

Also Tiefe! "Tiefe, [so Hegel in einer späten Vorlesung], heißt die Abstraktion des Gegensatzes, die reine Verallgemeinerung des Gegensatzes, dass seine Seiten diese ganz allgemeine Bestimmung gegeneinander gewinnen" (Hegel, GA XVII, 263).

 

Im Kern geht es hier um das Wesen des Menschen, um seinen Begriff, wie Hegel auch sagt und wenn es um die Wesensbestimmung des Menschen geht, dann geht es zugleich um sein Gut- und/oder Böse-sein, nicht als eine Eigenschaft, sondern als Wesens-Zug des Mensch-Seins selbst. Abstraktion, meint Hegel hier, ist also die Fähigkeit des Geistes zur Verallgemeinerung und hier als dieselbe jenes Gegensatzes, des Guten und Bösen. Am innersten Glutherd des menschlichen Seins spielen Mächte gegeneinander, scheint es, die den Menschen in seine Freiheit zwingen: die Freiheit, der Wille, das Gute sowohl als auch das Böse, die Fähigkeit zur selbstverlorenen Eigendrehung - sodass diese Mächte in seinem Innersten selbst hausen, dies in ganz allgemeiner, also wesentlicher Hinsicht, einzusehen ist jene Tiefe, um die es, wie Hegel sich ausdrückt, zu tun ist.

Hegel hat aber nicht das Wesen des Bösen nur im Blick, sondern zugleich auch die "Versöhnung" und er spricht von einer "absoluten Versöhnung", das ist eine solche, die auf´s Letze und Ganze geht, die also nicht bedingt sei und daher eine "unbedingte" genannt werden kann. Der Gegensatz des Guten und Bösen darf nicht verkürzt oder eingeschränkt werden auf eine bloß verständige Position oder Perspektive nach der Art, dass man z.B. meint: ja, das Böse, das sei eben ein absoluter Gegensatz, eine an sich seiende Macht - außerhalb oder innerhalb des Menschen, es sei bloß eine Tat, eine Verfehlung, die etwa darin liege, dass sich der Mensch z.B. willentlich und bewusst über seine Mitleidsgrenze zugunsten seiner Angelegenheiten erhebe usw. Hegel setzt viel tiefer und radikaler und ernster an: geistig! Der Geist selbst ist Entzweiung und erbringt die Trennung, Erkennen selbst heißt absondern, trennen, Entzweiung, heißt: schon immer in der Fremde sein, Vertriebener sein, heißt "frei" sein. Hegel sieht im Sein des Erkennens selbst den "Quell des Bösen". Erkennen hieße in jener Terminologie: Für-sich-sein-können, Bei-sich-sein-können und erst so, als subjektives Prinzip ist überhaupt erst Objektivität möglich. Die Erkenntnis (Geist) ermöglicht überhaupt erst so etwas wie ein Bemerken, dass das Mensch-sein nicht so ist wie es sein soll, dass der Begriff, wie Hegel es nennt, nicht dem Sein entspricht, dass das An-sich nicht der Wirklichkeit entspricht, dass hier eine Kluft aufragt, die zur "Versöhnung" auffordert. Für Hegel gibt es weder das Gute noch das Böse, sondern eine "Bewegung": Gutes ist nur verstehbar im Angesicht des Bösen. Und Angesicht ist hier auch ganz sinnlich zu nehmen: Denn erst das absolute Bei-sich-sein als Für-sich-sein (Freiheit) erbringt mir die Gewissheit meiner selbst, das immerwährende Bewusstsein, dass "Ich" es bin. Der Geist ist dieser Selbststand, dieses Absolute auch im Endlichen, die unbedingte Dimension auch in der Vergänglichkeit, die Unendlichkeit in aller Endlichkeit und aufgrund dieser Geistigkeit (Geist in Welt) bin ich mir selbst bewusst. Dieses Bewusstsein ist kein Abgeleitetes, es ist ein absolut Anfangendes, ein aus sich heraus Unverfügbares, das verfügt, dass ein Anderes in seinem So-sein sei, ein Objekt für ein Subjekt, eine "Welt" (aufgeht). Jetzt erst, mit und in diesem Welt-Aufgang (Erkenntnis) ist die Möglichkeit geschaffen, auch nur für mich sein zu wollen. In der bloßen "Vereinzelung" sieht Hegel das Wesen des Bösen. Eine Vereinzelung, die sich eo ipso vom Allgemeinen loslöst und nur mehr für sich sein will. In dieser Spannung und Dynamik zeigt sich aber erst auch die Gegenseite, das Allgemeine, das Gute, das telos, das Vernünftige. Sofern ich ein Ich bin, Geist bin, erkenne und betrachte, für mich bin, insofern ist das Böse sein schon am Werk und geschieht. Hegel denkt also das Gute - ganz abstrakt genommen - immer im Angesicht des Bösen und das Böse hat hier einen Namen: Trennung, Für-sich-sein, Eigendrehung, Zerrissenheit, Erkenntnis, Betrachtung. Die Trennung (Abgetrenntheit) also ist der Urquell alles Bösen. Dieses Trennen geschieht mit dem Erkennen, das Erkennen zeugt von der geistigen Dimensioniertheit im Mensch-sein, dem der Mensch sich niemals entziehen kann. Es bleibt dabei: In den wichtigsten Fragen des Mensch-seins eröffnet sich die Unverfügbarkeit jenes Seins. Es bleibt auch in einem ganz bestimmten Sinne ein Mysterium. Die jahwistische Urgeschichte ist keine Erzählung darüber, was einmal am Anbeginn der Zeiten geschah, sondern diese Geschichte findet statt, ereignet sich, ist jenseits von Kommen und Gehen, pulsiert durch das Mensch-sein an und für sich.

 

Der Weg wird zunehmend "einer", engt sich. Mehr als 100 Jahre später wird Heidegger dieselbe Sache mit dem Begriff des "Vorlaufens" bezeichnet haben. Das Vorlaufen hat bei Heidegger den tiefen Sinn, dass es alle endlichen oder weltlichen Angelegenheiten "überholt" hat, das Insistieren bricht zusammen und das Vorlaufen stellt tatsächlich frei; freilich, bei Heidegger ganz in seinem Sinne eine leerlassende Freiheit. Bei Hegel nun findet sich dem Begriff, also der Sache nach, dieselbe Zugespitztheit auf das Wesentlichste, auf das, worauf es "überhaupt" ankommt: das einzige Interesse bleibt hier ein "unendliches". Der Mensch ist nicht nur seinem Begriff nach "frei", sondern hat sich aufgerafft, das Um-herum - sich selbst eingeschlossen -  entscheidend zu bewerten; dasselbe sinkt in sich zusammen - er hat sich davon losgesagt, be-freit. An dieser wesentlichen Stellung gilt uneingeschränkt das berühmte Wort des Augustinus aus den Confessiones: "...et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te" (Confessiones, 35). Alle Angelegenheiten des Menschen, in jeder Hinsicht, sinken vor der einzigen, dem unendlichen Verhältnis, in sich zusammen. 

 

Es ist nun zu betrachten: die abstrakte Geistigkeit, also das negative Verhältnis gegen das Anderssein, gegen das Herz auch des empirischen Ichs. Es ist gemeint zunächst, oder sieht mindestens so aus wie: stoischer Rückzug. Gleichwohl ist dieses Element innwendig überhöht, also vertikal geschnitten. Der stoische Rückzug bleibt daher erstens im Abstrakten und zweitens zugleich ungeistig, heißt: in sich zurückhaltend, in sich aufhaltend. Nun ist das Denken das Wissen, absolut bei-sich-zu-sein, das sich erhaltende Element und so erst Freiheit der Subjektivität, Geist. In einer zweiten Wende des Geistes ist ihm das Sein bloße Äußerlichkeit. Insofern weiß sich die Subjektivität zwar als absolut, der Feind aber hat jetzt Kontur der Äußerlichkeit, es gilt uneingeschränkt: A=A. Der Geist in dieser Form hat sich ein lebloses Feld der Beruhigung erbaut, auf dem es zu gesetzten Entgegensetzungen kommt, zu klaren Regelungen der bloß abstrakten Formen, zum allein festgefrorenen Widerspruch. Hegel sagt nun, dass jede Bestimmung konkret mache (VPR, 334). Das besagt nun: das Verständige insistiert demnach in sich und fällt letzten Endes in eine bestimmungslose Leere, oder die Bestimmung desselben ist diese Leere des Unbestimmten: es ist danach zwar ein höchstes, absolutes principium - aber leer. Der verständige Geist, kann man sagen, ist sich selbst in seinem Wesen amputiert, er bringt es zu toten Formen, die gegeneinander in einem imaginierten Totenreich klappern. 

 

So verhält sich der Geist in einer abstrakten Landschaft, die bestenfalls formelle Einsichten über Erkennen, Wissen, Glauben und die Reichweite desselben ansichtig macht. Der Inhalt aber, an und für sich, ist zur Seite gesetzt. Hegel kritisiert dieses Gehabe des Verstandes, das sich ermächtigt, das Erkennen vor dem Erkennen bestimmen zu wollen, also die Reichweite des Erkennens überhaupt; der Angriff gilt hier insbesondere Kant. Das Fazit jener Kritik liegt darin, dass der bloß verständige Geist es letztlich nur mit sich - und zwar seiner formellen Ansicht - zu tun bekommt, also mit seiner bloß endlichen Bestimmtheit. Die Vor-Sicht, um es mit Heidegger zu sagen, geht hier auf das bloß formell Abstrakte und leitet das Inter-esse. Dagegen kommt alles aber darauf an, die Sache selbst, den an und für sich seienden Inhalt, sprechen zu lassen, der sich von sich aus zu entwickelnden Sache zu folgen, ihr zuzusehen. Das ist ganz der Sinn des Hermeneutischen in "Sein und Zeit": das, was sich zeigt, so wie es sich zeigt, von ihm selbst her sehen lassen. Für Hegel bedeutet dieser Gang (Methode) die einzig strenge Beweisführung überhaupt, wissenschaftlicher Beweis bedeutet: der sich von sich her entwickelnden Sache folgen können. Wissenschaftlicher Beweis ist daher bei Hegel immer Selbstausweis, Sachausweis. Der Inhalt selbst bestimmt sich, legt sich aus, legt sich heraus, bringt sich zur Sprache. 

 

Nun gehört Hegel zu den ganz großen Denkern deshalb, weil er dem Philosophieren "entspricht". Über das, was Entsprechung hier bedeuten soll, ist weiter unten noch einiges anzumerken. Ein ganz flächiger Blick auf die Geschichte des Philsoophierens zeigt aber an, dass dasselbe immer in ihren höchsten Ausprägungen Onto-Theo-logik war und ist, zur Sprache kam immer der lógos im letzten und höchsten, göttlichen Sinn. Daher ist eine Philosophie ohne Gott niemals Philosophie. Das ist kein Ausgemachtes, worüber man sich außerhalb der Sache verständigen könnte, sondern es ist der Gang des Denkens, der Gang des Geistes, der Gang des lógos selbst, der ins Göttliche ausgreift und hindrängt. An dieser Stelle sei eigens angemerkt, dass der Nachvollzug immer Nachvollzug der sich aussprechenden Sache selbst ist. Die Beweisführung, dass das Wahre der Wahrheit hier zur Sprache kommt beweist sich daher nur im "Sprung" in die Wahrheit selbst. Ein Versichern, dass es sich um "die" Wahrheit handelt, scheitert in jeder Hinsicht, denn jedes Versichern muss notwendig ein Äußerliches bleiben. Es ist keine Kleinigkeit, die Hegel hier anspricht, sondern er spricht im Grunde eine Aufforderung aus, die besagt, dass man das Philosophieren, also das Zwiegespräch im Absoluten, nicht von Außerhalb wird erledigen können. Zum "Ver-stehen" gehört also das schon Stand genommen haben in der Sache selbst. Wer sich auf die Sache selbst nicht einlässt, wird miss-verstehen; das bleibt auch ein Verstehen, aber es ist kein "entsprechendes Verstehen". 

 

Die oberste und erste Sache überhaupt, um die es Hegel hier zu tun ist, das ist die Erhebung des endlichen Geistes zu Gott und die strengste Beweisführung liegt für Hegel in dieser Erhebung selbst. Um die "Sache selbst" nun recht in die Vor-Sicht bringen bleibt das Wesentliche zu bedenken, dass nicht die sogenannte menschliche Vernunft es ist, die Gott erkennt, sondern der Geist Gottes im Menschen - Gottes Selbstbewusstsein weiß sich im Wissen des Menschen. Das ist nun gerade die radikale, spekulative Wende, die Hegel hier zum Ausdruck bringt. Mit dem Spekluativen bringt sich aber die Sache selbst zum Ausdruck. Diese Erhebung zu [....] ist eine innere Erfahrung. Die Kraft des Denkens er-innert sich. Er-Innerung bedeutet hier: in das Innere der Sache sich versenken, in ihr aufgehen, innerlich sein und werden. In dieser rein denkenden Erfahrung zeigt sich sofort das Trennen, also das eigenste Geschäft des Denkens, hier in der ganz formellen Hinsicht von ti estin und hoti estin. Beiläufig bemerkt reicht dem consensus communis das Sein einer Sache im Sinne der existentia: Gott ist, er existiert, er ist wirklich - das reicht. Das Dass-Sein bleibt hier als abstraktes Sein völlig unbewegt und der Maßstab, mit dem hier gemessen wird, unterscheidet sich in keiner Weise von Feststellungen der Art wie wir sie allüberall und in jeder Hinsicht  bemerken: dies und das ist, existiert, ist vorhanden, ist wirklich, das gibt es. Dass sich ontologisch formell gesehen Gott auf einer Stufe mit einer x-beliebigen Sache findet, muss zu denken geben. Zur näheren Einführung und zum ersten Aufschwung auf das Niveau jener Sache und Problematik verweise ich auf Heidegger: "Sein und Zeit" und "Die Grundprobleme der Phänomenologie" (GA 24), insbesondere hier das erste Kapitel zu Kant mit seiner These: Sein ist kein reales Prädikat. 

 

Das Gott "ist" (existentia), wird dann doch nicht ausreichen, man will es genauer wissen, will wenigstens prädizieren, was der Inhalt jenes Begriffes sein soll, man will es zur Essenz bringen, zur essentia, zum Was, der Begriff also soll logisch wahr sein. Diese logische Wahrheit gründet sich auf den Satz der Identität, auf das principium identitatis: A=A. Ein Begriff darf nicht in sich widersprüchlich sein, erst dann ist er auch logisch möglich. Am Ende zeigt sich in diesem verständigen Abstraktionsvorgang am Konkreten dessen Nichtigkeit: der Verstand abstrahiert in letzte, inhaltsleere Abstraktionen, Gedanken, die er wiederum und letztlich in eine Einheit zusammenfügt. Das Verfahren des bloßen Verstandes bedeutet für Hegel die bloß abstrakt-gedankliche Operation. Der Begriff aber, das Begreifen, ist für Hegel nicht bloß diese verständig-abstrakte Operation, sondern die Konkretion des Begriffes selbst. Das heißt, dass der Begriff in sich selbst bestimmt ist und die Einheit in sich selbst erbringt. Das Beziehungslose ist daher das Tote. Damit wird die Vorstellung von Prädikaten, die einem Subjekt zukommen, suspendiert. Der Inhalt, er sei wie und was er wolle, ist immer vernetzter Inhalt, bestimmungsvoll und notwendig. Werden dieselben verständig isoliert, sind sie unwahr. So heißt es:

 

"...nur indem dieses Denken die Natur des Begriffes selbst und damit die Natur ihres Verhältnisses und die Notwendigkeit des Zusammenhangs desselben noch nicht erfasst hat, erscheinen sie, die an sich Stufen der Entwicklung sind, nur als eine zufällige, aufeinanderfolgende, außereinanderfallende Mehrheit, wie dieses Denken auch innerhalb einer jeder dieser Bestimmungen die Natur des Übergangs, welcher Beweis heißt, nur so auffasst, dass die Bestimmungen in ihrem Zusammenhange doch außereinander bleiben und sich nur als selbständige  miteinander vermitteln, [dagegen] nicht die Vermittlung mit sich selbst als das wahrhafte letzte Verhältnis in solchem Gange erkennt, was sich als der formelle Mangel dieser Beweise bemerklich machen wird". (VPR, II, 406 sq.)

 

Hegel zeigt hier auf, dass das verständige Operieren zwar notwendig zur Bestimmung gehört, dass aber dasselbe sich selbst nicht begreift, welches Begreifen den wahren, den konkreten Begriff voraussetzt. Der formelle Mangel, von dem Hegel hier spricht, ist eben das Auslaufen des Verstandes zu fixierten Abstraktionen, zur Leere des operativen Verstandes, die sich in Sätzen der Art: Gott ist - ausdrückt. Was wie Zufall aussieht, ist in Wahrheit keiner, insofern gibt es für Hegel keine Zufälle, diese gibt es für den Verstand. Die "Natur des Begriffes" erfassen bedeutet, sein Wesen erfassen, seinen Sinn erfassen. Auch wenn es dem Verstand in seinem Einheitsstreben gelingt, das Verstreute zu einen, so bleibe dennoch diese Einheit eine "äußerliche", zusammengestückte. Hegels Gesamt-Anliegen betrifft aber das Begreifen, betrifft den Begriff als die "Vermittlung seiner mit sich selbst": das ist der Geist. 

 

 

"Vermittlung seiner mit sich selbst": Was bedeutet das? Es ist ein principium, ein Erstes und Letztes zugleich, ein aus sich heraus Bestehendes, grundsätzlich irrelativ bei sich und in sich und zwar in dem elementaren Sinn, dass dieses principium in seinem Anderssein bei sich erhalten ist (bleibt) - es ist daher das "Bleibende im Anderssein". Man kann sich das exemplifizieren am Herbeispielen des Erkennens: Etwas erkennen verlangt, dass das Erkennende (der Erkennende) im Erkannten einheimisch (identisch) wird oder ist, so aber, dass der Erkennende in diesem Identisch-sein mit dem Anderen ganz bei sich bleibt, sich substantiell nicht verliert oder auflöst oder anders wird; zugleich aber garantiert dieses Identisch-sein und zugleich Bei-sich-sein die objektive Konstitution des Anderen, sodass dieses als solches erst entgegenstehen kann (Differenz in der Identität). Nur da, wo ein derartiges geistiges principium waltet, geschieht Welt-Aufgang, sind Dinge für ein Erkennen. In der geistigen Dimension, kann man sagen, ist immer schon eine "Identität in der Differenz" gestiftet. Absolut bei-sich-sein heißt "losgelöst" sein (absolutum), heißt "frei" (Begriff der Freiheit) sein, dieses allererste principium ist nicht nur unter anderem, sondern so, dass es erst "ermöglicht", das Möglich-sein erbringt. Dieses absolute principium ist in seinem Bei-sich-sein nicht begrenzt, sondern in sich schon  un-begrenzt, es ist daher nicht endlich, sondern un-endlich, es überschreitet die endlichen Grenzen und derart bei sich, konstituieren sich erst Grenzen als Grenzen. Da, wo Grenzen walten, wo Begrenztes "ist", da ist die geistige (un-begrenzte) Dimensioniertheit schon am Werk. Nur das Grenzenlose "sieht" die Grenzen, nur der Geist ist in der Lage, Begrenztes (das Endliche) als solches zu fassen. Dieses "geistige und un-endliche principium" waltet schon jetzt: in jedem Ich.

 

[Hier zeigt sich schon fundamental an, dass das Endlich-sein bereits und längst über-schritten ist, das heißt, wenn anders das Endlich-sein das Vergänglich-sein (d.h. das Sterblich-sein) bedeutet, dass dieses längst über-schritten ist vom Un-endlichen in allem Endlichen. Tatsächlich gilt uneingeschränkt das tiefe Wort Hegels: das Endliche "ist" nicht. Es ist nicht das Endliche oder Vergängliche das Um und Auf, sondern dieses Endliche, Vergängliche und Sterbliche zeigt sich erst im "Spiegel der Un-endlichkeit". Sämtliche "Gottes-Beweise" kommen hier schon zu spät, es ist längst gestiftet, was man zu beweisen sich vorgenommen hat. Das ist der eigentliche Skandal jener Beweise.]

 

In der geistigen Dimension waltet also eine fundamentale "Identität in der Differenz". Der Begriff der "Freiheit" hat hier seinen tiefsten Ursprung: Freiheit ist mit dem Geist-sein schon gestiftet, das eine kann ohne das andere nicht sein. Für eine "Freiheit" zu kämpfen hat daher oder kann daher nur entferntere Bedeutung anzeigen, denn der Mensch "ist" an sich schon frei. Es wird darauf ankommen, jenes Frei-sein "an-und-für-sich" zu begreifen (der Begriff). Hegel wie auch Schelling (Freiheits-Schrift) bringen mit dem Wesen des Erkennens, mit der geistigen Dimensioniertheit, überhaupt die Verspanntheit des Menschen mit der Freiheit und zugleich damit mit dem Ursprung des "Bösen" zur Sprache. Gegenwärtig spricht man nur mehr geistlos vom Bösen, das Böse wird "verendlicht", also eigentlich verharmlost. Das Böse: das sind die Handlanger des Terrors, es sind diejenigen, die kein Mitleid mehr empfinden, es sind die Diktatoren, die Abartigen, Verbrecher, Mörder; man kann die Bösen beim Namen nennen, man kann sie zuordnen und man kann das Böse definieren - es sind immer die "Anderen", die Böses tun oder böse sind.

 

So aber hat man im Grunde das Böse "verharmlost" indem man es beim Namen nennt, indem man es ver-endlicht und zuordnet. Aber das Böse waltet im Mensch-sein an sich, es hat sich am Nabel des Mensch-seins selbst längst eingeschrieben. Die "Abnabelung" (Freiheit) erbringt die Trennbarkeit, das Unterscheiden-können, das Erkennen können, zu wissen, dass "Ich" ein "Ich" bin, und das ist auch die Geburtsstunde und zugleich die Geburts-Urkunde dafür, dass der Maßstab des Lebens auch und nur mehr bloß am Endlichen genommen werden kann, es zeigt den Beginn an, da der Mensch sich zusehends mit und in sich "verliert", sich im Endlichen "heillos" verstrickt und seinen "Ursprung" aus dem Blick verliert. Zu "erkennen" ist von nun an eine ungeheure Macht. Es ist damit die Geburtsstunde der endlichen Eigendrehung gestiftet, die meint, es selbst unternehmen zu können, die "Dinge zum Besseren zu wenden". Einmal, so spekuliert man im schlechten Sinne, wird das Böse besiegt sein, man sagt dem Bösen den Kampf an, man hat ja einen Namen dafür, hat ein Ziel, es zu vernichten und es hängt nur davon ab, alle "guten Kräfte" im Kampfe gegen das Böse zu konzentrieren. Wer wird dieser (endlichen und im Kern minderbemittelten) Logik widersprechen wollen?

 

Das Böse aber lässt sich niemals "besiegen", es ist bereits "erlöst". Das zu begreifen (auf den Begriff zu bringen), gehört zum Höchsten der spekulativen Logik, also der eigentlichsten "Wahrheit". Hegel wusste im Wesen von dieser Dimension.

 

So liegt der Zwiespalt im Sein des Menschen selbst; einmal ist er Naturwesen, natürlicherseits, getrieben, voluntativ; zugleich aber auch Geist. Bloß tierisch, bloß natürlich zu sein, das ist nicht die innerste Bestimmung des Menschen, von Hause aus zu sein ist bloß ein Beginn einer wesentlichen, geistigen Entwicklung. Entwicklung bedeutet nur und nur eigentlich: Geist sein. Eine Entwicklung der Natur gibt es eigentlich nicht, es ist ein Schein, so zu sprechen: die Natur entwickle sich. Erst ein geistiges Wesen gestattet eine Entwicklung, ist diese selbst. Die Unterschrift dieses Geistig-seins ist das Denken selbst, das der Mensch an sich ist, also wesentlich. Aus seiner bloß natürlichen Form tritt der Mensch jederzeit geistigerseits heraus; ist schon heraus. Es bedeutet sich zu wissen und zu wissen, dass eine äußere Welt ist. Das ist eine, oder "die", fundamentalste Trennung, die Getrenntheit in Subjekt und Objekt. Es ist der Standpunkt der "Entzweiung", auf dem der Mensch zunächst einheimisch bleibt; so soll es aber nicht bleiben. Auf diesem zunächst einheimischen Boden des bloßen nur Sich-selbst-wissens geschieht es, dass sich der Mensch verkennt: er verliert den absoluten Maßstab und verliert sich in (seine) weitreichenden Endlichkeiten und derart kommt es zum endlichen Absolutismus. Das Böse ist eigentlich nach Hegel dieser "endliche Absolutismus", indem sich der Eigenwille universal aufspreizt. Auch nur ganz Natur sein zu wollen, setzt den Eigenwillen voraus; das gegen den Positivismus des natürlich Guten. So ist dann auch das Allgemeine der eigentliche Feind des endlichen Absolutismus, denn der letztere ist (fast) absolut in seiner Vereinzelung. Natürlich sein hieße dann eigentlich: vereinzelt sein, seine bloße Natürlichkeit wollen hieße, seine Vereinzelung wollen, hieße, das Böse wollen. Die Natürlichkeit im Menschen ist wesentlich sein Hang zur selbstischen Einzelheit - aus natürlichen Gründen: Hang, Trieb, Neigung, Wille. Rein "so" zu sein, ist ihm nicht gestattet, sein Geistig-sein verwehrt das natürliche absolute Aufgehen. Nie ganz zuhause in seiner Natur bleibt er der (geistig) Vertriebene und muss finden, wozu er im Wesen bestimmt ist. Und es ist nicht zufällig, dass die absolute Synthese wiederum, in jenem natürlichen Fahrwasser, nur die perennierende, böse Synthese sein kann. Jene absolute Synthese erforderte eine "absolute Auf-Gabe" (von der schon weiter oben gesprochen worden ist), also eine "geistige Auf-Gabe". Weit vorausgreifend kann das die Haltung der "Demut" genannt werden.

 

An Hegel lässt sich die ganz "große Perspektive" nachzeichnen, er dringt mit einer unglaublichen Sicherheit in das Wesen des (absoluten) Seins vor, derart, als wäre er darin schon immer zuhause. In jener Tiefen-Dimension verliert sich Hegel; Zeugnis der "geistigen, absoluten Auf-Gabe". 

 

Es ist an der Zeit, einem Moment inne zu halten um zu sehen, wohin der Gang insgesamt unterwegs ist. Der Gang ist ein Zwiegespräch (Besinnung) mit dem Philosophen G.W.F. Hegel. Dass es gerade dieser Philosoph ist, hat einen bestimmten Grund: Er ist meiner Ansicht nach der letzte der großen, contemplativen Denker, der letzte umfassende "geistige" Ausblick. Daraus kann geschlossen werden, dass nach Hegel ein sukzessiver geistiger Verfall eintritt der bis zum heutigen Tag andauert und alle Bereiche geflutet hat. An seiner Stelle könnte aber auch das Gespräch mit Aurelius Augustinus stattfinden oder mit Thomas von Aquin und ganz sicher mit Platon. Es gibt aber noch einen Grund, warum es Hegel ist: das ist die Zeit und mit ihr die Vergänglichkeit; eine allgemeine, alltägliche Erfahrung, wird man meinen. Es ist daher ganz klar, dass man Entscheidungen treffen, das Wesentliche vom Unwesentlichen sondern muss. Im Letzten gibt es nur ganz wenige Entscheidungen, es geht also um ein Wählen (müssen). Meiner Ansicht nach wird auf diesen Umstand viel zu wenig Wert gelegt, dabei handelt es sich immer um die ganz wenigen und daher entscheidenden Fragen des Seins, ob endlich oder unendlich. Und wenn die Bestimmung des Menschen im Geistigen liegt, dann ist die Richtung schon angezeigt. In einer vermeintlich pluralistischen Gesellschaft - die ja heutigentags mehr und mehr einer heimlichen und unheimlichen Cyber-Diktatur gewichen ist - gelten nach wie vor das Demokratische und die Freiheit im Sinne der libertas indifferentiae als oberstes Gebot. Festlegungen gelten als Ansichtssache - oder: alles ist erlaubt. Dass es sich allüberall so verhält, dieses Gebot ein Faktum ist, heißt nicht, dass es "wahr" ist. Im Gegenteil: im Letzten zeigt sich in jenen losgebundenen Fakten das Angesicht der Lüge und der Un-Wahrheit. In der Tat wird es darum gehen, dem Geistigen in seiner größten Dimension im Endlichen Raum zu geben. Alles andere, und damit meine ich das "Wesentliche", ergibt sich dann ganz von selbst.

 

Was das ist oder wer das ist, der "Geist", darüber wusste Hegel Wesentliches zu sagen. Es ist keine Privatangelegenheit, Partei für den "Geist" zu ergreifen, sodass man sich das aussuchen könnte oder auch nicht. Im Gegenteil! Es ist der Geist selbst, der längst, also schon immer, für uns Partei ergriffen hat und er tut es stets, gegenwärtig, immer und ohne Unterlass; auch in seinen schier ungeistigsten Auswüchsen und es gilt dem zu entsprechen, dem wir im Wesen gemäß sind. Die höchste Bestimmung der Wahrheit fand Hegel in der absoluten, in der offenbaren Religion. Die Dimension der Trinität wird sich uns an diesem Ort in seiner geistigen Bezüglichkeit erschließen.

 

Bei Hegel geht es - wie sollte es auch anders sein - um die ganz wenigen aber großen Fragen des Mensch-seins, um das Woher und Wohin. Heute meint man, dieses Woher und Wohin sei eine bloße Privatangelegenheit. Das ist ebenfalls eine jener Lügen, die sich den Anschein der Wahrheit geben. Hegel ist in seiner Weise unterwegs zur absoluten Wahrheit; dieser Weg ist im Wesen auch unser Weg. Auf diesem Weg kommt es zu einer wesentlichen Wandlung, zu einer "geistigen Auf-Gabe". Dieser Weg ist in der Tat ein ganz "einfacher" in dem einfachen Sinne, dass er der "Eine" ist.

 

 

 

Nur in der Idee also ist ihre Wahrheit, d.h. beide sind als Gesetzte – sowohl der Begriff als auch das Sein, die Wirklichkeit, Welt, Endlichkeit.

Dass daher der Begriff sich an sich bestimme, sich objektiviere sich selbst realisiere, ist eine weitere Einsicht, die erst aus der Natur des Begriffs hervorgekommen ist und nicht sein konnte. Der Begriff hebt selbst seine Einseitigkeit, also Verständigkeit, auf.

Es ist die Vorstellung, dass der Mensch einen Willen habe, dass er denken könne, dass er fühlt, dass er insgesamt mit den Vermögen des Fühlens, des Wollens und des Denkens ausgestattet sei, dass das Denken auch neben diesen Vermögen vorkomme, als Eigenschaft des Menschen, als Prädikat seiner Substanz. So im Blick steht der konkrete, der sinnliche Mensch, ein Mensch mit Vermögen und bestimmten Ausstattungen.  Es ist so ein Maßstab konkret, an dem Wirklichkeit in concreto abgelesen, abempfunden, versinnlicht verwirklicht ist. Maßstab heißt dann so viel wie: Wirklichkeit allein sei dieses (empirisch) Konkrete. Dagegen aber steht die absolut idealistische Wirklichkeit, das, was unter „Wirklichkeit“ eigentlich zu verstehen sei, der gemäß das Konkrete nicht das Empirische, sondern der „Gedanke“ sei, die „Idee“, der „Geist“.

Demnach „ist“ die erste Geschichte raum- und zeitlos, die Geschichte an- und für sich. Eine zweite Geschichte erzählt das Element des Göttlichen real in der Welt oder, Geist in Welt, das Dasein des Göttlichen in der Welt. Eine dritte Geschichte erzählt sich als innerer Ort, der Erhebung oder des Geistes zu und in seinem eigensten Element. Geschichte heißt aber immer: Zeit!  An und für sich ist die Geschichte „außer der Zeit“. Das „Außer der Zeit sein“ ist ein Sein ohne Zeit. Was oder wie ist diese zeitlose Zeit? Es ist eine Geschichte die „ist“ und doch zugleich un-zeitlich, ein Geschehen das geschieht im Nicht-Geschehen.

 

 

"Geist in Welt" (von Rahner und nicht in seinem Sinne)  - oder: die Idee objektiviert sich, erscheint. An sich "ist" keine Entwicklung, auch keine Zeit, keine Vergänglichkeit - die Idee ist an und für sich "fertig". Es kommt aber darauf an sich sagen zu können: das "ist"; ist daher gewiss. Die Überzeugung, die Gewissheit, dass das die absolute Wahrheit ist, ist zu zeigen. Hegel denkt den Unterschied - gemeint ist der "absolute Unterschied" - als Spiel des Absoluten mit sich selbst. Der Begriff des Spiels ist markant: Man geht nicht fehl darin zu denken, dass Gott "spielt". Das Spiel ist u.a. das Absichtslose, das Unbekümmerte, das Angstlose, das Sowohl-als-auch, das Gewinnen und Verlieren, das Hervorkommen und Verschwinden, das Ankommen und das Vergehen, das Aufbauen und Zerstören. Es ist darin ein Unterschied, der zugleich auch keiner ist; der Unterschied ist schon ein aufgehobener, wie sich Hegel ausdrückt, und meint damit, dass er ein gesetzter ist, ein Moment im Unterwegs. Der Verstand kennt dieses "Spiel" nicht oder besser gesagt: will es nicht kennen. Der Verstand fühlt sich wohl nur in den Fixiertheiten, den Abstracta, die gegeneinander und unbeweglich stehen. So ist auch Orientierung zu gewinnen und eine gewisse, freilich labile und instabile Sicherheit - eine bloß endliche Sicherheit. Gerade hier zu zeigen: der endliche Verlust bedeutete die absolute Sicherheit. 

 

Mit dem ἕτερον als bloßem Moment ist es in der absoluten Bestimmung niemals ganz ernst, es fehlt ihm hier, was ihm der Verstand unter-stellt. Das ἕτερον ist Erfahrung des Tagtäglichen, ist Erfahrung der Welt und kaum hinterfragt. Die Welt erscheint zunächst als Welt des absoluten ἕτερον, sodass man sich selbst - kaum durchsichtig - wie automatisiert bekennt: so ist es einfach. Das  ἕτερον ist der unhinterfragte und absolute Normalfall der Endlichkeit, der ins Massive gesteigert und zur endlichen Absolutheit gebracht ist. Wie sich die absolute Idee in der Welt objektiviert könnte auch so ausgedrückt werden wie es möglich und wirklich sei, dass ein ἕτερον  als ἕτερον sei, es ein Seiendes sei, und das hängt hier, im absoluten Geist, damit zusammen, dass ein Freies als Freies sei. Freiheit ist für Hegel immer mit "Selbststand haben" identisch. Erst ein Seiendes, das absolut bei sich und für sich ist, hat eigentlichen Selbst-stand, taucht in das Geschäft der Welt "an sich" unbeschadet ein, was ganz und gar nicht heißt, dass es nicht dadurch Schaden an seiner Seele nehme - gerade dies ist der Normalfall. Frei in diesem Sinne kann nur ein geistiges Wesen sein, der Geist ist dies, alles unbeschadet zu durchfluten oder anders ausgedrückt: er ist das einzige Element, das im Identisch-sein zugleich absolut bei sich bleibt oder wiederum anders ausgedrückt: die Identität in Differenz ist hier absolut verwirklicht. 

 

Ein Bestimmtes als Freies entlassen: das ist die Hegelsche Definition der Liebe. In der Liebe haust nach Hegel der Unterschied, da wohnt ein Unterscheiden, eine Differenz. Da sind mindestens zwei, die sich unterscheiden. Aber der Unterschied ist kein absoluter, es ist kein Selbststand, der ohne den anderen sein könnte. Die Liebe will, dass der Andere im Füreinander frei und er selbst sei. Die höchste Freiheit zeigt sich im Selbststand, im Subsistieren - das aber kein losgelöstes, endliches Subsistieren ist. Anders gesagt: In der Liebe ist der Andere ganz er/sie/es selbst und doch zugleich eins wiederum mit dem Anderen: verwirklichte Identität in Differenz. Ich bin außer mir bei mir: das ist der Hegelsche Gedanke der Liebe: die gefühlte, gewusste Einheit in Differenz. Es liegt in diesem Hegelschen Gedanken keine absolute Trennbarkeit, die notwendigen Unterschiede "sind", aber es sind spielerische Momente, die absolut gesehen, keinen Wert an sich haben. Es sind verschwindende Momente. Insofern in der Liebe eine Differenz angezeigt ist, ist sie auch schon negiert oder in der Hegelschen Terminologie: die Differenz ist absolut aufgehoben. Was so schon in der Endlichkeit am Werk ist, erfahrbar ist, ist ein tiefes σύμβολον der Trinität selbst. Hegel sagt, dass das Freie nur für das Freie vorhanden sei. Das ist eine sehr tiefe Auslegung der Freiheit, die besagt, dass ein Seiendes nur ganz bei sich selbst und daher frei sein kann, wenn der Andere es ebenso ist. Je mehr der Andere sich selbst zuwächst, zuwachsen kann (darf), desto mehr liegt darin Freiheit auch für den Anderen. Zu wollen, dass ein Seiendes absolut bei sich sei heißt, es zu lieben, es in seine absolute Freiheit zu entlassen. Diese absolute Identität ist nur im und durch den Geist möglich; wenn Zwei Eins sind und darin ihre Selbstständigkeit bewahren, diese unangetastet bleibt in der Identität, dann ist diese Identität in Differenz in der bloßen Sinnlichkeit nicht möglich. Dort ergäbe das Identisch werden immer ein Drittes, ein Neues. Das hier gemeinte Frei-sein ist das tiefste Zeugnis des Geistes, es bedeutet, dass jederzeit ein absoluter Anfang gesetzt ist, ein wirklich Neues beginnt; das ist nicht historisch gemeint. Es meint, dass der Beginn ein immerwährender Anfang ist, und, dass das Ende zugleich im Anfang und dass in jedem Ende bereits ein Anfang währt. So gesehen "ist" weder ein Anfang noch ein Ende, sondern beide sind Momente des Einen (Werdens).

 

Daher: die Freiheit gründet im Selbst-stand haben, so zu sein, dass man im Kommen und Gehen, d.h. im Zeitlichen absolut (lat. absolutum, losgelöst sein) bei sich ist, ein unberührbares Zentrum durch alle Zeit hindurchträgt, eine Identität mit sich, die unauflösbar ist. Wo dies nicht statt hat, ist keine Freiheit verwirklicht und daher auch nicht möglich. Freiheit in diesem Sinne ist durch nichts begrenzbar, daher un-begrenzt. Es ist nur die Unbegrenztheit, die das Begrenzte zeigen kann. Um eine Grenze wissen können heißt, sie schon im Wesen überschritten haben - heißt also: frei zu sein. Freilich bedeutet das immer: das Begrenzte ist jederzeit das erfahrbare Endliche, das am Anderen jederzeit seine Grenze findet, also begrenzt ist. Geist in Welt heißt zu erfahren, dass man selbst endlich ist, dass man jederzeit begrenzt ist, an Grenzen stößt und daran auch zugrunde geht. Dennoch: um die Endlichkeit, also die Begrenztheit zu wissen heißt, im Un-endlichen zuhause zu sein. In aller Endlichkeit ist so, kann man sagen, die Un-endlichkeit oder Un-beschränktheit oder Freiheit schon am Werk oder verwirklicht und diese unendliche Dimension in der Endlichkeit ist nicht eine Nebenerscheinung oder ein bloßes Moment oder gar eine evolutionäre Entwicklungsstufe, sondern trägt die tiefste Bedeutung des Seins in sich. Die un-endliche Dimension in aller Endlichkeit zu "wissen" hat die höchste Priorität des Denkens und Seins.

 

 

Was oder wie denkt Hegel "Welt"? Diesen Gedanken zu fassen hat höchste Priorität. Warum? Ich meine, darin wird sich alles entscheiden was schon entschieden ist. Diesen Gedanken (der schon entschiedenen Entschiedenheit) werde ich zu Ende hin ausführlich darstellen. Nur so viel zunächst: Am Ende wird sich der Anfang zeigen, d.h., dass der Fortschritt eigentlich ein Rückschritt ist, dass das Neue das Uralte sei, dass tatsächlich alles schon da war, dass es "nichts Neues unter der Sonne gibt" und dass die Zeit ein ungeheurer Be-trug ist, ein Trug, der nicht trägt und nicht tragen kann. Hegel denkt hier die Welt als "erschaffene". Daher hat diese Welt die Bedeutung, bloß gesetzt zu sein. Dem Gesetzten kommt nach Hegel keine absolute Bedeutung zu, Welt hat nach Hegel keine ontologische Dignität; und alles Geschaffene mit ihr, muss man unbedingt anhängen. M.a.W.: einen Augenblick des Seins zu haben ist die Würde des Erschaffenen. Der Selbststand alles Geschaffenen hebt sich absolut auf. In allem Geschaffenen flüstert ein Monolog zur Rückkehr, ein Zurück zu, ein Aufheben, ein Bewahren, ein Zurückkommen auf... Hegel nennt das die "Versöhnung". 

 

Von Natur aus gut; [so hat er in und an sich keine Entzweiung; keine Trennung; kein innerstes Bedürfnis einer Versöhnung; jede Betrachtung überflüssig; ist Geist, ist Vernunft, Ebenbild Gottes, das Ebenbild Gottes, an sich gut; an sich = auf innerliche Weise; seinem Begriff nach, seinem Wesen nach; aber noch nicht seiner Wirklichkeit nach; was der Mensch immer an sich sei, muss er auch ver-wirklichen, muss er wirklich sein, werden; also "für-sich-sein"; das "An-sich = ein Mangel; ein Ausstand; dem Naturgesetz folgen heißt bloß: an sich sein; natürlich zu sein: ein Mangel, ein Ausstand; für sich selbst sein sollen, was man an sich ist: an-und-für-sich-sein: Geist sein; man soll es ausführen, bewegen, ins Spiel bringen, es ist Spiel an der Nabe, das Rad rollt, ist in Bewegung, ist ein Werden, eine Entwicklung, eine Versöhnung; er muss erst werden, was er an sich ist; Geist sein heißt: aus der Natürlichkeit, Gesetzlichkeit heraustreten, frei zu sein, Freiheit von dieser Natürlichkeit zu gewinnen; es kommt zur Trennung seinem Begriff nach, dem Ansich, und dem Fürsich, das ein Werden erst ist; es klafft ein Spielraum, ein Möglichkeitsraum, ein Freiheitsraum; es sind Wege, unzählig viele; wie er von Natur her ist, so soll es nicht bleiben, ein telos zeigt sich am Horizont; eine Bewegung hebt an; un-fertig ist der Mensch, un-vollkommen zeigt er sich, so ist ein Werden. Geist sein heißt: fähig sein, über seine Unmittelbarkeit schon hinausgegangen zu sein; das Opake je schon überschritten haben; das heißt es: "frei" zu sein. von Natur aus böse; [Geist ist der Mensch; so ist er je schon vom Ansich abgefallen, herausgetreten, Bewegung, telos, Trennung; nur natürlich zu sein, wäre einseitig, wäre Rückstand, unangemessen, nur seiner Natur gemäß zu sein: nur zu wollen, zu treiben, Trieb zu sein, Begierde zu sein - so ist er böse; nur Trieb, Neigung zu wollen, ist böse; der Naturzustand als bloßer und voluntativ: ist böse; der Wille zur Natürlichkeit ist böse; imputabel soll er sein: schuldig, verantwortlich, anrechenbar; ein Tier ist weder gut noch böse; warum? es ist willenlos; gut zu sein auf geistige Art heißt: es mit Willen und Wollen zu sein; ein geistiger Antrieb steht dahinter; nicht bloß natürlich zu sein ist das telos; man weiß das; so ist er Subjekt, Einzelner, einzelner Wille: Selbstsucht in concreto; Selbstsucht des Willens; der Teufel: die zur Vollendung gereifte Selbstsucht des Willens; man will sich bloß selbst in absoluter Verlorenheit: das Böse sein; in principio: der Teufel; so zu sein, nur seiner Natur zu leben, eigensüchtig sich bloß zu wollen: ist böse sein; die bloße natürliche Wirklichkeit ist die böse Wirklichkeit: die Selbstsucht in concreto; Böse sein ist es nicht allein; es hat Beziehung auf den Begriff, auf das Ansich; nur so ist es das Böse; wenn der Wille sich entschließt, erst dann ist es ein Wille; der Entschluss ist das Unterpfand des Willens: entschlossen zu sein setzt voraus eine höhere geistige Gesinnung; Beharren, Ausharren, Insistieren: an sich ist er Geist; ergo: Aufgabe des natürlichen Wollens; das sich Hervorbringende; er ist nicht von Natur aus wie er sein "soll"; das weiß man; ich erkenne heißt: ich trenne, bin mir bewusst - dieses und dieses nicht; das Negative kommt so in die Welt; das Urteil, das Teilen auseinander; die Trennbarkeit, das Erkennen ist der Quell alles Bösen, die Entzweiung: jetzt erst ist etwas auch "für mich" - ich selbst bin auch für mich; das "Für-sich-sein" kommt so in die Welt; es ist die Erkenntnis, die aufschließt; dass ich nicht bin wie ich sein sollte - ist Leistung des Erkennens; in der Reflexion vergleiche ich mein Ansichsein mit meinem zu erbringenden Fürsichsein; ein Ausstand zeigt sich - Hiatus; Böses ist erst innerhalb des Erkennens; das Böse ist das Bewusstsein des Fürsichseins gegen Anderes, das Objekt; erst so ist der Quell der bloßen Eigendrehung ermöglicht nur für sich sein zu wollen; erst jetzt ist möglich, kein Mitleid haben zu wollen; wer könnte je das Erkennen, das Reflektieren, den Geist ablegen? Für sich zu sein heißt aber zugleich wissen um die letzte Versöhnung; ein Objekt ist immer nur für ein Subjekt; das vernünftigste, allgemeinste Objekt kann so auch entgegenstehen einem Subjekt, ist Gegen-Stand für ein Subjekt; so erst Versöhnung, so erst Wege; für ein Subjekt nur ist das Gute als auch das Böse, sind diese Gegen-Stände; in sich ist der Geist frei, ist Beweglichkeit; ist Abstand-nahme; der Urquell ist der Selbst-stand des Geistes, dass er aus sich frei ist und das Trennen vollbringt; damit beginnt die Geschichte, die „wahre“ Geschichte, das, was eigentlich „Geschichte“ heißt: die Geschichte des Menschen in seiner Entzweiung, die Geschichte im Guten als auch im Bösen.

 

Entzweiung des Für-sich-seins; dass es so ist, ein factum; bei diesem factum soll nicht stehengeblieben werden; zu bedenken: dass wir das alles insgesamt zu beurteilen haben; also ein doppeltes Beurteilen, die Reflexion der Reflexion.

 

 

Exkurs: Beurteilung / Zustimmung

 

Es wird alles davon abhängen, den Sachgehalt wahr-zu-nehmen, zu be-urteilen und letztlich zuzustimmen; ob jemand in der Lage und willens dazu ist, ist eine andere Frage, setzt dies aber voraus; Zustimmung ist ein Einsehen können, eine Kraft des Urteils, eine Kraft des Geistes; es ist tatsächlich ein freier Akt. Es kommt daher darauf an, die geistige Dimension, in der die Sache sich aufhält, zu erreichen. Ist diese Dimension erfasst, erledigt sich die Zustimmung von selbst. Der Weg ist dann selbst die Zustimmung.

Es fragt sich dann: 1. Was erbringt diese Zustimmung? 2. Warum erbrachte die Wahrheit keine Auf-Gabe? 

 

[Was heißt: Es kommt alles darauf an! Dieser Begriff - und es ist ein allererster und daher zugleich allerletzter Begriff - meint die innerste Sache; Begriff ist niemals nur ein Wort, sondern Wahrheit und allererste und zugleich allerletzte Wirklichkeit;  dieser Begriff spricht davon, dass der Mensch nicht nur ein An-sich ist, sondern wesentlich zugleich ein Für-sich, ja allererst ein Für-sich; dieser Bregriff drängt seiner Sache gemäß zur Entscheidung, nicht zu Entscheidungen, sondern zur "Entscheidung" - ein singulare tantum. Es gibt sie, "die" Entscheidung, sie steht jederzeit bevor, ist ein Bevorstand und darauf kommt alles an, es hängt alles - die ganze Wirklichkeit daran, nämlich das, was "Wirklichkeit" eigentlich zu bedeuten hat.]

 

 

Rückkehr zum Anfang! "Der Baum des Lebens"

 

 

 

[...]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DER ÜBERGANG - DIE FOLGEN

 

 

Das Philosophieren als Erkenntnis des Nichtweltlichen

 

[...]

 

 

Der Fort-Gang (Folgen)

(oder: "Nichts ist ihm ein Festes, ein Seiendes, alles vielmehr nur ein Ideelles, ein nur Erscheinendes" E III, 37)

 

 

Die Ruhe gegen die Welt (Hegel, PG, C. Vernunft sqq.)

Der Bruch mit dem endlichen Absolutismus

Argumentum ex silentio

Zeit / Ort / Raum

Der Über-Griff

Die absolute Verantwortungslosigkeit

Die Hinwendung

Die Eröffnung

 

 

oder: "Das Endliche hat also im Geiste nur die Bedeutung eines Aufgehobenen, nicht die eines Seienden" (Hegel, E III, 36)

 

 

 

 

 

 

 

DER ÜBERGANG

 

 

essentia-existentia-Verspanntheit; die vertilgte Einzelheit; der abgestoßene Wille [das u.BS gibt das Wollen frei; auf die Mitte geworfen: Eigenheit und Freiheit (Welt-Dünkel; Aufgabe des Subjektivismus: das Denken von Hegel ist alles andere: nur kein auf die Spitze getriebener Subjektivismus); die Freilegung der Hintergründigkeit des operativen Denkens (Geist); das Verzicht leisten: (vermeinte) Wirklichkeit - Genuss - Arbeits- Wirklichkeit); das Bewegen eines Fremden, sprechend, vorstellend; [Hegel ist hier undeutlich, d.h.: etwas gänzlich Fremdes kann es an sich gar nicht geben, daher ist es unmöglich, dieses auch zu bewegen]; die Aufgegebenheit des eigenen Entschlusses in mehrfacher Bedeutung; Aufgeben hat mehrfachen Sinn; es werde, nach Hegel, ein unverstandenes Geschäft betrieben; das ist m.E. der bedeutendste Hinweis im Kapitel B der PG; d.h. zunächst: der Verstand dringt nicht mehr durch; ganz im Sinne von Hegel; da Ende "B" zur Vernunft übergeht; Unverstand ist daher bloß ein Moment, eine Stufe in der Entfaltung des Geistes; es folgt, dass "Nichts" zurückbehalten wird; einerseits die Aufgabe (positiv wie negativ), andererseits: das Nichts als nihil originarium; so lässt das Unglück ab; das klingt so, als wäre dasselbe eine Macht und so ist es auch gemeint; das Unglück ist streng ontologisch bei Hegel und niemals ontisch zu verstehen; derart aufgegeben ereignet der ÜBERGANG: der eigene Wille geht auf im allgemeinen; so soll das Allgemeine im Einzelnen werden, denn beides ist: dasselbe - Identität; die Finalisierung im Tun: was heißt es: etwas zu "tun"? Wer "tut" in Wahrheit etwas? Das Allgemeine soll tun!

 

"Was in meinen Büchern von mir ist, ist falsch" (möglicherweise von Hegel).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noli foras ire...

 

Es wird darauf und einzig ankommen, eine gewirkte Entscheidung zu treffen; keine eigenmächtige, sondern: potentia oboedientialis; die Gehör-samkeit also. Ein weiterer Hinweis: Heidegger, "Sein und Zeit" - das Vorlaufen. Ein weiterer Hinweis: Hegel: Phänomenologie des Geistes. Ein weiterer Hinweis: Augustinus: Opera omnia. 

 

Die verbleibende Zeit wird wesentlich Zeit der Entscheidung sein - also eine Zeit der gewirkten Stille.

 

 

 

 

 

 

Unglückliches Bewusstsein - oder: das Unglück im Seins-Verstehen

 

 

 

Alles, was wahr und gut ist, hat, insofern es für mich als denkendes Wesen ist, Bedeutung - und nur insofern. Sein, in seiner vielfach vereinzelten Ausbreitung, hat gegen sich: die Gier nach sich selbst oder das Umformende, Bearbeitende. Herrschaft und Knechtschaft spielen aber keine wesentliche Rolle mehr, ebenso wenig Ding, Dasein, Begierde, Zweck. Ich bin "alles", insofern es in mir denkt, die Differenz nach außen: unwesentlich - Rückzug in die einfache Wesenheit des Gedankens, einerlei was außen, rund herum, geschehen mag und so Erhaltung der Leblosigkeit, einer contemplativen Eingefrorenheit gegenüber den hin- und herreißenden Verzerrungen der (sg) Wirklichkeit. Dies ist die Freiheit in die Allgemeinheit des Gedankens zu kommen und auch in dieser zu verweilen. Anderes gibt es so nur mehr als Gedachtes. Wahr ist in diesem Rückzug in die Freiheit des Gedankens (ohne Lebenserfüllung) eben der reine Gedanke, nur mehr das Gedachte hat Wesen und so kann diese Freiheit als Rückzug in die gedachte Welt auch nur eine gedachte Freiheit sein, ein Begriff von Freiheit, der von der konkreten Freiheit abgezogen, also eine "abstrakte Freiheit" ist. So aber ist nur die Form wesentlich, es ist eine bloß formale Freiheit. Das in sich nur und bloß formal Gedachte ist inhaltlich leer, es hat sich in der gedanklichen Leere eingehaust und zurückgezogen und das ihr Andere so - das fremde Sein - vertilgt. In ihm ist kein Inhalt - wenn, dann nur so, dass diesem Leeren ein Inhalt bei-gebracht wird. Aber in all diesem gedachten Rückzug klebt noch das Fremdartige, Andersartige, die reale Welt am rein Gedachten - und so ist dieser Begriff "bestimmt", er hat eine Spur der Herkunft an sich. Der Rückzug ist immer Rückzug aus der (sg) Welt, Wirklichkeit. Auf die Fragen, was generell gut oder wahr sei, kann die bloß abstrakt formale und in sich zurückgezogen gedachte Freiheit nur formal, also inhaltsleer, antworten. Die reine Form des Denkens bestimmt so aber nichts, sie bleibt un-konkret. Der Stoizist muss bei seinen Abstrakta stehen bleiben, er kann sonst nichts anbieten, das verbietet sein wesentlicher Aufenthalt im reinen Denken. Es fehlt so die Ausbreitung des Inhalts (in eine reale Welt, das Andere, das der Stoizist vertilgt hat). Die Negation bleibt unvollendet, so Hegel. Der Stoizist hat es nur zum Rückzug in das Allgemeine gebracht, er ist so  - im essentiellen Extrem -  ruhig gestellt. Dem Stoizisten ist das andere Extrem, die existentielle Bestimmtheit, zum Verhängnis geworden, eine Bestimmtheit, aus der er sich ja gerade zurückgezogen hat; diese Spur der Herkunft klebt an seiner abstrakten Freiheit. Es ist nämlich weiterhin der Stoiker ein Handelnder in der Welt, einer, der mit ihr in Kontakt bleiben muss. Da er sich denkend aus der Welt herausreflektiert und so sein Tun als wesentlich erklärt, so sind ihm die Fragen, was generell gut oder wahr sei, nicht fremd. Der Stoizist bringt es aber und kann es nicht zu einem "guten oder wahren Inhalt" bringen, denn dieser Inhalt ist an seinem allein für wahr befundenen formalen Abstraktum nicht da. Inhalt ist für den Stoizisten nicht nur gedachter und so vertilgter, die Leistung gerade des Stoizisten, sondern immer auch bestimmter Inhalt, das Anderssein bleibt so - wenn auch gedanklich vertilgt - eine Wirklichkeit, der der Stoizist nicht entrinnen kann, ist er doch selbst auch ein Unteilbares, ein Einzelding, ein Individuum. Der Stoizist scheitert an der absoluten Negation, an der absoluten Aufhebung des Allgemeinen und des Einzelnen zugleich.

 

 

Der notorische Zweifler ist der existierende performative Widerspruch. Sein Tun widerspricht seinem Begriff. Sein Tun und seine Worte widersprechen sich immerfort, zuletzt auch darin, dass es keine Wahrheit gebe, dass man die Wirklichkeit letztlich nie erkennen könne, dass es keine letzten Werte gebe, dass alles einer bloßen Zufälligkeit anheimgegeben sei, dass die Endlichkeit in allen Dingen oberste Priorität habe usw. Denn ernst gemeint erhebt der Skeptiker zumindest stillschweigend den Anspruch auf Wahrheit in seinen Aussagen, nicht den propositionalen Inhalt betreffend, sondern performativ. Letztlich entkommt auch der Skeptiker damit nicht dem Allgemeinen, was er verneint, nimmt er stillschweigend in seinem Tun in Anspruch. Das Anderssein als Ungleichsein ist im Skeptiker nicht mehr ausgelagert, Herr und Knecht spielen innerhalb eines Bewusstseins, sie steigen aus "einem Bewusstsein" selbst auf. Aus diesem Widerspruch in sich und aus sich, aus dem existierenden Widerspruch, kann sich der Skeptiker nicht befreien, er kann die Widersprechenden nicht absolut einen, sie bleiben als die Widersprechenden. Das Allgemeine, das Gleiche, das Unwandelbare und das Einzelne, das Ungleiche und Wandelbare konstituieren sich in einem Bewusstsein und zeigen es so als "Zerrissenes", "Verworrenes" in sich. Einmal erhebt es sich über alle Zufälligkeit, ein andermal über alle Allgemeinheit. Was es im Aussprechen verneint, tut es. Dessen ist sich der Skeptiker selbst nicht bewusst. Wäre er es, so wäre das schon eine Form des Geistes selbst, die Vernunft.

Über dieses widersprechende Verhältnis in sich ist der Skeptiker gedankenlos, bewusstlos, darüber hat er keine Reflexion. Der Stoizismus ist die rein behauptete Gedankenfreiheit, eine bloße Freiheit von....  aller Wandelbarkeit, sie bleibt aber bloß abstrakte und unvollendete Negation. Der Skeptizismus wird die bloß behauptete Gedankenfreiheit verwirklichen, die andere Seite des Daseins, das Anderssein wird generell vernichtet. Es muss sich aber als Zerrissenes erfahren, da nun aus ihm selbst Allgemeines und Wandelbares zugleich aufsteigen und Verwirrung stiften. Die so Aufgestiegenen kann es nicht absolut einen, sie bringen jede Ruhe in Unruhe und stiften gegeneinander Verwirrung. Die Verdoppelung ist jetzt nicht mehr ein gedoppeltes Reich zweier real Unterschiedener, etwa hier das Reich des Unbewegten und dort das Reich des Bewegten, sondern sie sind in "eins" eingekehrt, so Hegel. Damit ist das Selbstbewusstsein an sich und in sich selbst gedoppelt, das Zwiespältige haust selbst im Bewusstsein, das Zerrissen-sein ist somit niemals nur eine ontische, sondern eine ontologische Bestimmtheit.

Da nun diese Zerrissenheit in einem Bewusstsein "vorhanden" ist, jener Widerspruch des Unwandelbaren zum Wandelbaren, des Wandelbaren zum Unwandelbaren, so ist dieses Bewusstsein "unglücklich". Das "Unglücklich-sein" muss hier ganz scharf ontologisch gesehen werden. Es ist ein Unglück der Endlichkeit des Erkennens, es gehört zum Wesen des Bewusst-seins, dass es diesen Widerspruch in sich austragen muss. Der unversöhnte Widerspruch zwischen dem Wesen und dem tode ti ist das Unglück des Bewusstseins.

 

 

 

Das unglückliche Bewusstsein

 

 

Ein in sich und aus sich heraus widersprechendes Bewusstsein; die herzustellende Einheit ist für das unglückliche Bewusstsein zunächst bloß unmittelbar, eben vorhanden. So sind die Entgegengesetzten als solche, sie sind nicht in einer Identität, die die Differenz nicht ausschließt. Darauf wird es ankommen - eine die Differenz nicht ausschließende Identität. Was diese Differenz in Identität sei, kann man sich leicht am Erkennen herbeispielen: Indem ich etwas, einerlei was es sei, erkenne, so ist folgendes vorausgesetzt: im Erkennen muss das Erkannte als solches, das Differente als solches, ungeschmälert als das Ansich begegnen können, es muss als solches erfassbar sein und darf durch das Erkennen nicht verformt oder angetastet werden. Erkennen ist mit anderen Worten: in Besitz nehmen, mit sich vereinigen, es kommt zu einer Identität zwischen Erkennendem und Erkanntem. Nur so kann man von Erkenntnis sprechen. Vorausgesetzt sei hier, dass die Wirklichkeit im Erkennen an sich erreichbar ist (gegen Kant). Dass Verschiedene miteinander "eins" werden und zugleich different sind, das ist ein paradoxer Anspruch. Denn, entweder löst sich die Differenz in der Identität auf, denn nur so kann man von Identität sprechen, oder die Differenten behaupten sich eben in ihrer Differenz, dann ist eine Identität nicht möglich. Das paradoxe Unternehmen - Identität in Differenz und Differenz in Identität - ist aber genau im Erkennen schon realisiert. Denn der letzte Grund für Wahrheit und Falschheit kann nur in einem Identitätskriterium liegen, das sich in einer Identität von Erkennendem und Erkanntem, oder mit anderen Worten von Erkennen und Sein (Wirklichkeit) niederschlägt. Aussagen können vielfach und sind vielfach falsch oder wahr, das letzte Kriterium dieser Qualifizierung muss aber ein apriorisches Kriterium sein. Der Erkennende muss, wenn auch nur hintergründig, ein Wissen von der Wirklichkeit an sich haben.

Die unmittelbare Einheit im unglücklichen Bewusstsein soll eine vermittelte werden, sie soll eine realisierte sein. Das Unwandelbare, als das eine Extrem, soll zur Deckung mit dem anderen Extrem, dem Wandelbaren, kommen, es soll eine realisierte Identität der Verschiedenen statt haben. Zunächst aber konstituiert sich im unglücklichen Bewusstsein eine Gegenspannung zwischen dem Wesentlichen, dem Unwandelbaren und dem Unwesentlichen, dem Wandelbaren. Das unglückliche Bewusstsein wird zwischen diesen beiden Extremen hin- und hergetrieben. Hegel nennt das eine "widersprechende Bewegung" (164). Eine "Ruhe" findet diese Bewegung nicht. Der Schauplatz des unglücklichen Bewusstseins, das ja "eines" ist, gleicht einem Schlachtfeld, auf dem es Sieger und Besiegte gibt, so scheint es zunächst, doch in jedem Krieg gibt es im Grunde nur Verlierer - so ist auch das unglückliche Bewusstsein der Verlierer am Schauplatz dieser unglücklichen Bewegung.

 

Hegel kommt nun zu einer dramatischen Darstellung der Endlichkeit im Menschen (164 sq.). Was immer Menschen lebend, wollend, handelnd oder hoffend, voll im Leben stehend, vollbringen, dieses gesamte Tun des Menschen ist nun für das unglückliche Bewusstsein eine missliche Angelegenheit, denn das Sich stürzen ins Leben ist ein Sich stürzen ins Wandelbare, Vergängliche, in etwas, was keinen Bestand hat und sogleich auch wieder verschwindet. Auf´s Ganze gesehen verschwindet letztlich das Leben im Nichts. Ihm ist diese Nichtigkeit und Endlichkeit sehr wohl bewusst, zumal da es vom Wesentlichen, vom Unbewegten, vom Unwandelbaren weiß - dorthin strebt es nun. Das endliche Bewusstsein, selbst ein Endliches, Verschwindendes, Vergehendes, erhebt sich zum Un-endlichen, zum Wesen als Unbewegten. Aber auch so hat das Wesen die Befleckung von der Einzelheit an sich, denn es kommt aus ihm her, wird von der Einzelheit berührt (thigein) und das Wesen trägt so das Mal der Endlichkeit an sich; das Unwandelbare hat so das Wandelbare nicht vertilgt.

 

Im unglücklichen Bewusstsein herrscht so noch immer die Verschiedenheit des Unwandelbaren und des Wandelbaren.  Das wäre nach Hegel die 1. Weise, wie das Unwandelbare mit dem Wandelbaren verknüpft ist: Herr und Knecht kämpfen gegeneinander in einem Bewusstsein, das Wandelbare mit dem Unwandelbaren als reine Entgegensetzung.

 

In einer 2. Weise zeigt sich dieses Streit-Verhältnis so, dass in der Sehnsucht des Endlichen nach dem Un-endlichen eine "Berührung" des Unendlichen statt hat. Das Wandelbare zeigt sich am Unwandelbaren selbst. Das Wandelbare tritt am Unwandelbaren selbst hervor. Sie sind damit, nicht mehr nur wie im ersten Verhältnis, bloße Feinde und Entgegengesetzte.

 

Im 3. Verhältnis (S. 165) zeigt sich nun, dass das Bewusstsein als Einzelheit das Unwandelbare selbst in sich zurücknimmt. Damit ereignet sich das Unwandelbare selbst im Wandelbaren, im Einzelnen. Das Bewusstsein als Einzelnes findet sich im Umwandelbaren. Es kommt hiermit zu einer Deckung der Getrennten, zu einer "Identität in Differenz". Hier ist das erste Aufleuchten des "Geistes" bei Hegel, der Übertritt zur Vernunft.

 

Das Bewusstsein als unglückliches, als Einzelheit, hat sich mit dem Allgemeinen versöhnt, es hat sich im Geist zu finden, es wird sich seiner Versöhnung "bewusst". Hegel schreitet zu weit hinaus. Er macht an dieser Stelle die Bemerkung, dass diese Betrachtung "unzeitig" sei (166). Damit meint er, dass es noch nicht an der Zeit zur Versöhnung sei. Damit spricht er die Bewegung des Geistes selbst an, das Bewusstsein ist Bewegung und das unglückliche Bewusstsein zeigt sich eben als zerrissen, innwendig entgegengesetzt. Das Unwandelbare ist noch mit seinem Gegensatz, dem Wandelbaren behaftet und daher noch nicht das "anundfürsich Unwandelbare".

 

 

 

Das unglückliche Bewusstsein, oder: Der Unter-Gang im Endlichen

 

 

Das einzelne Bewusstsein ist sich in dem gewiss, dass es an sich selbst das Un-Endliche „ist“. Es ist dies die Einsicht in das absolute Wesen  oder die Wirklichkeit des Geistes. Mit dieser Einsicht (Besinnung) steht und fällt die PG bei Hegel. Das Un-Endliche, sonst oder herkömmlich genommen als etwas Differentes, Diffuses, Nebelhaftes, kaum Benennbares und nicht in den Begriff gehobenes, ereignet im Bewusstsein selbst seinen Ur-Sprung. Die ontologische Schablone hinter all diesen Vorstellungen vom Un-endlichen als einem Nicht-Sinnlichen ist das Seins-Verständnis des Vorhandenseins. Sein wird als Vorkommen, da sein, vorhanden sein, tatsächlich existieren und eben als factum genommen. Alles, so meint diese Ontologie, was wirklich ist, muss auch vorhanden und greifbar sein, es muss mit den Sinnen fassbar sein. Wenn auch dem Unendlichen als Nichtsinnlichen diese massive Präsenz nicht zugestanden wird, so ist doch in dieser Auffassung die naive Ding-Ontologie leitend. Das Jenseits als das Nicht-Sinnliche wird als unsinnliches Vorhandenes genommen, eben ein unsichtbarer und unsinnlicher Gegenstand, ein Ding vielleicht an sich. Wenn es um die letzten Dinge geht, beispielsweise um die letzte Wahrheit der Wirklichkeit, dann ist alles auf den Kopf gestellt, dass nämlich das absolute Wesen und das wäre in etwa der Titel für die letzte und wahre Wirklichkeit – dass dieses absolute Wesen Geist ist und so die Wirklichkeit des Geistes die einzige und wahre ist. Es ist nicht die Dingwelt und die massive Präsenz der Dinge das, was letzte Wirklichkeit ist – sondern es die Wirklichkeit des Geistes. Genau dieser Sinn liegt in Hegels „Gewissheit des Bewusstseins, alle Wahrheit zu sein“ (175).

Grundsätzlich muss das Denken bei Hegel als ein Durchbruch verstanden werden, und zwar in dem Sinne, dass die uns erscheinende Wirklichkeit im Denken auf die wahre Wirklichkeit hin durchbrochen wird. Die wahre Wirklichkeit  ist dann nicht mehr eine jenseitige, andersseitige, entgegenstehende, sondern eine, zu der man vordringt, hindurchgeht, die immer schon waltet, aber zumeist verdeckt oder überlagert bleibt. Das Nachverständnis der Phänomenologie des Geistes ist an diese aktive Dimension des je eigenen Denkens gebunden. Es ist eine Geschichte, die Hegel hier erzählt, die aber nur Wirklichkeit gewinnt in der je eigenen Denk-Bewegung. Diese Denk-Bewegung ist aber nie eine nur bloß subjektive und eigenmächtige. Diese Denk-Bewegung ist gerade das Verlassen – oder wie Hegel sagt – die Aufopferung (Vertilgung) des endlichen Seins der Einzelwirklichkeit. Dies ist nun näher und in den grundsätzlichen Schritten zu zeigen. Durch diese Bewegung hindurch gewinnt das Selbstbewusstsein sich selbst als Vernunft, nicht als vernünftiges Vermögen, sondern in dem universalontologischen  Sinn, dass die Vernunft alle Realität sei.

 

 

Es ist das Allgemeine ein Fremdes. Es ist der Gegensatz: die Einzelheit des Bewusstseins als reines Denken der kategorialen Struktur, der reine Begriff - das "gestaltete Unwandelbare", die letzten Strukturen der Wirklichkeit im Begreifen, solches, was hintergründig selbst am Werk ist - solches zu begreifen ist der "Begriff" (Objektive Logik: die Lehre vom Sein, Qualität, Sein, Dasein, Fürsichsein, Quantität, Quantum, Maß, die Lehre vom Wesen, der Schein, die Wesenheiten, der Widerspruch, der Grund, die Erscheinung, die Wirklichkeit; Subjektive Logik: Subjektivität, Urteil, Schluss, Objektivität, Mechanismus, Teleologie, Idee, Leben, Idee des Erkennens; vgl. hierzu: G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik I u. II).

 

Es ist dies Allgemeine ein Fremdes. Es ist zu sehen, wie das Einzelne als Einzelheit des Bewusstseins und als diese Beziehung zu dem ihm zunächst Fremden und es selbst Bestimmenden, zu diesem un-gestalteten Unwandelbaren, aufzuheben, das Einssein des Einzelnen mit dem gestalteten Unwandelbaren herzustellen ist [162] - sodass dies Allgemeine kein Fremdes sei (was es ja in Wahrheit nicht ist). Hegel drückt dies so aus: "Die zunächst äußere Beziehung aber zu dem gestalteten Unwandelbaren als einem fremden Wirklichen hat es zum absoluten Einswerden zu erheben" [162]. Damit meint Hegel nichts anderes als die "Gewissheit des Bewusstseins, in seiner Einzelheit absolut an sich, oder alle Realität zu sein" [171]. Das meint nicht, dass der Mensch an sich alle Wahrheit hat und weiß, sondern "ist" - dass das Sein des Menschen mit dem Sinn von Sein wesentlich korrespondiert. Insofern zeigte sich das unglückliche Bewusstsein als vernünftiges, die Umwendung vollzogen, das Ansichsein oder das Wesen ist hier kein Fremdes mehr oder ein Jenseitiges, sondern das Bewusstsein seiner selbst ist zugleich auch das Einssein als absolutes Wesen. Alle Wirklichkeit, so Hegel im folgenden "Vernunft-Kapitel", sei dann nichts anderes als "es" [176]. Das gemeinte "es" ist die Einzelheit des Bewusstseins, das Selbstbewusstsein, was bei Hegel nie nur ein Umsichwissen meint, sondern eine wesentliche Bewegung. Selbstbewussstsein hat man nach Hegel nicht, Selbstbewusstsein ist nach ihm der lange Weg des Bewusstseins nach und nach die letzte Wirklichkeit "an sich" zu erfahren - auf der Fahrt einer großen Umwendung.

 

Es ist für Hegel diese Umwendung (periagoge) ein Geschehen im dreifachen Sinne: 1. als reines Bewusstsein, 2. als einzelnes Wesen und 3. als Bewusstsein seines Fürsichseins.

 

Es handelt sich wortwörtlich bei Hegel hier um "Seins-Weisen" [162], um drei Seins-Weisen des Bewusstseins. In der Terminologie von Heidegger wären diese Seins-Weisen hier bei Hegel "existenziale Strukturen am Sein des Da" - die Existenzialien. Diese müssen bei Heidegger streng von den kategorialen Strukturen getrennt werden, das sind für Heidegger jene Seins-Strukturen, die nur dem nicht-daseinsmäßigen Seienden seinsmäßig zukommen. Damit zeigt sich bei Hegel einmal mehr, dass seine gesamte "Phänomenologie des Geistes" ein in der Tat auch so zu nennendes "fundamental-ontologisches Anliegen" verfolgt: das wesentliche Kapitel über das unglückliche Bewusstsein hat keinerlei ontischen Sinn. Wie die Einzelheit mit dem Allgemeinen verknüpft sich findet, gestaltet und aufhebt - das ist das ontologische Anliegen von Hegel und dass sich diese Bewegung selbst zerrissen (unglücklich) zeigt, dass sie aber, diese unglückliche Bewegung, "glücken" kann - in der Umwendung zur Vernunft. Die Begriffe Unglück und Glück haben für uns heute nur ontische Charakteristik - das ist das missliche an diesen Begriffen. Das Unternehmen Hegel ist rein ontologisch, es besteht jederzeit die Gefahr, in eine bloße Ontik abzustürzen. Schwierig bleibt zugleich jederzeit der Spannung zwischen Regional-Ontologie und Universal-Ontologie bei Hegel gewahr zu sein, genau hier, da sich das Selbstbewusstsein in die Vernunft wendet.

 

1. Das zerrissene Bewusstsein hält einerseits das reine Denken und andererseits die Einzelheit (des Bewusstseins) zusammen. Es zeigt sich als eine "Mitte", als ein Drittes und diese "Mitte" wird für Hegel entscheidende Bedeutung auf dem Weg zur Versöhnung des zerrissenen Bewusstseins gewinnen. Das Bewusstsein ist sich nunmehr bewusst, dass es selbst das Einzelne ist, dass die Einzelheit an ihm selbst ist, an ihm selbst, diesem vereinzelten Selbstbewussten und dass an ihm ist (stattfindet), das Allgemeine zu denken (das Denken hier streng genommen: ein Geschehen). Denken ist nie ein bloßer Denkvorgang, der in einem Gehirn stattfindet, dann, wenn neuronale Gehirnprozesse stattfinden. Denken ist die Weise des Seins des Menschen, es ist seine Seins-Weise als Mensch zu sein und dieses Denken muss streng ontologisch gesehen werden: das Denken ist ein "Verstehen", es ist ein Verstehen, das den universalen Sinn von Sein versteht - einen verstehenden Zugang zum universalen Seins-Sinn hat. Wenn gesagt wird, dass der Mensch das kategoriale Allgemeine denkt, dann kommt darin zuallererst das Grund-Geschehen des Menschen mit dem Sein zum Ausdruck, die Eröffnung, dass der Mensch das Sein in sich berührt. Wissen und Denken heißen zuerst immer: den Anspruch von Sein schon vernommen haben. In dieser Grund-Konstellation und aus dieser Grund-Perspektive heraus muss und kann erst danach gefragt werden, was Wirklichkeit, was Wissen und was Wahrheit eigentlich "sind". Denken, streng ontologisch gesehen, ist nie nur ein menschliches Vermögen, das man hat weil man ein Gehirn hat - das Denken ist "das" Seins-Geschehen im Menschen selbst, das mit ihm geschieht. In dem Wort des Parmenides vor über 2500 Jahren: to gar auto noein estin te kai einai - denn dasselbe ist Denken und Sein - kommt dieses Grundverhältnis "Sein und Mensch" zum Ausdruck. Das Denken ist daher grundsätzlich gesehen: ein Seins-Verhältnis. Und wie sich dieses Seins-Verhältnis umfassend und grundlegend im Menschen ereignet, das hat Hegel in seiner außergewöhnlichen Kraft zum Begriff gebracht.

 

Das zerrissene Bewusstsein steht in der Mitte und ist die Vermittlung. "Ist" schreibt Hegel an dieser Stelle gesperrt [163]. Hier ist wieder der Hinweis auf das Sein dieses Bewusstseins. Das (noch) abstrakte Denken und die Einzelheit, das Allgemeine und das Einzelne, "berühren" sich. Die vorhin strikt noch Getrennten sind es nun nicht mehr. Das Unwandelbare (das Ansich, das Wesen, das Allgemeine) ist nicht mehr ausgelagert, ein nur Fremdes oder Jenseitiges. Aber dem Bewusstsein ist noch nicht bewusst, dass es selbst diese Einheit der beiden "ist". M.a.W.: Der Mensch begreift noch nicht das schon Begriffene oder: "Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt" [Vorrede, 28]. Das Allgemeine zeigt sich so schon als Einzelheit. Im Denken als Seinsgeschehen stehen die vorhin absolut getrennten nun in einer Einheit zusammen.

 

Was hat das eigentlich zu bedeuten? Was hat es zu bedeuten, dass im Menschen so etwas statt hat, dass das Allgemeinste (das Wesen) mit dem tode ti zusammen steht oder m.a.W.: dass das Sein mit dem Denken zusammen steht? Über diese Frage muss man sich Klarheit verschaffen. Man muss sich auf das Niveau dieser Frage bringen, auf ihre Problemstufe oder wiederum m.a.W.: man muss sich, um das zu verstehen, in das Philosophieren begeben (darin man schon in gewisser Weise steht). Was also hat es zu bedeuten, dass Sein und Mensch zusammen stehen? Dass überhaupt etwas "ist" - hängt damit wesentlich zusammen.

 

Erschaffen des Allgemeinen oder nur bloße Arbeit am Allgemeinen - das ist hier die Frage.

 

[... 2. Verhältnis]

 

 

3. Verhältnis oder: Der Feind im eigenen Haus

 

Im 3. Verhältnis des unglücklichen Bewusstseins zum Unwandelbaren erreicht Hegels Profil der Vertilgung der Einzelwirklichkeit zugunsten der Gewissheit, alle Realität nicht nur zu haben, sondern zu sein, ihren Höhepunkt. Die Dramatik kann kaum unterschätzt werden. Ging es im 1. Verhältnis um das dem Wesen noch entgegengestellte reine Bewusstsein, um eine Chronologie des Versagens in dem Sinne, dass das unglückliche Bewusstsein darin versagt, sich im Fremden zu finden (alle Realität zu sein) oder die anundfürsichseiende Einheit herzustellen, und ging es im 2. Verhältnis darum, die Verwirklichung dieser Einheit tatsächlich zu erproben als ein äußeres Tun und Streben, als die Erprobung des Willens und des Vollbringens, was aber aufgrund der nicht vertilgbaren Eigenständigkeit des Selbstbewusstseins misslingen musste - denn insofern zeigte sich das Wesen immer noch als ein Differentes, als ein Anderes - es lösten sich nur die Oberflächen gegeneinander, so zeigt sich nun im 3. Gang der Weg der Versöhnung, also die geglückte Bewegung des Selbstbewusstseins zur Vernunft; diese Bewegung ist deshalb dramatisch, weil in ihr das empirische Ich oder die Einzelwirklichkeit aufgehoben wird; es kommt zur Auf-Gabe der insistierenden Einzelwirklichkeit; nur so ist nach Hegel der Gang zur Vernunft möglich, das eine existierende Extrem wird als Unwesentliches aufgegeben. Das ist nun näher zu zeigen.

 

Ein Tun und ein Arbeiten - beides hat den Willen zum Grunde, eine Veränderung wollen, etwas anstreben, etwas noch erreichen wollen, ein Ziel vor Augen haben; seien es weltliche oder contemplative Ziele. Man will sich ins Ziel bringen, noch etwas erreichen. Es gilt, das Anderssein, die Gegenspannung des Unwandelbaren mit dem Wandelbaren auszusöhnen. Dabei zeigt sich ein (oder der) Feind in seiner eigentümlichen Gestalt: es sind die tierischen Funktionen. Es sind die vitalen Interessen, die es als solche vermögen, sich als Einzelnen zu erfahren. Gilt es, diesen Feind auszuschalten, dann muss er fixiert werden. Aber in dieser Fixierung konstituiert er sich gerade und gewinnt noch mehr Form. Man kommt gerade in der Fixierung, sich von ihnen zu be-freien, gerade nicht frei und "verweilt" bei ihnen [168]. Man sieht sich "verunreinigt", wie Hegel sich ausdrückt, das Niedrigste klebt an einem, man kommt nicht los davon und wird sich eine "unglückliche, ärmliche Persönlichkeit". In dieser misslichen Situation aber richtet sich der Blick in das andere Extrem, das man ja gerade aufsuchen wollte: es zeigt sich die Einheit mit dem Unwandelbaren oder dem Wesen. Hegel meint nun, dass die Versöhnung gerade nicht auf direktem Wege statt haben kann. Direkt heißt: Ich, als Einzelner, nehme mir vor, dies zu erreichen, ich habe meinen Willen, dies umzusetzen. Gerade das aber muss an der wichtigsten Stelle der Phänomenologie des Geistes, da es gilt sich seiner als Vernunft bewusst zu werden, scheitern. Eine direkte Vernichtung des zerrissenen Bewusstseins ist nicht möglich. Was nicht unmittelbar gelingen kann, gelingt "mittelbar". Die negative Bewegung des Unwandelbaren mit dem Wandelbaren wird durch ein Drittes vermittelt, es wird eine Vermittlung installiert, dieser Vermittler, der beide Extreme miteinander vermittelt, wird dann der "Diener" oder "gute Rat" bei Hegel sein. Dem vermittelnden Diener als dritter Instanz in dieser negativen Bewegung, denn es soll gerade das eine Extrem, die Einzelheit, restlos vertilgt werden, wird gelingen, was direkt nicht möglich war.

Die Wirklichkeit der Einzelheit hat bei Hegel also eine Urkraft mit hoher Dignität; man kann sie nicht einfachhin vertilgen, es hängen an ihr auch die vitalen Interessen; der Eigenwille, die Eigendrehung, der Eigendünkel, der Wille, etwas zu wollen - das alles lässt sich kaum brechen. Auf dem Weg zur absoluten Versöhnung, zur Gewissheit des Bewusstsein, selbst alle Realität und Wahrheit zu "sein", muss gerade der Eigenwille auf-gegeben werden; man muss sich als wollende Einzelheit drangeben können, sonst steht man sich immer nur selbst im Wege und behauptet noch auf irgendeine Weise - und sei es auch nur das Danken der Contemplation - seine Eigenheit. Wie also ist eine restlose Vertilgung seiner selbst möglich? Nicht zufällig greift Hegel in diesen Passagen zu Begriffen der Askese. Das Monastische gilt ihm als wegweisend und auf den Punkt gebracht: Sich selbst als wollende Einzelheit zu überwinden gilt ihm als eine wirkliche Be-Freiung. Der Mensch erreicht seine Freiheit gerade darin, dass er sich selbst als wollenden Willen vertilgt. Das ist nicht nur mit einer Erkenntnis abgetan, sondern fordert eine grundlegende Auf-Gabe in mehrfacher Weise.

Die Rolle des beratenden Dieners wird bei dieser Überwindung grundlegend. Die Verwindung geschieht als bewusste. Zunächst wird der Eigen-Wille abgestoßen, der eigene und als frei geglaubte Entschluss wird fahren gelassen - dem Diener übergeben. Der Diener steht mit dem unwandelbaren Wesen direkt in Verbindung - nicht ich. Ich folge damit nur dem Rat des Dieners, nicht mehr meinem Willen und nicht aufgrund meines Entschlusses. Der Diener ist es, der mir rät, er übernimmt mein bisheriges und jetzt zu überwindendes wollendes Tun. Ich befolge einen fremden Beschluss - es ist nicht mehr mein eigener, der ja gerade dadurch restlos vertilgt wird. Ich folge dem Fremden, also ist es nicht mehr meine Handlung. Die Wirklichkeiten durch Arbeit und Genuss werden ebenso abgestoßen und es wird Verzicht geleistet. Der Mensch, wenn es erlaubt ist so zu sprechen, gewinnt bei Hegel seine Freiheit durch Verzicht. Er verzichtet auf die Früchte seiner Arbeit und auch auf seine Überzeugungen und Wahrheiten, er verzichtet auf sein bisheriges Leben, kann man sagen, auf das er sonst stolz blickte. Alles, was bisher sein war, wird dem Diener übergeben. Er macht sich zusehends leer und leerer. Fasten und Kasteien sind Begriffe der Askese, das Monastische hat hier den Sinn, den eigenen Willen sukzessive zu brechen.

Wenn man so alles verliert, so ist das im großen Stil negativ. Es bleibt nichts mehr, woran man sich hängen könnte. Man befolgt einen Rat, den man überhaupt nicht versteht, man verzichtet, so Hegel, auch und gerade auf seine selbstbewusste Selbstständigkeit. Das heißt: Gerade der moderne Mensch ist stolz auf seine Erkenntnisse und prüft, so meint er, bevor etwas getan wird. Auf seine eigenen Erkenntnisse kann man sich wenigstens verlassen, so meint man. Aber auch auf diese selbstbewusste Selbstständigkeit soll man verzichten, so rät der Diener. An dieser Stufe der Entsagung angelangt weiß man in der Tat nicht mehr, was man da noch tun soll, man versteht es nicht mehr, man tut etwas Unverstandenes, man bewegt etwas ganz Fremdes, stellt etwas Sinnloses vor, spricht etwas Sinnloses, man treibt ein unverstandenes Geschäft. Dieses Tun durch Befolgung eines Rates wäre, gegenüber allem Negativen, das positive Moment der Entsagung, ein positives Moment, das auch eher negativ verkleidet erscheint. Das Aufgeben des eigenen Willens ist nur zur einen Seite negativ, es wird dabei zugleich aber der Wille eines Anderen gesetzt.

Das Ich scheint so völlig entäußert, aus sich herausgerungen, das Ich nimmt scheinbar durch die Entsagung gegenständliche Form an. Auf dieses Ich verzichtet der Mensch. Das ist dann die wirklich vollbrachte Aufopferung. Das Unglück des unglücklichen, zerrissenen Bewusstsein schlägt um: das Unglück lässt von diesem Bewusstsein ab. Erst dann, wenn das eigene Ich des Bewusstseins aufgeopfert wird, erst dann lässt das Unglück von diesem Bewusstsein ab. In diesem Moment wird die Zerrissenheit ausgesöhnt, der Konflikt des Allgemeinen mit dem Einzelnen, des Einzelnen mit dem Allgemeinen hat ein Ende, denn das Einzelne ist aufgehoben. Das Bewusstsein wird so zum allgemeinen Willen, es wird zum ansichseienden, wesenhaften Willen - ich selbst bin nicht mehr ein Wille, ich selbst "bin nicht mehr". Dass das alles so kommt, ist nicht mehr mein Geschäft, es ist nicht mehr meine Tat, es ist nicht mehr mein Wille und letztlich nicht mehr mein Genuss.

So geworden zeigt sich das, was Hegel die "Vernunft" nennt. Die Vernunft nun erscheint gerade hier nach diesem Weg der Vernichtung am Horizont und ist die "Gewissheit des Bewussteseins, in seiner Einzelheit absolut an sich, oder alle Realität zu sein" - d.h., dass es nun kein Fremdes mehr gibt, dass das Wesen und das Wandelbare als Einzelnes, dass das Ansich-sein und Fürsich-sein versöhnt sind. Erst jetzt ist das Bewusstsein in seinem wahren Element, es ist eingerückt in sein wahres Haus, bei sich zu zuhause.

 

 

Die Folgen

 

Die Folgen der Umwendung vom Selbstbewusstsein zur Vernunft bei Hegel sind für den Verstand des Alltags verheerend: der Alltags-Verstand "weiß" zumeist nicht nur schon darüber Bescheid, was die Wirklichkeit ist, sondern macht sich zeitlebens darüber kaum Gedanken. Das Bestürzende in der Auseinandersetzung mit dem Denken der Denker bleibt die Einsicht in die verheerende Differenz zur Alltagswelt. Wenn heutigentags vielfach die Nöte der Welt, das Chaos der Welt, die Verdorbenheit der Welt, usw. proklamiert werden, wenn es gilt, vor dem Terror auf der Hut zu sein, wenn es weiterhin gilt, Frieden in der Welt zu schaffen etc., dann gilt das so Aufgezählte als die Wirklichkeit. Wirklichkeit, das ist dem Alltags-Verstand das, was so vorkommt in der Welt und in erster Linie ist das Wirkliche die Wirklichkeit für diesen Verstand: wirklich sind die massiven Dinge in der Welt, das, was sinnlich vernehmbar ist, wirklich ist das Greifbare, was in seiner massiven Präsenz mir entgegensteht - das ist das Wirkliche und also die Wirklichkeit. Zur Frage, wie wirklich dieses Wirklichkeit oder wie wahr diese Wirklichkeit ist, kommt es im Grunde gar nicht. Die Erfahrung, die das Bewusstsein auf dem Weg der "Phänomenologie des Geistes" machen muss, ist für diese Alltags-Weisheit vernichtend: aus dieser Welt der ungefähren Sicherheiten herkommend hat das Bewusstsein Schritt für Schritt die Seins-Gewissheit über das, was die Wirklichkeit an sich ist, verloren. Die Dinge oder Gegenstände in der Welt zeigten sich ganz und gar nicht so, wie sie uns "als wirklich vermeint erscheinen", denn das Allgemeine zeigte sich als das Wesen der Einzeldinge. Von einem Widerspruch in den anderen gejagt verlor das Bewusstsein seine Wahrheiten und Sicherheiten. Am Ende fand es sich als "unglückliches Bewusstsein" in rein ontologischem Sinn. Das unglückliche Bewusstsein ist eine Form der äußersten Sensibilität und Wachheit des Bewusstseins darüber, wie es Sein vernimmt und versteht, was also letztlich damit gemeint sein könnte mit dem Begriff der Wirklichkeit, was das ist, die "wahre Wirklichkeit".

Diese Fragen kommen dem Alltagsverstand kaum zu Bewusstsein. Er hat längst damit sein Auslangen gefunden, seine vermeintlichen Sicherheiten zu retten oder die Dinge in der Welt für sich zu bearbeiten - das ist übergenug. In Ansehung des Geistes aber und vor allem in Ansehung dessen, was dem Menschen als Menschen aufgegeben ist - dass Sein und Denken dasselbe sind - darf die heutige Welt des Alltags-Verstandes als die "geistloseste" und "geist-ärmste" angesehen werden. Der Alltags-Verstand ist in der Tat "geistig behindert". Er ist in dem gehindert, was er sein könnte - nämlich "Vernunft", er ist fast zur Gänze darin abgestorben und unsensibel geworden, betreibt er doch nur das Unwirkliche und Belanglose. Die Entfremdung ist es, die den Menschen geistig behindert, er ist an die Welt verfallen und dieser Welt-Sturz, diese Ruinanz, bleibt maßgebend, bleibt aber auch zugleich der Abstoß und der Boden aller wesentlichen Fraglichkeit.

Seine Selbstständigkeit und Freiheit zu retten, auf Kosten der Welt oder der eigenen Wirklichkeit, sagt Hegel [176], das war das bisherige Ansinnen. Die Frage nach dem Sein stellt sich diesem Ansinnen nicht explizit. Tritt das Bewusstsein als "Vernunft" auf, dann bringt es nicht nur eine, sondern die einzige Gewissheit überhaupt mit: alle Wirklichkeit zu sein. Das ist eine unglaubliche Gewissheit, die Hegel hier zum Begriff bringt. Sie bedeutet, dass es toto coelo nur eine und einzige wahre Wirklichkeit (und neben ihr nicht etwa noch andere Wirklichkeiten) gibt: das ist die Gewissheit und Wahrheit der Vernunft. Alle Wirklichkeit - man muss genau lesen - sei nichts anderes als das Bewusstsein als Vernunft. Das Denken selbst dieser Vernunft sei "unmittelbar" die (alle) Wirklichkeit.

In der Tradition des Denkens nennt man diese Haltung "Idealismus". Diese Tradition ist jetzt noch wegzulassen. Eines aber muss aus dem Wort Idealismus herausgelesen werden, das gr. idéa - die Gestalt oder das Aussehen. Was überhaupt "ist" oder oder im Sein anwest, zeigt seine Gestalt, kommt zum Erscheinen, zeigt sich einem Vernehmen. Sein und Denken sind dasselbe - so Parmenides, damit ist der Idealismus ausgesprochen.

 

Was und wie ich denke - nach dem vernichtenden Gang bisher - besser formuliert: was und wie es in mir denkt (nous, lógos), das ist die allumspannende Wirklichkeit selbst oder Realität an sich, die einzige Wahrheit, neben der es keine anderen mehr geben kann. In dieser Art tritt das Bewusstsein als Vernunft auf. Es ist ratsam, an dieser Stelle der auftretenden Vernunft lange zu verweilen, denn sie wirft alle sonstigen Seins-Vorstellungen von sich, zuallererst jene Vorstellungen von Wirklichkeit, die sich der Alltags-Verstand, wenn es hochkommt, zurecht gelegt hat.

 

 

 

 

[...]

 

 

 

 

[Vgl. hierzu zum Vorbegriff des "Unglücklichen Bewusstseins". G.W.F. Hegel; PG; suhrkamp, Werke III, S. 155 sqq.; Meiner PhB 114; S. 158 sqq.]

 

 

 

 

 

Das Gesetz des Herzens, und der Wahnsinn des Eigendünkels

 

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RÜCKSTIEG

 

 

 

Der Weg ist so ein Weg des Meinens, des Wahr-nehmens, des Verstandes; und so das Ansich oder Wesen das Andere, Fremde, Gegenüberstehende; der Weg ist weiter einer des Behauptens; einer Herrschaft, einer Knechtschaft, eines Ansich, eines Allgemeinen, eines Dahingegebenen, eines Einzelnen; eines Wesens, einer Existenz; der Weg ist weiter einer der stoischen Herrschaft des Allgemeinen, ist einer der skeptischen Befreiung und erhebt sich zur Form des unglücklichen Bewusstseins, einer Zerrissenheit, der das Anderssein noch Realität ist und sei es ein summum ens; die Vernunft als Gewissheit, alle Realität zu sein, kommt her aus dem unglücklichen Bewusstsein; hier wendet es sich; das Anderssein als solches verschwindet, es geht unter.

 

Das Kriterium des Nach-Verstehens bleibt in seiner konkreten Gestalt - und eine andere kommt nicht in Frage - an den Weg gebunden. Ein Weg ist nur Weg im Gehen des Weges. Das Unbegreifliche bleibt als Abstraktes das Unbegreifliche; das Abstrakte, das sich nie auf den Weg gemacht hat. Die Wahrheit also des Bewusstseins, alle Realität zu sein, also Vernunft zu "sein", heißt nicht, alle Wahrheit im Besitz zu haben. Es heißt vielmehr: "wahr zu sein". Im Geschehen dieser Umwendung  kommt bei Hegel ein "Vergessen" ins Spiel, er schreibt: "Das Bewusstsein, welches diese Wahrheit ist, hat diesen Weg im Rücken und vergessen, indem es unmittelbar als Vernunft auftritt [...]" (PG, 177).

 

 

Diese Vernunft ist niemals ein Fertiges, Abstraktes; die Vernunft selbst ist ein "Weg", eine "Bildung"; Vernunft gibt es für Hegel nicht, sie selbst, die Vernunft, ist ein Weg der Verluste, dieser Weg ist eine Bewusst-Werdung; sie ist noch nicht, die Vernunft, und ist niemals, sondern ist ein Weg, ein Kampf, eine Bewegung, eine Bildung. So ist es auch, dass die unmittelbar auftretende Vernunft, die zunächst bloß "versichert", alle Realität zu sein, sich selbst nicht "begreift", ihrem Begriff nicht entspricht. Denn eine bloße Behauptung zeigt nur ein Her- und Hingestelltes, stellt aber nicht die Bewegung dar, d.h., eine Behauptung bringt es niemals zur "Darstellung". Die Darstellung aber ist nichts anderes als der zu gehende Weg selbst, das ist die Methode bei Hegel. Das gewöhnliche Bewusstsein hört dann und wann Sätze des speculativen Denkens und begreift diese nicht. Das ist vollkommen in der Ordnung. Das Nicht-Begreifen ist (und bleibt) das Medium, das allgemeine Fluidum oder das wesentliche Element des gewöhnlichen Bewusstseins. 

 

 

"Begriffen" hat man, wenn man den Weg gegangen; man ist sich einer Wahrheit "gewiss" (unmittelbar); begriffen aber hat man diese Wahrheit noch lange nicht, erst dann, wenn man den Weg gegangen, der im Rücken und vergessen liegt.

 

 

 

 

 

 

 

Fangstoß

 

 

Der Zusammenzug also auf die Momentaneität; die fast vollkommene Einschränkung oder Beschränkung. Es ist die Zugabe jenes, was - sich verkannt im Bekannten - bereits Wurzeln schlägt. Man (natürlich nicht "das" Man) wird es sich zeigen lassen (wollen) oder, "... in denselben Punkt der Zeit oder des Raumes eintreten, (... sich) zu demselben Ich (...) machen lassen" (PdG, 85). Die Ausrichtung: ein Letztes, eine hinausgehende oder transzendierende Augenblicklichkeit; also alles andere als Hermetik. Man lässt zu: eine (Um-) Formung. Bildung - nach einer nicht autorisierten Formulierung Gadamers - wäre darnach das Vermögen, die Dinge vom Standpunkt eines anderen "sehen" können. Es hat der ephemere Einzug in die Unmittelbarkeit statt, der schon einen Anlauf mit sich bringt, daher ein Gewusstes, ein Vermitteltes, das es vorübergehend zu "vergessen" gilt. Der Fangstoß ist vernehmbar ein Ruck; freilich nur für den, der herkommend aus der Unmittelbarkeit diese - ephémeros - aufsucht.

 

 

 

 

 

 

Wirklichkeit

 

Ankunft. Immer wieder das Sehen auf: Dasselbe. Konkrete Identität (nicht die abstrakte). Wirklichkeit - nicht ein unmittelbar Seiendes; es scheint so, wird so gemeint, wird so behauptet. Die Unmittelbarkeit, was man meint, dass es so ist, hat sich schon wesentlich vermittelt. Das Abstrakte ist ein Einfaches, ein Gedankenloses, ein Geredetes, ein Man.

 

 

 

 

 

Von der Aufmerksamkeit

 

 

"Hieraus folgt aber nicht, daß die Aufmerksamkeit etwas Leichtes sei. Sie erfordert vielmehr eine Anstrengung, da der Mensch, wenn er den einen Gegenstand erfassen will, von allem anderen, von allen den tausend in seinem Kopfe sich bewegenden Dingen, von seinen sonstigen Interessen, sogar von seiner eigenen Person abstrahieren und, mit Unterdrückung seiner die Sache nicht zu Worte kommen lassenden, sondern vorschnell darüber urteilenden Eitelkeit, starr sich in die Sache vertiefen, dieselbe, ohne mit seinen Reflexionen darein zu fahren, in sich walten lassen oder sich auf sie fixieren muß. Die Aufmerksamkeit enthält also die Negation des eigenen Sichgeltendmachens und das Sichhingeben an die Sache - zwei Momente, die zur Tüchtigkeit des Geistes ebenso notwendig sind, wie dieselben für die sogenannte vornehme Bildung als unnötig betrachtet zu werden pflegen, da zu dieser gerade das Fertigsein mit allem, das Hinaussein über alles, gehören soll." (G.W.F. Hegel, Enz.d.p.P. III, 250).

 

 

 

Die zitierte Stelle aus Hegel findet sich an der entscheidenden Schnittstelle da die Intelligenz, d.h. der Geist, zum "Erkennen" übergeht. Die sogenannten Zusätze sind vermutlich nicht von Hegel selbst, sondern von Hörern seiner Vorlesungen; sie könnten aber auch aus seinem Geist stammen. Hegel sagt, dass sich der freie Geist nicht einfach mit einem "Wissen" abfinden könne, eigentlich sagt er, mit einem "einfachen Wissen". Dieses einfache Wissen ist nach Hegel ein "grundloses Wissen", es kommt einem tausendfältigen Aufschnappen dessen gleich, was die Wissenschaften und ihre Ableger "so geradehin für Wissen" ausgeben, gleichsam das, was Hinz und Kunz, also die sogenannten Experten so wissen. Das aber ist gerade nach Hegel noch lange kein "Erkennen", also niemals ein eigentliches Wissen. Das "Erkennen" ist ein eigentümliches Wissen, es weiß um die Natur der Sache, es weiß die wahre Substanz der Sache. Kurz: Wenn man geradehin glaubt, etwas zu wissen, weiß man es vermutlich noch lange nicht. Was aber ist dann das eigentliche Wissen oder Erkennen? Das wissen wir noch nicht. Hegel zeigt nun diesen Weg erst auf, es ist ein Weg vom geradehin Wissen zum Erkennen, es ist ein Stufengang der zunehmenden Negationen; man weiß dann am Ende vielmehr, was all das Wissen oder Erkennen "nicht" ist. Man legt auf diesem Weg vielmehr sein vermeintliches Wissen nach und nach ab, um dem wahren Wissen Raum zu geben. Dass es das einzige und wahre Wissen ist, das kann man sich nie anlesen oder einfach aneignen - man muss diesen Weg "gehen"  - das ist das einzige Wahrheits-Kriterium bei Hegel und bei allen großen Denkern. Die einzige Beweis-Führung, dass Hegel von der wahrhaften Wahrheit, von der einzigen Wahrheit, spricht, das ist der eigene Nach-Vollzug. Es wird auf diesem veritativen Stufengang zum absoluten Wissen von der Anschauung, der Vorstellung, dem Denken, von der Aufmerksamkeit, der Erinnerung, Einbildungskraft, vom Gedächtnis (Mnemosyne), vom Verstand, vom Urteil und von der Vernunft die Rede sein - alles in allem und auf den Begriff gebracht, spricht Hegel von der alleinigen und einzigen "Wirklichkeit des Geistes". Diese Wirklichkeit des Geistes ist nicht eine neben anderen Wirklichkeiten, sondern die "einzige und wahre". Was wir also meinen, wenn wir tausendfältig und ohne Besinnung sagen: das und jenes sei wirklich und wahr usw., das ist es nicht. Und es braucht nicht viel einzusehen, dass so etwas wie '"Geist" un-sinnlich ist. Das Un-Sinnliche alleine - und nur das ist Geist - ist das Wahre und ist die einzige Realität im Sinne der realitas, also der quidditas - das ist die Grundüberzeugung von Hegel. Man muss aber unbedingt anfügen: Das ist so und in diesem Sinne gesagt völlig abstrakt und nicht-verständlich. Man muss also den Gedanken "bewegen", man muss das Abstrakte im wahrsten Sinne des Wortes "konkretisieren". "Man".... muss? Nein, "Man" muss gar nicht, "Man" tut das auch nicht  - sondern, und das ist auch Hegel, der "Geist" selbst ist die Bewegtheit und innerste Unruhe, jene Kraft, die auseinanderreißt und so erst das "Gegen" erbringt, also das "Etwas", das tode ti. Sieht sich dieses Vorgehen selbst in den Spiegel, dann hat - und heutigentags umso mehr - ein reines Wunder statt; dieses Wunder ist nichts anderes als das "Aufmerken", von dem Hegel eingangs spricht. Hegel sagt und spricht uns hier nicht nur vom Walten des Geistes, sondern im Grunde davon, wie sich der Geist von aller Endlichkeit abstößt und im Nicht-Endlichen sein Wesen aufschlägt; der Geist haust im Nicht-Endlichen, dadurch ist das Endliche erst ein Endliches. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden... (G. Trakl)

 

Es ist anzunehmen, dass die Wahrheit gewusst ist. Nicht irgendeine Wahrheit, sondern die einzige und wahre. Der Inhalt dieser Wahrheit ist sie selbst und sagen wir, diese Wahrheit sei unzeitlich, nicht dem Zeitstrom ausgeliefert, daher unvergänglich, diese Wahrheit sei das Unvergängliche selbst. Diese Wahrheit ist gewusst, wer immer sie weiß, weiß um ein letztes Wissen, worauf es letztlich ankommt und diese Wahrheit ist nicht nur beliebig, sondern gilt für alle Menschen, zu allen Zeiten. Dieses ist jetzt anzunehmen, dass so ein Wissen gewusst ist, einerlei ob das gerechtfertigt sei, ob man so eine Wahrheit überhaupt wissen kann, ob das dem Menschen überhaupt möglich sei - wir lassen alle diese Fragen beiseite und nehmen dieses letzte Faktum (es ist nie ein factum brutum und ist doch zugleich ein factum brutum) einfach an. Wissen heißt hier: unbezweifelbar wissen, es ist eine unbezweifelbare Einsicht und Gewissheit. Die Frage taucht auf, was das für Folgen hat, eingedenk der Reflexion auf diese Frage-Form selbst. Sie entstammt dem Schema Ursache-Wirkung (Folge). Möglich, dass dann diese Frage selbst dahinfällt. Man frägt dann nicht mehr nach den Folgen, weil man nach Ursachen zu fragen aufgegeben hat, weil die Ur-Sache selbst keine Ursache an ihr hat. Diese letzte Wahrheit sagt, es ist etwas Überzeitliches, Unvergängliches - vielfach Geist genannt. Die letzte Wahrheit ist auch die wahre Wirklichkeit, vor der alle anderen als wahr angenommenen Wirklichkeiten verblassen. Der Geist ist daher die wahre Wirklichkeit. Was ist das, Geist? Auf diese Was-Frage reflektiert, sieht man ein, dass sie auf den Geist bezogen unangemessen ist - weil ding-ontologisch. Der Geist ist kein Ding. Wer ist das, Geist? Diese Form der Frage kommt nahe, einem selbst nahe, daher gemäßer. Es ergibt sich (das ist angemessener als Ursache-Wirkung) eine Einsicht-nahme, es ergibt sich ein Ein-Blick nehmen. Der Ein-Blick ist der unabgelenkte, eine und einzige Blick auf das "ist" in der Frage: Wer "ist" Geist? "Ist" - das Sein, die letzte Wirklichkeit. Der Ein-Blick erbringt das Fahren-lassen der ding-ontologischen Machtzirkel und damit fallen zugleich die Ansprüche und Wahrheiten des gesunden Menschenverstandes. Das Sein des Geistes also. Der Geist selbst drängt zu sich. Die Klarheit muss sich jeder selbst verschaffen. Vermutlich ist das Walten des Geistes: "...die Bewegung eines Kreises, welcher frei im Leeren sich in sich selbst bewegt, ungehindert sich bald erweitert, bald verengt, und vollkommen zufrieden nur in und mit sich selbst spielt" (Hegel, PdG, 284). Der unabgelenkte Ein-Blick, der eine und einzige Blick in das, was "ist". Längst ist klar geworden oder sollte es sein: Man selbst "spielt" keine wesentliche Rolle mehr, ist nicht Täter, sondern Empfänger. Das Empfangen können ist die eigentliche Geste des Philosophierens. Der unabgelenkte Ein-Blick ist das Unwesentlich-werden der sonstigen (vermeintlichen) Wesentlichkeiten. Man selbst ist mehr und mehr der Zuseher und noch viel mehr der Zu-Hörer, der dem ge-horcht, dem er ge-hört. "Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden..." (Georg Trakl, Frühling der Seele) - das gibt zu denken. Käme es dahin, wäre schon ein Empfangen können. Wo ist noch Fremdes und zugleich Unverstandenes? In einer völlig geglätteten Welt ist das Fremde, Sperrige und Unverstandene ein bloßes Ärgernis. Erst das Fremde aber erzwingt den Unter-schied, erzwingt das wesentliche Hören und Sehen. Wo kein Fremdes mehr, da ist alles erstickt, ein ungenießbares Einerlei des Undsoweiter. Es ist der Geist ein Fremdes auf Erden - wäre er es nicht, wie könnte man sich auf den Weg machen?

 

 

 

 

 

 

Übergang: Der Geist

 

Die Vernunft bezieht sich so nur mehr auf sich selbst in der Gewissheit, alle Realität zu sein [289]. Es ist das Vollbringen dieser Vernunft zu betrachten nach Umstand, Mittel und Zweck und als Hinaussetzen dieser Einheit als "Werk". Die Vernunft kann mit diesen Begriffen angegriffen werden, man kann sich das Walten der Vernunft hiermit zurecht legen. Das aber bleibt hier, in Anbetracht der sich äußernden Vernunft, nach Hegel ein unangemessenes Geschäft. D.h., dass das, was die Vernunft ist und wie sie waltet, aus ihr und nur aus ihr selbst heraus angemessen verständlich werden kann. Wie also waltet die Vernunft, die das Werk an ihr selbst hat, wie hebt und senkt sich (Celan) die Vernunft in ihrem Tun, in ihrem Spiel, bei sich und alle Realität zu sein? Es geht hier um die Individualität, die kein Äußeres mehr hat, etwa als äußere Wirklichkeit, die Individualität oder Vernunft ist an und für sich: sie hat an ihr alle Wirklichkeit und alles Wesen und ist in einem Wissen darum, für sich in diesem Wissen von der allumspannenden Realität, der Vernunft. Das sonst Getrennte liegt in ihr selbst, ist nicht mehr vorgefundener, vorhandener Unterschied, sondern absoluter, d.h. nach Hegel, Moment der Vernunft. Maßstab der Beurteilung des Werkes der Vernunft als Sichselbstdurchsichtigwerden, als Selbstartikulation der Vernunft,  ist nur sie selbst, ihre Natur als "ursprüngliche". Es kann nach Hegel an sie kein Maßstab des sonstigen Messens herangetragen werden, das bliebe - wie immer bei einem Ursprünglichen, das aus sich heraus verlangt, an-gemessen erfasst zu werden - ein "Betrug". Hegel zeigt hier gewissermaßen den Sinn des Hermeneutischen an der Vernunft selbst auf. Heidegger sagt einmal in "Sein und Zeit", dass die Methode der Phänomenologie sei: das, was sich zeigt, so wie es sich zeigt, von ihm her sehen lassen. Dieser Sinn ist hier, da es gilt die Bewegung der Vernunft selbst zu ergreifen, angesprochen. Die Phänomenologie als Methode ist nichts anderes, als zu den Sachen selbst vorzudringen. Das Schwierige sind nicht in erster Linie die schwierigen Sachen, sondern es sind die Vor-Meinungen und ungeprüften vor-ontologischen Dimensionen, die einen angemessenen Zugang, das ist ein solcher, der sich alleine der Sache anmisst, verwehren.



 

[...]

 

 

 

 

 

Von der Aufmerksamkeit

 

"Hieraus folgt aber nicht, daß die Aufmerksamkeit etwas Leichtes sei. Sie erfordert vielmehr eine Anstrengung, da der Mensch, wenn er den einen Gegenstand erfassen will, von allem anderen, von allen den tausend in seinem Kopfe sich bewegenden Dingen, von seinen sonstigen Interessen, sogar von seiner eigenen Person abstrahieren und, mit Unterdrückung seiner die Sache nicht zu Worte kommen lassenden, sondern vorschnell darüber aburteilenden Eitelkeit, starr sich in die Sache vertiefen, dieselbe, ohne mit seinen Reflexionen darein zu fahren, in sich walten lassen oder sich auf sich fixieren muß. Die Aufmerksamkeit enthält also die Negation des eigenen Sichgeltendmachens und das Sichhingeben an die Sache - zwei Momente, die zur Tüchtigkeit des Geistes ebnenso notwendig sind, wie dieselben für die sogenannte vornehme Bildung als unnötog betrachtet zu werden pflegen, da zu dieser gerade das Fertigsein mit allem, das Hinaussein über alles, gehören soll."

 

(G.W.F. Hegel, Enzykl.d.p.W., III, 250).

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